Schon seit Jahren ist die Gefahr durch die großzügige Vergabe von Mobilfunk-Lizenzen bekannt. Es gibt immer mehr Funklöcher. Die Bahn ist damit bei der Netzagentur auf taube Ohren gestoßen.
Stuttgart - Die zunehmenden Risiken für Reisende durch das lückenhafte Zugfunk- und Notrufsystem im deutschen Schienenverkehr werden seit Jahren von Verantwortlichen wissentlich hingenommen. Diesen Verdacht untermauert ein Brandbrief der Bahn an die Bundesnetzagentur (BNA), der der Stuttgarter Zeitung vorliegt. In dem brisanten Schreiben warnten die Experten des Staatskonzerns die Regulierungsbehörde bereits vor fünf Jahren eindringlich, wegen weiter zunehmender Störungen des Notrufsystems drohten „erhebliche Gefahren für die Betriebssicherheit und damit für Leib und Leben der Fahrgäste“. Grund sei der massive Ausbau kommerzieller Mobilfunknetze, die den Zug- und Rettungsfunk beeinträchtigen. Das Vorhaben der Regulierer, weitere benachbarte Frequenzen zu vergeben, sei daher „nicht hinnehmbar“.
Bundesweit gibt es entlang der Bahnstrecken viele Hundert Funklöcher von insgesamt etwa 300 Kilometern Länge, wie Recherchen der StZ aufgedeckt haben. In diesen Bereichen können Lokführer bei Gefahren nicht schnell von den Leitstellen über den Notruf GSM-R gewarnt werden. Die Störstellen nahmen seit 2007 stark zu. Zuvor hatte die Netzagentur die Zugfunk-Nachbarfrequenzen, die bis dahin nur militärisch genutzt wurden, an kommerzielle Mobilfunkanbieter vergeben.
Alle Beteiligten spielen die Gefahren herunter
Die Bundesregierung, die Bahn, die Aufseher im Eisenbahnbundesamt (EBA) und der BNA sowie Mobilfunkanbieter wie die Deutsche Telekom spielen die Gefahren bis heute herunter. So teilt die BNA zum Beispiel auf Anfrage mit: „Die Bundesnetzagentur geht davon aus, dass die DB Netz AG ihr GSM-R-Mobilfunknetz so betreiben kann, dass dieses den bahnrechtlichen Standards in Deutschland und den Abnahmen des Eisenbahnbundesamtes entspricht. Die DB Netz AG ist insbesondere auch mit den hierzu erforderlichen Frequenzen ausgestattet.“ Grüne und Linke im Bundestag fordern nun mit langen Fragekatalogen an die Regierung umfassende Aufklärung. Auch bei der Bahnkatastrophe in Bad Aibling mit elf Toten und 85 Verletzten gingen Notrufe ins Leere, an der Unglücksstrecke weisen DB-Unterlagen ein 400 Meter großes Funkloch aus.
Den vierseitigen Brief der DB Netze vom 11. August 2011 hat Uwe Schneider verfasst, als Leiter der Systementwicklung Telekommunikation/GSM-R bis heute führender Experte auf diesem Gebiet. Es ist die offizielle Stellungnahme des Konzerns an die BNA im damaligen Verfahren zur Vergabe von Frequenzen an Mobilfunkanbieter. Die DB Netze, die das bundeseigene Schienennetz in Ordnung halten und für den sicheren Bahnbetrieb sorgen soll, beschreibt als Hauptursache der Notruf-Störungen ausführlich den Ausbau kommerzieller Mobilfunknetze. Deren Frequenzen vergibt die BNA im Auftrag der Bundesregierung an Unternehmen wie die Telekom, Vodafone und Telefonica, die für die Lizenzen Milliardenbeträge bezahlen.
Die Zahl der Funklöcher steigt
Der Brief belegt, dass die Bahn über Jahre hinweg vergeblich von den Regulierern verlangte, sein Notrufsystem durch Auflagen für andere Mobilfunknetze „aktiv zu schützen“. Die DB-Experten schlagen der BNA sogar im Wortlaut eine „allgemeine Schutzregelung“ für die sicherheitsrelevanten GSM-R-Frequenzen vor. Dieser absolute Vorrang für das Notrufsystem sollte bei der Verlängerung oder Neuvergabe von potenziell störenden Frequenzen „rechtlich verbindlich“ sein. Seither ist die Zahl der Funklöcher im Zugnotruf sogar nochmals drastisch angestiegen.
Im Schreiben der DB-Systementwickler wird das wachsende Ausmaß der Lücken genau beziffert und nun erstmals bekannt. Demnach existierten im Juli 2008 bereits 117 Störstellen, im Juni 2011 schon 250. Seitdem haben sich die Funklöcher im Notrufsystem nochmals auf mehr als 1000 vervielfacht. Genau davor warnten die DB-Experten die BNA schon damals eindringlich: „Die Zahl der Störfälle wird ohne wirksame Gegenmaßnahmen weiter zunehmen.“
„Weitere massive und dauerhafte Beeinträchtigungen“
Die DB-Fachleute kritisierten die Regulierer für das bisherige Vorgehen unverblümt. Die bis dahin ergriffenen Maßnahmen der Behörde seien nicht ausreichend wirksam und „werden nicht dauerhaft und zukunftssicher die Störfallproblematik beheben“. Die geplante Vergabe weiterer Frequenzspektren und der Einsatz stärker störender Breitbandtechniken werde das Störpotenzial für GSM-R sogar noch erhöhen. Dadurch seien „weitere massive und dauerhafte Beeinträchtigungen“ des Zugfunks zu erwarten. Das Vorhaben der Regulierer sei daher „nicht hinnehmbar“.
Die DB-Experten betonten zudem, dass man die Probleme nicht alleine lösen könne. Man habe mit den anderen Mobilfunkbetreibern über freiwillige Kooperationen gesprochen und die Zahl der GSM-R-Funkmasten über das vorgeschriebene Maß erhöht. Eine massive Verstärkung des Funkpegels würde, so heißt es weiter, nur einen geringen Teil der Störungen beheben. Das würde aber „einen dreistelligen Millionenbetrag an Investitionen bei der DB bedeuten“. Zudem würden dann Netze der kommerziellen Netzbetreiber gestört.
Die Bahn-Vorschläge fallen durch
Die BNA beschloss im Januar 2012 das Konzept zu weiteren Frequenzvergaben. Die Bahn-Vorschläge für eine Schutzregelung wurden nicht berücksichtigt. Danach sollten Nutzer benachbarter Frequenzen verpflichtet werden, schädliche Störungen des Zugfunks zu vermeiden. Die BNA verwies stattdessen darauf, dass die Frequenz-Inhaber selbst untereinander eine Abstimmung vornehmen sollen. Das funktioniere aber in der Praxis nur selten, was die BNA auch wisse, kritisierte die DB schon damals.