Abteilungsleiter ist fast schon ein Fulltime-Job: Bei Heimspieltagen ist Marcel Sitter oft der Erste, der kommt, und der Letzte, der geht. Foto:
Marcel Sitter ist ein gutes Beispiel dafür, dass auch junge Menschen sich gern im Ehrenamt engagieren. Mit gerade mal 29 Jahren ist er schon Fußball-Abteilungsleiter beim TSV Ehningen.
Michael Schwartz
15.10.2025 - 17:39 Uhr
Mahnende Worte gibt es nicht erst seit gestern – das Ehrenamt droht auszusterben. Die Urgesteine, die jahrelang fleißig geschafft haben? Ziehen sich zurück. Die willigen Nachfolger? Werden auch immer weniger. Die jüngeren Generationen? Haben andere Dinge im Kopf, als sich unentgeltlich zu engagieren. Ein wohltuendes Gegenbeispiel ist da Marcel Sitter. Der hat noch nicht mal eine Drei beim Alter vorne stehen und ist inzwischen Fußball-Abteilungsleiter beim TSV Ehningen. „Es klingt wie ein Klischee“, sagt er, „aber ich will dem Verein etwas zurückgeben.“
Auf die Schalkwiese kam er 2009 als C-Junior und fühlte sich dort sofort wohl, auch wenn er zunächst niemanden kannte. Mit seinen Teamkollegen feierte er in der A- und B-Jugend etliche Erfolge. „Wenn die Jahrgänge 1996 und 1997 zusammen waren, haben wir nahezu alles gewonnen“, nennt er beispielsweise die Bezirksstaffelmeisterschaft ohne eine einzige Niederlage, den Bezirkspokalsieg oder sogar den Titel beim württembergischen Futsal-Masters unter dem Hallendach trotz namhafter Konkurrenz aus dem gesamten Ländle.
2015/2016 wechselte er in den Aktivenbereich, seine finale Partie dort bestritt er bereits in der Corona-Abbruch-Saison 2019/2020. „Wie ich dann zurückkam, ist eigentlich eine lustige Geschichte“, erzählt er. So habe er auf Instagram gelesen, dass die Gelb-Blauen in verschiedenen Bereichen Hilfe suchen, und meldete sich daraufhin. Sein guter Kumpel Cedric Fais, der den Social-Media-Bereich zu dieser Zeit verwaltete, dachte erst an einen Scherz, als er die Nachricht las, „aber es war schon ernst gemeint“, schmunzelt Marcel Sitter. Seine erste Tätigkeit: Spielbeobachtungen und Videoanalysen für das Trainerduo George Berberoglu/Javier Klug.
Marcel Sitter stieg über das Thema Videoanalyse ins Ehrenamt ein
„Ich habe mitten in der Saison losgelegt“, erzählt der mittlerweile 29-Jährige. „Die Jungs und die Kameradschaft hatten mir gefehlt, aber um selbst zu kicken, fehlte mir die Motivation, weil ich ständig mit Verletzungen zu tun hatte.“ Also machte er sich nun eben hinter den Kulissen nützlich. „So bin ich in das Thema Ehrenamt eingestiegen, und irgendwie nahm das alles dann seinen Lauf.“
Anfang 2023 kam der damalige sportliche Leiter Marco Redl auf den ehemaligen Döffinger und heutigen Gärtringer zu und fragte diesen, ob er sich vorstellen könne, ihn zu unterstützen. „Das war ein Kaltstart in der heißen Phase der Kaderplanung“, nickt Marcel Sitter. Als Michael Sehner nur wenige Monate später sein Amt als TSV-Fußballchef niederlegte, übernahm der Mann, der in der Fahrzeugentwicklung bei Mercedes-Benz in Sindelfingen arbeitet, auch noch die stellvertretende Abteilungsleitung hinter Andreas Bäuerle, der nicht viel älter als er selbst ist.
„Bis dahin hatte ich kaum Einblicke in die Aufgaben, doch dann ging es ratzfatz“, sprang Marcel Sitter einfach ins kühle Wasser. Er kann sich noch genau an den Spruch erinnern, den Coach George Berberoglu damals losließ. „Der meinte zu mir im Scherz: ,Vom Tellerwäscher zum Millionär’.“ Natürlich sah er sich zunächst ein paar skeptischen Blicken ausgesetzt: „Wenn da so ein junger Kerl mit 27 in den Ausschuss kommt, schauen die alten Hasen erstmal kritisch. Die haben sich gefragt, ob ich es wirklich durchziehe.“
Das tat er definitiv und erarbeitete sich so Vertrauen und Sympathien. „Man kann es zwar nicht jedem recht machen, aber es macht einen stolz zu sehen, was in Ehningen in den letzten Jahren aufgebaut wurde.“ Als Andreas Bäuerle dann aus familiären Gründen etwas kürzertreten wollte, tauschten die beiden einfach die Rollen. Nun stand Marcel Sitter auf dem Papier an der Spitze. „Wir hatten uns aber sowieso nie als Boss und Vize gesehen, sondern haben immer schon eine Sprache gesprochen und die Sachen gemeinsam geregelt.“
Warum er sich so eine zeitintensive Aufgabe antut? „In der heutigen Zeit eine gute Frage“, antwortet Marcel Sitter. „Ich habe menschlich viel vom Verein profitiert. Jetzt will ich mich einbringen und gesellschaftliche Verantwortung übernehmen, um das alles mitzugestalten.“ Dass er mit dieser Einstellung eher die Ausnahme als die Regel ist, musste er schon häufig erleben. „Immer weniger Leute sind bereit, was zu übernehmen. Das erste, was von vielen kommt, ist meistens: ,Was verdient man denn dabei?’.“
Gefühlt verbringt Marcel Sitter manchmal mehr Zeit auf dem Klubgelände als zu Hause. Foto: Michael Schwartz
Und in der Tat ist ein innerer Antrieb unumgänglich, wenn man gefühlt mehr Zeit auf dem Klubgelände als zu Hause verbringt. Oft ist Marcel Sitter bei Heimspieltagen der Erste, der kommt, und der Letzte, der geht. „Ich habe mal im Spaß gefragt, ob ich ein Feldbett ins Archiv stellen darf“, grinst er. Von 15 bis 23 Uhr im Sportheim zu sein, kann während der Saison ebenso vorkommen. „Mein letzter Gedanke abends, bevor ich das Handy weglege, hat mit dem TSV zu tun, genauso wie die erste Nachricht, die ich dann morgens lese.“
Als lästige Pflicht betrachtet der 29-Jährige das jedoch keinesfalls. „Es macht auch viel Spaß“, stellt er klar. Selbst dann, wenn er mal wieder von verschiedensten Seiten wegen Kleinigkeiten angehauen wird, die es zu erledigen gilt. Seine Freundin hat das– sicher nicht zu Unrecht – als Fulltime-Job bezeichnet. „Ich bin sehr dankbar, dass sie Verständnis hat“, nickt er, „und dem restlichen Ausschuss dafür, dass er mich unterstützt. Das ist Manpower im Hintergrund, auf die man sich verlassen kann. Ohne die könnte ich das Amt nicht ausüben.“
Dennoch möchte der Abteilungsleiter zumindest die sportliche Leitung und damit seine Doppelfunktion lieber weiterreichen, „damit der Fokus nicht mehr so sehr auf den Aktiven, sondern auf der Abteilung generell liegen kann“. Vielleicht findet sich ja ein weiterer junger Kerl wie er, der zeigt, dass für das Ehrenamt weiterhin Hoffnung besteht.