Das Fürstentum Liechtenstein reagiert auf den Druck aus der Europäischen Union und will sein Negativimage abschütteln.

Vaduz - Es gibt diese Tage, nach denen nichts mehr so ist, wie es einmal war. Den 11. September 2001 kennt jeder. Adolf Real muss auch nicht überlegen, als er nach dem Datum gefragt wird, das seine kleine Bergwelt auf den Kopf gestellt hat. "Das war der 14. Februar 2008", sagt der Präsident der Liechtensteiner Bankenverbandes. Was an jenem Valentinstag passiert ist, daran knabbern sie in dem zwischen der Schweiz und Österreich eingeklemmten Fürstentum noch immer.

 

Aufbruchstimmung sollte eigentlich ausgehen von diesem Tag. Die Regierung des 30.000-Einwohner-Landes stellte der Öffentlichkeit unter dem schönen Namen "Futuro" ihre neue Finanzplatzstrategie vor. Schließlich war das Geschäftsmodell der Liechtensteiner Geldverwalter schon nach eben jenen New Yorker Anschlägen infrage gestellt worden. Die Undurchsichtigkeit der Liechtensteiner Finanzdeals war den USA ein Dorn im Auge, weil befürchtet wurde, dort könnte, ihrem Zugriff entzogen, Terroristengeld lagern. Davon aufgeschreckt wurden Gesetze geändert und wurde eine neue Strategie ersonnen.

Steuersünder zogen ihr Geld ab

Mitten in die Pressekonferenz jedoch platzte die Nachricht, dass am Morgen in Köln der Post-Chef Klaus Zumwinkel verhaftet worden war. Der später bestätigte Verdacht lautete, er habe knapp eine Million Euro am deutschen Fiskus vorbei nach Liechtenstein geschafft. Der Hinweis kam aus Liechtenstein selbst - zusammen mit vielen anderen Hinweisen auf einer Steuer-CD, wie spätestens jetzt klar wurde. Mit einem "Vulkanausbruch" vergleicht Michael Lauber, der Chef der Liechtensteiner Finanzaufsicht, diesen Valentinstag. Von da an ging es wirtschaftlich bergab. Fluchtartig zogen andere Steuersünder, die ebenfalls die Enttarnung fürchteten, ihr Geld aus Liechtenstein ab. Die Zahl der Stiftungen, die es verwalten, reduzierte sich fortan deutlich - um 16.000 auf heute 45.000, wie der Oberbanker Real bestätigt.

Nun hatten auch die Ermittler etwas in der Hand, um gegen Liechtenstein vorzugehen. An ein Weiter-so war - Souveränität hin, Souveränität her - jetzt nicht mehr zu denken. Und auch die Auskunft, dass im Fürstentum nur so viel Geld verwaltet werde, wie allein auf den Kundenkonten der Schweizer Bank Julius Bär lagere, fruchtete nicht mehr. Denn nicht nur den ausländischen Ermittlern war klar, dass die 400 sogenannten Liechtensteiner Finanzintermediäre, also unter anderem die Treuhänder, im Auftrag ihrer Klientel ein Vielfaches dieser Summe nicht nur im Fürstentum selbst, sondern bevorzugt auch am nahe gelegenen Finanzplatz Zürich anlegen. Real berichtet offenherzig, wie die US-Behörden unverhohlen drohten, Liechtensteiner Vermögen in den Staaten einzufrieren. Auch die EU machte Druck; Berlin ebenso.

Der Bergstaat fühlt sich ungerecht behandelt

Das verfehlte seine Wirkung nicht. Obwohl sich der winzige Bergstaat noch immer ungerecht behandelt fühlt und sich als Testfall dafür sieht, wozu die großen Global Player auch die Schweizer Eidgenossen zwingen würden, wurde notgedrungen gehandelt. Am 12. März verabschiedete die Regierung im Hauptort Vaduz eine "Liechtensteiner Declaration", die die Bereitschaft enthält, in Steuersachen künftig die Standards der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) anzuwenden. Gut drei Monate später wurde mit Washington ein Datenaustauschabkommen geschlossen, weitere drei Monate später eines mit der Bundesrepublik. Anfragen zu Kontenbewegungen werden nun im Wege der Amtshilfe beantwortet. Einen automatischen Datenaustausch, wie in einer noch immer blockierten EU-Richtlinie vorgesehen, wird es aber nicht geben. Das war den Liechtensteiner wichtig. Mit insgesamt 23 Staaten sind bisher Verträge geschlossen worden. Weitere sollen folgen, unter anderem ein Doppelbesteuerungsabkommen mit Deutschland, das kurz vor der Unterschriftsreife steht. Im Bundesfinanzministerium geht man von einem Abschluss noch in diesem Jahr aus.

