Die deutsche Nationalmannschaft um Bundestrainer Jogi Löw spielt eine erfolgreiche EM. Und doch gibt es noch Steigerungspotenzial. Vor allem in der Offensive muss noch ein wenig nachgelegt werden.

Warschau - Die Familienzusammenkunft erfolgt bereits zehn Minuten nach dem Schlusspfiff. Im Kabinengang des Stadions von Lwiw warten die blonden Spielerfrauen der dänischen Nationalmannschaft und werden von ihren Männern in Badelatschen freudig begrüßt, reihum mit Küsschen links und Küsschen rechts. Es wird gewitzelt und gelacht; und wahrscheinlich werden auch schon Pläne für den Sommerurlaub geschmiedet. Er kann jetzt losgehen, denn für die Dänen ist die Europameisterschaft vorbei, was niemanden ernsthaft zu betrüben scheint.

 

Für die Spieler der DFB-Auswahl, die erst viel später und in deutlich zurückhaltender Stimmung aus der Kabine kommen, verzögert sich der Urlaub, im besten Falle um weitere zwei Wochen. Am 1. Juli wird im Finale in Kiew der Europameister ausgespielt, dann wollen sie noch immer im Turnier sein. Von diesem Weg hat sich die deutsche Mannschaft bisher nicht abbringen lassen. Sie ist, zumindest was die nackten Zahlen betrifft, auf sehr eindrucksvolle Weise ins Viertelfinale gegen Griechenland eingezogen. Drei Spiele, neun Punkte – so lautet die Vorrundenbilanz nach dem 2:1-Sieg am Sonntag im letzten Gruppenspiel gegen Dänemark.

„Ich kann euch nur aufrufen, in diesem Geist weiterzumachen“, frohlockt der DFB-Präsident Wolfgang Niersbach beim anschließenden Rückflug ins Bordmikrofon: „Ihr seid ein fantastisches Team. Was ihr geleistet habt, ist außergewöhnlich und alles andere als selbstverständlich.“ Die ganz ausgelassene Stimmung jedoch mag dennoch nicht aufkommen. Vielmehr ist es das Gefühl der Erleichterung, mit dem der deutsche Tross in der Nacht zum Montag die Ukraine verlässt und sich auf den Weg in das Teamquartier nach Danzig macht.

Joachim Löws Puls ist noch in Ordnung

Auch die Spieler hatten während der Partie gegen Dänemark mitbekommen, dass zwischendurch ein weiterer Gegentreffer gereicht hätte, um jäh aus allen Träumen gerissen zu werden. Weil Portugal gegen die Niederlande führte, wäre das deutsche Team im Falle einer Niederlage draußen gewesen. Lars Bender sorgte mit seinem Siegtreffer für klare Verhältnisse – und auch der Bundestrainer musste anschließend erst einmal kurz durchatmen. Zwar sei sein Puls jederzeit „bei 60 oder 65“ gewesen, sagte Joachim Löw, doch wusste er ganz genau, „dass wir in diesem Spiel eigentlich nichts zu gewinnen hatten“.

Das war den Spielern anzumerken. Ein wenig gehemmt wirkten sie und taten sich wie schon im ersten Spiel gegen Portugal auch gegen die tief stehenden Dänen schwer, nach einer ordentlichen Anfangsphase zwingende Torchancen herauszuspielen. Der große Fußballzauber mag bei dieser EM noch nicht aufkommen. Eher zäh gestalten sich stattdessen die Angriffsbemühungen, eher glücklich war es, dass am Ende doch noch ein Tor fiel. Als „Weiterentwicklung“ wertete Löw den späten Treffer, „vor drei, vier Jahren hätten wir so ein Spiel noch nicht gewonnen“.

„Eklig“ zu spielen

Als „Job, der getan werden musste“, verbuchte Löw das letzte Gruppenspiel und schaute dann nach vorne. Erfüllt hat seine Mannschaft den Auftrag, als Gruppensieger weiterzukommen. Das erspart ihr eine weitere Flugreise – mit dem Bus kann sie nun am Freitag zum Viertelfinale gegen Griechenland fahren. Nicht erspart bleibt den Spielern dafür, erneut gegen eine Mannschaft anzutreten, die den Weg nach vorne nur in Ausnahmefällen sucht. Als „eklig zu spielende Mannschaft“ hat der Torhüter Manuel Neuer die Dänen bezeichnet – gegen die Griechen könnte es noch ekliger werden. „Da müssen wir erst mal ein Tor schießen“, sagt Thomas Müller.

Noch stärker als bislang wird sich das deutsche Team darauf einstellen müssen, dass sich der Gegner vor dem eigenen Tor verbarrikadiert. „Drei, vielleicht vier Torchancen“ hat Löw im bisherigen Turnierverlauf bei den Griechen gezählt, das reichte für drei Tore und vier Punkte. Sie seien der„Meister der Effizienz“, sie können „wahnsinnig gut verteidigen und werfen sich in jeden Ball“. Kurzum: „Für uns ist das eine große Herausforderung, das zu lösen.“

Özil bleibt unter seinen Möglichkeiten

Bis Freitag bleibt dem Bundestrainer Zeit, den richtigen Schlüssel zu finden, um dieses Bollwerk zu knacken. „Wir müssen eine Schippe drauflegen, das weiß jeder“, sagt der Abwehrspieler Holger Badstuber. Für die Kollegen in der Offensive gilt das gegen die Griechen ganz besonders, nicht zuletzt für Mesut Özil, der in den drei bisherigen EM-Spielen weit hinter seinen Möglichkeiten geblieben ist. Und es weiß auch jeder, dass die Deutschen die turmhohen Favoriten sein werden und folglich alles andere als der Einzug ins Halbfinale eine bittere Enttäuschung darstellen würde. „Mit dieser Rolle“, sagt Badstuber, „werden wir uns befassen müssen.“

Der Angreifer Mario Gomez, der gegen Dänemark erstmals bei dieser EM ohne Tor geblieben ist, sieht trotzdem keinen Grund, nervös zu werden: „Wenn man mit neun Punkten ins Viertelfinale einzieht und dennoch Steigerungsmöglichkeiten hat, dann ist das eine gute Sache, oder etwa nicht?“ Es gab keinen, der widersprochen hätte.