Der Pole Robert Lewandowski erzielt für den FC Bayern gegen Wolfsburg in neun Minuten fünf Tore. Das ist genauso unglaublich wie wahr.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

München - In München hat Gerd Müller, der Anfang November 70 Jahre alt wird, längst seinen Nachfolger gefunden: Thomas Müller ist von anderer Statur und frecherem Maul, aber die Laufwege sind ähnlich krumm und die Stochertore vergleichbar verrenkt wie bei „kleines , dickes Müller“. Thomas Müller hatte in dieser Saison bisher die meisten Tore in der Bundesliga geschossen: Sechs in sechs Spielen. Damit lag er drei Treffer vor dem einzigen echten Mittelstürmer, den der FC Bayern hat: Robert Lewandowski.

 

Als Lewandowski aber innerhalb von drei Minuten und 22 Sekunden im Spiel gegen den VfL Wolfsburg in der Toretabelle mit Müller ausgeglichen hatte (um gleich in Führung zu gehen) – und damit den schnellsten Hattrick der Bundesliga-Historie zusammennagelte – stand nun wieder Thomas Müller im Mittelkreis, sägte mit dem rechten Arm und brüllte, wie fast die ganze Arena, einen Namen: Lewandowski. Thomas Müller, legitimer Erbe von Gerd Müller, war nun nicht mehr und nicht weniger als der allergrößte Fan.

Wie seinerzeit Gerd Müller

51, 52, 55, 57 – 60: das waren die Minuten, in denen Lewandowskis Tore zum 5:1 gegen Wolfsburg fielen, und man könnte die Zahlen, wenn man kein respektvoller Mensch wäre und gleich an das Vereinslied des Lokalrivalen dächte, sogar singen. Man konnte aber auch – und um die förmlich durchdrehende Stimmung doch wieder herunterzukühlen – nach dem Spiel einfach den Ostwestfalen Karl-Heinz Rummenigge fragen, wie er’s denn so gesehen habe. Der Bayern-Chef sagte: „Mit Lewandowski kam Schwung rein“, und weil er merkte, dass er damit den Erkenntnisnagel höchstens am Rand getroffen hatte, ergänzte er die Analyse mit einer Hochnobilitierung: „Wie Gerd Müller früher war Lewandowski immer zur rechten Zeit am rechten Ort.“

Banksitzer in der ersten Hälfte war Lewandowski zwar mit dem Vorsatz gekommen, „ein bisschen Gas zu geben“, hätte aber wohl selber nicht erwartet, vom Wolfsburger Abwehrduo Dante/Naldo so viel Raum zum freien Rotieren zu bekommen. Wo Lewandowski lief, war in der ersten Hälfte kein Bayern-Spieler gestanden. Wolfsburgs Abwehr hatte den Strafraum wirkungsvoll als Tabuzone abgeriegelt, was die Bayern ein wenig ratlos machte. Der Rest war gutes Konterspiel, war feine Beinarbeit von Julian Draxler und ein mutiger Schuss von Daniel Caliguri (die Aktion übrigens eingeleitet vom Ex-Bayer Dante). Mit diesem Gästetor zum 1:0 aus der 26. Minute und einer weiteren Großchance für Wolfsburg, an der Mittellinie vorbereitet vom zu spät herausstürmenden Manuel Neuer, ging man in die Pause. Es sah nicht gut für die Bayern aus, die am Samstag nach Mainz müssen.

Die Wolfsburger Abwehr hat geschlafen

Der Trainer Pep Guardiola wechselte daraufhin gewissermaßen den Maßanzug und verordnete Wiesn-Tracht: rustikales Einsteigen (Xabi Alonso gab die Zeichen), längere Pässe, höhere Flanken: alles auf die Neun sozusagen, und Lewandowski revanchierte sich bis hin zum finalen Seitfallzieher zum 5:1 mit mustergültigen Toren, die von einer zunächst übertölpelten, dann halb schlafenden, schließlich wegschauenden VfL-Verteidigung durchgewinkt wurden.

Der Wolfsburger Trainer Dieter Hecking resümierte, immer noch ein bisschen verwirrt, dass „ein Weltklassespieler fünfmal aufs Tor geschossen“ habe und „siebenmal hätte treffen können“. Umgekehrt wäre es richtig gewesen, aber vielleicht war es dann auch nicht schlecht, dass in dieser tempo- und rekordversessenen Zeit der nette Herr Lewandowski zumindest an ein Limit aus den siebziger Jahren nicht herangekommen ist.

Dieter Müller hat sechs Treffer in einem Spiel erzielt

Definitiv übertroffen wurde durch seinen Dreierpack eine Marke von Michael Tönnies, der 1991, beim 6:2 des MSV Duisburg gegen den Karlsruher SC, den Gegner ebenfalls in Minutenschnelle durchgeschüttelt hatte. Leicht überholt wurden ebenfalls jene fünf Tore, die Manfred Burgsmüller für Borussia Dortmund gegen Arminia Bielefeld 1982 (Endstand 10:1) erzielte. Nur eine noch größere Sternstunde für einen Stürmer hat jetzt Bestand: es sind die sechs Tore, die Dieter Müller vom 1. FC Köln im August 1977 gegen den SV Werder Bremen erzielte (7:2). Drei davon in einer Hälfte, vier davon mit dem Kopf.

Es war die Saison der Kölner – sie wurden am Ende auch Meister und Pokalsieger, und ihr Trainer, Hennes Weisweiler, hatte immer viel dafür übrig, wenn es ordentlich müllerte. Das letzte Tor damals erzielte der wunderbare Heinz Flohe, der mit dem Ball tanzen konnte, als sei der seine Frau.

Heinz Flohe ist vor zwei Jahren gestorben. So hat alles im Fußball, relativ gesehen, seine Zeit.