Für die Liechtensteiner Regierung führt Katja Gey die Verhandlungen. Sie leitet die Stabsstelle für internationale Finanzplatzagenden. Geleitet wird sie von der "Einsicht, dass man sich ändern muss, weil sich das Umfeld verändert hat". Viele der Verhandlungen führt sie per E-Mail, wie sie in ihrem Büro erzählt - schlicht deshalb, weil sie sonst nur noch im Flieger säße. In Berlin ist Katja Gey dennoch des Öfteren anzutreffen, da die angestrebten Abkommen mit dem großen Nachbarn für ihr Land "alleroberste Priorität" haben. Das zur Vermeidung von Doppelbesteuerung ist so gut wie unter Dach und Fach. Und auch in der noch viel heikleren Frage, wie man mit den deutscher Steuersündern der wenig rühmlichen Vergangenheit umgeht, tut sich etwas, wie Gey berichtet. "Wir sind uns bei den Altfällen im Prinzip einig." Als Vorbild dient eine Einigung mit Großbritannien aus dem Herbst 2009.

Das Klientel soll in die "Steuerehrlichkeit" geführt werden

Als "wegweisend" preist sie auch der Bankenpräsident Real. Der Deal sieht vor, dass die Liechtensteiner Banken und Treuhänder die Vermögen britischer Kunden nach London melden, die dort dann eine Steuerpauschale entrichten müssen, im Gegenzug aber nicht für ihre Sünden der Vergangenheit verfolgt werden. Verhandlungsführerin Gey sagt, mit Deutschland werde es auf eine "relativ anonyme Lösung" hinauslaufen. Dafür ist dann der zu entrichtende Steuersatz für die heimgekehrten Steuerhinterzieher höher. In offiziellen Broschüren des Fürstentums heißt das ein wenig euphemistisch, man wolle die eigene Klientel "in die Steuerehrlichkeit führen". Real nennt das Kind dann aber doch beim Namen. Die eigenen Bankkunden sollen "entkriminalisiert" werden.

Im Umkehrschluss ist das schon eine Art Eingeständnis, dass die bisherige Liechtensteiner Geschäftspraxis eben doch etwas mit Kriminalität zu tun hatte, obwohl niemand das so deutlich sagt. "Man hat halt nicht gefragt in den vergangenen 40 Jahren", sagt der Finanzaufseher Lauber, "sondern einfach das Geld genommen." Hinzu kam, dass - wie er hinzufügt - "die Großbanken in der Schweiz unsere Strukturen genutzt haben". Die Liechtensteiner Treuhänder, die sich bis dato von Gesetzes wegen auf einen Standpunkt maximaler Verschwiegenheit zurückziehen konnten, fädelten für die Institute die Geschäfte ein, von denen nicht alle sauber waren. Expertenschätzungen gehen von Geschäften im Volumen von 200 Milliarden Euro aus, die auf diese Weise abgewickelt wurden. Das System war "sehr missbrauchsanfällig", räumt auch Michael Lauber ein. Von den Reformen und internationalen Abkommen sind die Treuhänder entsprechend am stärksten betroffen. Der wichtigste Dienstleister sollen künftig die Banken sein. "Das lieben natürlich nicht alle in Liechtenstein", lautet Laubers trockener Kommentar dazu.

Abkehr von alten Sitten

Der angekratzte Ruf soll auch mit einer neuen Finanzplatzstrategie aufpoliert werden, die kürzlich vorgestellt wurde. Ökologische und soziale Anlagen sollen gefördert, mildtätige Philantropen und global tätige Pensionsfonds angelockt werden. Und natürlich sollen auch die Reichen dieser Welt weiter von der "jahrzehntelangen Erfahrung im Private Wealth Management" profitieren - nur eben jetzt nach international gültigen Standards.

Dass man sich zur Abkehr von den alten Sitten entschlossen hat, hängt nicht nur mit dem Druck der fremden Regierungen zusammen. "Jeder Liechtensteiner, der im Ausland war, galt sofort als Steuerhinterzieher", berichtet beispielsweise ein Passant in der kleinen Fußgängerzone unterhalb des auf dem Felsen thronenden Fürstenschlosses: "Da haben einfach alle genug davon." Der Wirtschaft des Kleinstaates ging es ähnlich.

