Jenseits von Vollrausch und Drogen – das Fuji Rock Festival in Japan ist nicht nur etwas für harte Rocker, sondern auch für Familien mit Kindern. Das Motto der modernen Hippies lautet: Einheit, Liebe und Frieden.

Tokio - Märchenhaft sieht es hier aus. Über dem Zauberwald leuchten riesige Sterne, Häschen in Neonfarben, die im Bambusgebüsch neben dem Pfad aus bemaltem Holz sitzen, machen Liebeserklärungen. Im Fluss, der sich durch das Tal tief in den wolkenverhangenen Bergen von Niigata schlängelt, haben die Steine Augen und lächeln in rot, blau und gelb. Und die weit mehr als 100 000 Menschen, die sie immer am letzten Juliwochenende sehen, lächeln gleich mit.

 

Der 28-jährige Kimiaki Shimoda dreht fast durch vor Begeisterung, immer lauter redet er, hüpft fast dabei. „Ein Festival mit toller Musik mitten in der Natur, so eine Erfahrung könnte man in Tokio nie machen!“ Das weitläufige Gelände liegt 70 Schnellzugminuten und eine 40-minütige Busfahrt von Tokio entfernt. Aber die Fans nehmen auch längere Anreisen in Kauf, sagt Shimoda. „Wenn dann bei epischer Musik wie Coldplay der Sound so langsam den Berg den Hang vor der Hauptbühne heraufbrummt – das ist einfach umwerfend!“

Das Motto lautet Einheit, Liebe, Frieden

Er ist ein Wiederholungstäter, wie die meisten der Fuji-Rocker. „Wer einmal hingeht, denkt sich jedes Jahr um die Zeit, ach, ich will wieder hin!“, sagt auch der 37-jährige Akihiko Miura, der mit seiner Frau Tomomi schon zwölf Mal dabei war – seit drei Jahren mit ihren Kindern, Ichika, dreieinhalb Jahre alt, und Gen, eineinhalb. Und sie sind beileibe nicht die einzigen Rockeltern. Es kommen immer mehr, auch dank des Kid’s Land auf dem Gelände, mit Karussell, Planschbecken, Kletterturm und Zelten, in denen die Kleinen malen, basteln und spielen können. Das Areal wird von Jahr zu Jahr größer, und die Zahl der Kinderwagen davor auch. Auf den europäischen Megafestivals mit Kind und Kegel aufzutauchen wäre undenkbar. Nicht so beim Fuji Rock Festival (FRF) – passend zum Sechziger-Jahre-Motto „Einheit, Liebe, Frieden“. So ist das FRF der wohl letzte Zufluchtsort der Festivalhippies dieser Welt, egal ob mit Blume im Haar oder ohne, aber abzüglich der Drogen. Besoffene, die etwa beim deutschen Rock-im-Park-Festival sturzbetrunken vom Dach eines Campingwagens auf Zelte pinkeln, sucht man hier zum Glück vergebens. Masanobu Yoda, der auf dem Festival den Besuchern zeigt, wie sie Armbändchen aus Hanf knüpfen können, erklärt, warum die Besucher sich so „erwachsen“ benehmen, obwohl Japaner sonst dem Alkohol sehr zugetan sind: „Die Angestellten in Tokio trinken nach der Arbeit ihren Frust weg, und daher viel. Aber hier auf dem Festival haben die Leute Spaß, daher trinken sie wenig, und wenn, dann zum Vergnügen.“ Wenn die neuen Hippies überhaupt von etwas abhängig sind, dann von ihren Smartphones. Damit posten sie Fotos von sich und ihren Freunden im Zelt, vor der Bühne oder von ihren Lieblingskünstlern. Wer heute noch bei gefühlvollen Songs das Feuerzeug schwenkt, outet sich als Althippie. Die digitalen Nachkommen wedeln lieber mit dem leuchtenden Handybildschirm. Dem Regen trotzen sie mit einem Gefrierbeutel um das Gerät. Not macht erfinderisch.