Erst jetzt wurden im Kultusministerium neue, offenbar brisante Doping-Akten entdeckt. Die Paoli-Kommission vermutet, dass ein leitender Beamter sie täuschen und behindern wollte. Minister Stoch lässt diesen Verdacht nun prüfen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Bei der Aufarbeitung der Freiburger Doping-Vergangenheit gibt es erneut eine Überraschung. Wenige Monate, bevor die damit beauftragte Kommission ihre Arbeit abschließen soll, sind bisher unbekannte Akten aus dem Kultusministerium aufgetaucht. Wie ein Sprecher des Ressorts von Andreas Stoch (SPD) bestätigte, handelt es sich „um circa einen Meter laufende Akten, die die Freiburger Sportmedizin sowie das Thema Doping betreffen und den Zeitraum von 1988 bis heute umfassen“. Sie seien der Kommission nach einer Anfrage der Vorsitzenden Letizia Paoli zu Jahresbeginn „umgehend zugänglich gemacht“ worden. Im Juni habe eine Mitarbeiterin von ihr dann Einsicht genommen und die Schriftstücke teils „fotografisch dokumentiert“

 

Die Bedeutung der Unterlagen sei „sehr hoch einzuschätzen“, schrieb Paoli nach StZ-Informationen in einem Brief an das Kultusministerium. Nach einer ersten Sichtung gehe es um „zentrale Vorgänge und Akten für die Freiburger Sportmedizin“, explizit zum Thema Doping und Finanzzuweisungen. Enthalten sei etwa Korrespondenz zwischen dem umstrittenen Sportarzt Armin Klümper und CDU-Ministerpräsidenten, deren Namen die Kommissionschefin nicht nennt. Nach StZ-Informationen könnten die Akten auch die Rolle des früheren Kultusministers und VfB-Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder (CDU) erhellen. Sie sollen nun für den Abschlussbericht der Kommission aufbereitet werden.

Aufklärer falsch informiert und getäuscht?

Warum aber werden die offenbar brisanten Unterlagen erst jetzt bekannt? Dem amtierenden Kultusminister macht Paoli deswegen keine Vorwürfe, im Gegenteil: Stoch habe die Arbeit der Kommission stets unterstützt, lobt sie. Auch der Sprecher des Ressorts betonte, man sei „sämtlichen schriftlichen bekannten Anfragen auf Akteneinsicht . . . stets zeitnah nachgekommen“; zu keinem Zeitpunkt habe das Ministerium Akten zurückgehalten. Höchst kritisch sehen die Doping-Aufklärer hingegen die Rolle eines ehemaligen Beamten: die des langjährigen Leiters des Sportreferats, Karl W., der vor wenigen Monaten in den Ruhestand ging. Von ihm sehen sich Paoli und ihr Kollege Gerhard Treutlein falsch informiert und sogar getäuscht. Entsprechende Vorwürfe „gegenüber einem ehemaligen Mitarbeiter des Kultusministeriums werden derzeit geprüft“, erklärte der Ressortsprecher.

Bisher war die Kommission davon ausgegangen, alle Akten aus dem Kultusministerium zu kennen. Die Unterlagen aus den Jahren 1972 bis 1987 waren ihr mit Zustimmung des Ressorts über das Hauptstaatsarchiv zugänglich gemacht worden. Dass die seit 1988 entstandenen Dokumente noch in der Registratur des Ministeriums lagerten, wusste sie nicht. Bei einem Treffen zur Aktenlage mit Treutlein im Frühjahr 2013 soll der Sportreferatsleiter W. zugesagt haben, sich in der Registratur nach möglichen weiteren Akten zu erkundigen; falls es welche gebe, werde die Kommission informiert.

Eine solche Information sei jedoch nie erfolgt – woraus die Doping-Aufklärer folgerten, es gebe nichts. Erst den Fund von angeblich verschollenen Akten der Freiburger Justiz Ende 2014 nahm Paoli zum Anlass, erneut beim Schulressort nachzufragen. Dieses gewährte die erbetene Akteneinsicht und verwies auf die Registratur, wo sich die neuen Unterlagen fanden.

Amtschefin vermutet Blockade-Taktik

Nicht nur Paoli und Treutlein hatten den Eindruck, dass der Beamte die Aufklärung systematisch behindere, sondern offenbar auch die frühere Amtschefin des Ministeriums, Marget Ruep. Im Schreiben an Stoch wird Ruep mit „angeblichen diesbezüglichen Äußerungen“ zitiert, wie der Ressortsprecher bestätigte. Danach zeigte sich die Spitzenbeamtin ungehalten, wie der Ministerialrat die Anweisungen zur Zusammenarbeit mit der Kommission immer wieder unterlaufen habe; „es wirkte wie eine gezielte Taktik auf mich“, wird Ruep wiedergegeben. Dabei habe sie W. ausdrücklich aufgefordert, „genau dem zu entsprechen, was Herr Treutlein einfordert, und alle Akten zur Verfügung zu stellen . . .“.

In einem Fragekatalog an das Kultusministerium erkundigt sich Paoli nun detailliert nach der Rolle des Ex-Referatsleiters. Zudem bezieht sie sich auf die Aussage eines Zeitzeugen, in dem langjährigen CDU-Ressort seien nach dem Regierungswechsel „Berge von Akten geschreddert“ worden. Ihre Frage: könne Stoch ausschließen, dass auch Doping-Unterlagen vernichtet wurden? Misstrauisch macht die Kommission auch ein leerer Ordner mit der Aufschrift „Doping: Sonstige Angelegenheiten“. Paoli will wissen, „warum der Inhalt zu einem derart wichtigen Thema nicht mehr vorhanden ist“.

Abschluss bis Herbst oder Jahresende?

Der Aktenfund dürfte die Diskussion über den Abschluss der Kommissionsarbeit erneut befeuern. Die Universität Freiburg und das Wissenschaftsministerium wollen den Schlusspunkt im Herbst setzen, Paoli hingegen erst zum Jahresende. Man brauche die Zeit, um für den Endbericht „noch Tausende Seiten Akten“ aus dem Kultusministerium auszuwerten. Sollte der Abbruch vorzeitig erzwungen werden, könnte dies zu juristischen Auseinandersetzungen zwischen der Universität im belgischen Leuven, an der sie tätig ist, und der Uni Freiburg führen, schreibt die Professorin an Stoch. Dadurch würde nämlich eine Vereinbarung zwischen den beiden Hochschulen gebrochen.