Bei Diktatoren ist größere Sorgfalt nötig

Wie gerade wieder vor wenigen Wochen. Da untersagte die deutsche Finanzaufsicht Bafin der Deutschen Bank, deren Beteiligung an der BHF-Bank an die Liechtensteiner Fürstenbank LGT abzugeben. Die Begründung: Zweifel an der Zuverlässigkeit des Käufers. Gerade die LGT, ebenfalls in die Zumwinkel-Affäre verstrickt, hatte gehofft, mit dem Geschäft nun zu den Kunden in Deutschland kommen zu können - da die Kunden selbst nicht mehr so zahlreich zu ihr nach Liechtenstein kommen. Als sie Ende vergangenen Jahres 50 Millionen Euro auf an die deutsche Staatskasse überwies, hätte das eigentlich der Schlussstrich unter die Vergangenheit sein sollen. "Die Reputation wiederherzustellen", weiß auch der Bankenverbandspräsident Adolf Real, "das geht nicht so schnell."

Als Stein gewordener Beweis dafür, dass sie es ernst meinen mit der Abkehr von der Vergangenheit, steht der neue, moderne Büropalast am Ortsrand von Vaduz. Alle Finanzaufsichtsabteilungen sind zusammengelegt worden und verfügen mit 70 Mitarbeitern über doppelt so viel Personal wie noch vor Jahren. "Der Staat hat uns die Aufgabe übertragen, die neuen Gesetze und Abkommen zu überwachen", sagt Lauber selbstbewusst. Zum Beispiel müssen die Treuhänder bei "politisch exponierten Personen" wie etwa Diktatoren inzwischen eine größere Sorgfalt an den Tag legen, was die Finanzaufsicht vor Ort kontrolliert.


Informationsaustausch: Am 2. September 2009 wurde das erste von drei geplanten Abkommen zwischen Liechtenstein und Deutschland im Steuerbereich unterzeichnet. Das Fürstentum versorgt deutsche Finanzämter seit dem Inkrafttreten Ende Oktober nicht nur bei schwerem Steuerbetrug, sondern auch in Fällen einfacher Steuerhinterziehung mit Informationen. Allerdings gibt es keinen automatischen Austausch über alle Kontobewegungen, sondern nur bei einem konkreten Verdacht und auf Anfrage. Das Abkommen folgt den OECD-Richtlinien, denen zu folgen Liechtenstein vor der Finanzkrise noch ablehnte.

Doppelbesteuerung: Nur noch technische Fragen gilt es beim geplanten Doppelbesteuerungsabkommen zu klären. Mit 119 Staaten weltweit hat die Bundesrepublik bereits solche Verträge geschlossen, mit denen vermieden wird, dass bei einem Steuerpflichtigen dieselben Einkünfte durch zwei Staaten belastet werden. An dem Abkommen ist besonders Liechtensteins Wirtschaft interessiert. Aber auch in Deutschland arbeitende Liechtensteiner erhoffen sich spürbare Erleichterungen.

Amnestieregelungen: Weitere Gespräche gibt es, um bisher unversteuert in Liechtenstein liegende Einkommen von Bundesbürgern zu legalisieren und zu für beide Seiten vertretbaren Regeln für die Zukunft zu kommen. Der Finanzplatz Liechtenstein hat Interesse, dass seine Kunden straffrei ausgehen, wenn sie sich den deutschen Behörden melden oder anonym einen pauschalen Steuersatz entrichten.


Vielfalt: Ende vergangenen Jahres waren am Finanzplatz Liechtenstein 17 Banken, 107 Vermögensverwaltungsgesellschaften, 469 Investmentunternehmen, 40 Versicherungsunternehmen, 71 Versicherungsvermittler, 33 Vorsorgeeinrichtungen, 5 Pensionsfonds und 1444 andere sogenannte Finanzintermediäre (zum Beispiel Treuhänder, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Patentanwälte, Wechselstuben, Immobilienmakler und Spielbanken) tätig.

Wachstum: Die Finanzmarktaufsicht (FMA) Liechtenstein kommt insgesamt per Jahresende 2010 auf 2364 Adressen, die ihrer Kontrolle unterliegen. Der Trend weist nach oben; von Jahr zu Jahr nimmt die Zahl der Anbieter zu. Im Jahr 2004 gab es zum Beispiel lediglich 1634 Finanzakteure in Liechtenstein.