Die beiden Ditzinger Volker Urbansky und Wolfgang Schattauer erleben den Triumphzug der deutschen Nationalelf in Brasilien live mit. Und selbst nach ihrer Rückkehr fragen sie sich manchmal immer noch, ob sie alles nur geträumt haben.

Ditzingen - Sie sind nicht in Berlin gelandet, sondern in Frankfurt. Und sie haben auch nicht den etwas über sechs Kilogramm schweren FIFA-WM-Pokal im Gepäck gehabt, sondern eine fette, fast schon zur Bronchitis übergehende Erkältung. Egal. „Das ist nicht zu toppen“, sagt Volker Urbansky. „Wenn ich mir ein Wunschkonzert zusammenstellen hätte können, wäre das alles dabei gewesen.“

 

Das alles – das waren die Spiele der deutschen Nationalmannschaft vom Achtelfinale an live und in Farbe in Brasilien. Zusammen mit seinem Freund Wolfgang Schattauer hat der Ditzinger den von einem Spezialveranstalter für Sportreisen organisierten Trip Ende Juni nach Südamerika angetreten. Gebucht war das so genannte deutsche Achtelfinalpaket. Und das endete mit dem Triumph im Finale von Rio de Janeiro. Wolfgang Schattauers großer Wunsch ging tatsächlich in Erfüllung. „Ich möchte nach dem Finale im Maracanã die deutsche Hymne singen können.“ Die Stationen einer weltmeisterlichen Reise: Finale Die beiden Freunde lagen sich nach dem Abpfiff noch minutenlang in den Armen. „Das sind Momente, die kriegst Du nie wieder“, sagt Urbansky, der sich bereits den vierten Stern auf sein Deutschland-Trikot geklebt hat. Das Ditzinger Duo war nicht alleine. Denn neben den rund 25 Deutschen – ein Teil der Reisgruppe – blieb auch ein Großteil der Argentinier. Denn ausgerechnet zum Endspiel fanden sich die beiden Fans inmitten der argentinischen Kurve wieder. Das hatte zwar den Vorteil, dass das erlösende Tor von Mario Götze in der Verlängerung direkt vor ihrer Nase fiel, sie sich aber mit ihrem Jubel doch etwas zurückhalten mussten. „Die Stimmung war anders als beispielsweise in Belo Horizonte. Die argentinischen Fans sind aggressiver.“ Aus diesem Grund bewegten sich die beiden 59-Jährigen auch bei der Anfahrt von ihrem Hotel in Rio zum Stadion möglichst im deutschen Rudel. Das klappte. Allerdings: „Wir sind in der U-Bahn zielsicher in den Wagen mit den meisten Argentiniern eingesteigen“ (Urbansky). Zigtausende waren in der Stadt ohne Eintrittskarte fürs Finale. Schattauer: „Die wollten natürlich alle noch Tickets abgreifen – egal wie.“ Einmal habe er auch ein Knie ins Kreuz gekriegt. Aus der U-Bahn ausgestiegen, stand aber auch schon die erste Kette von Militärs parat. Bis sie auf ihrem Platz im Stadion waren, seien sie noch gefühlte 15-mal kontrolliert worden.

Die gelben Trikots verschwinden aus dem Straßenbild

Halbfinale „Bis zum 3:0 war ja alles einigermaßen normal. Ab dem 4:0 bin ich dann sitzen geblieben, weil ich es einfach nicht glauben konnte.“ Volker Urbansky und Wolfgang Schattauer bekommen fast schon blaue Flecken vom vielen gegenseitigen Drücken (ob der sieben Tore gegen Brasilien) und Kneifen (um feststellen zu können, dass tatsächlich alles Realität ist). Verkehrte Welt in Belo Horizonte. Beim 7:0 haben sich die Brasilianer vor den Deutschen verbeugt. Als das Ehrentor zum 1:7 fiel, da jubelten die Deutschen und nicht die Gastgeber. Das Bild auf der Straße, diesen Eindruck gewannen die beiden deutschen Fans, drehte sich. Bis zum Tag des kleinen Finales sahen sie kaum noch Menschen in ihren leuchtend gelben Nationaltrikots und Shirts. Freundlichkeit und Herzlichkeit gegenüber den ausländischen Gästen blieben jedoch. „Für mich war das einer der wichtigsten und prägendsten Eindrücke“, sagt Schattauer, „auf den Straßen siehst du Menschen mit den unterschiedlichsten Hautfarben. Das ist so bunt wie nur was, aber es gibt keinerlei Diskriminierung oder Ähnliches.“

Frostig war es nur schon längst um die beiden Ditzinger geworden. Urbansky erwischte es so richtig in Belo Horizonte. Er war wohl der einzige, der frierend und zitternd mit einer Jacke da saß. Das ständige Auf und Ab der Temperaturen im Freien und in von Klimaanlagen geregelten Hotels und Bussen forderte seinen Tribut. Schattauer war zuerst dran, im Halbfinale musste Urbansky einen regelrechten Fieberschub überstehen. Und dann stand ja auch noch die achtstündige Rückfahrt per Bus nach Rio auf dem Plan. „Im Bus hat es sich angefühlt wie bei einem Ausflug der Klinik auf der Schillerhöhe. Da haben fast alle gehustet und geröchelt“ (Urbansky).

Freundliche Schuhputzer und Promis zum Anfassen

Viertelfinale Es ist ein Mythos. Jeder Fußball-Fan, der etwas auf sich hält, träumt davon, einmal da gewesen zu sein. Egal ob im legendären ursprünglich bis zu 200 000 Zuschauer fassenden Rund, oder in der modernisierten Version, die Platz für rund 75 000 bietet. Das erste Mal. Alleine das, so Schattauer, bleibt haften. Und dann noch das 1:0 gegen die Franzosen. Ein Sieg, an dem es bei den beiden Ditzingern so gut wie keine Zweifel gab. Urbansky: „Ich hab’ viel Gottvertrauen gehabt.“ Obwohl der Gegner nach Einschätzung der beiden Experten, auf einem guten Weg sei. „2016 bei der Europameisterschaft im eigenen Land werden die da sein“, prophezeit Wolfgang Schattauer. Und dann auch noch die originellen Fans. Ein französisches Pärchen hat sich im Gedächtnis eingeprägt: er im deutschen Outfit als Obelix verkleidet, sie in französischen Farben als Asterix unterwegs. Die Begegnungen der unterschiedlichsten Art wollen die Brasilienfahrer nicht missen. Da war der stets freundliche Schuhputzer direkt neben der Frühstückskneipe, der einer Schönen auch mal 20 Minuten lang die nackten Füße virtuell auf Hochglanz polierte und dabei so tat, als sei es das Normalste der Welt. Da waren aber auch die Partys des Reiseveranstalters vor den Deutschland-Spielen mit Prominenten aus Sport, Funk und Fernsehen. Berührungsängste gab es keine, ob bei Comedian Matze Knop oder dem ehemaligen Bundesligatrainer Eduard Geyer. Und bei Christoph Daum gleich gar nicht. Urbansky und der Fußballlehrer ließen alte Zeiten aufleben. Denn die Wege der beiden hatten sich schon vor rund 20 Jahren gekreuzt, als die TSF Ditzingen zu Regionalligazeiten ihr Trainingslager in der Türkei absolvierten. Achtelfinale Das erste Spiel live in Brasilien (das letzte Gruppenspiel Deutschlands gegen die USA haben die Reisenden am Frankfurter Flughafen verfolgt) ist für die Fußball-Weltenbummler das Wichtigste. In Salvador untergebracht – erst ab dem Viertelfinale war Rio de Janeiro die Basis für die weiteren Unternehmungen – ging’s mit dem Flugzeug nach Porto Alegre. Algerien wartete im Achtelfinale und hätte beinahe den WM-Traum zerstört. Aber auch hier war das Vertrauen groß. Schattauer: „Deutschland hat extrem geduldig gespielt, mit dem Bewusstsein, wir gewinnen das Ding.“ Und außerdem: „Die anderen haben einen Riesen-Respekt vor Deutschland. Das spürt man erst so richtig, wenn man im Stadion ist.“ 20 Minuten vor Schluss schließlich der – nicht nur für Christoph Daum längst überfällige – Wechsel von Philipp Lahm zurück auf die rechte hintere Position. Ein Schachzug, der nicht nur beim 2:1 nach Verlängerung, sondern auch in den folgenden Partien voll aufging. Für Wolfgang Schattauer und Volker Urbansky der Beginn einer sensationellen WM-Reise. Bei der nur eines störte – die FIFA. Urbansky will dazu gar nicht viel sagen und gibt nur ein Beispiel: „Weil schon Ramadan war, hatten sich algerische Fans Schoko-Riegel mitgebracht, die sie nach dem Dunkelwerden essen wollten. Die FIFA-Leute haben sie denen abgenommen, weil es nicht die richtige Marke des Sponsors war. Diese Szene sagt alles.“

Auch bei einem Wunschkonzert lassen sich manche schräge Töne eben nicht vermeiden.