Mit Claudia Neumann darf bei der EM erstmals eine Frau zwei Live-Spiele kommentieren. In der Männerdomäne Sport sind die Vorbehalte weiter groß.

Stuttgart - In den meisten anderen Branchen wäre die Mitteilung banal, nicht jedoch im Fernsehfußball: Bei der Europameisterschaft in Frankreich werden zwei Live-Spiele von Claudia Neumann kommentiert. Die ZDF-Reporterin macht so was nicht zum ersten Mal, außerdem ist sie regelmäßig bei den Bundesliga-Zusammenfassungen im „Aktuellen Sportstudio“ zu hören; aber live war sie bislang nur beim Frauenfußball im Einsatz.

 

Neumann darf zwar nur in der Vorrunde ran (am 11. Juni bei Wales gegen Slowakei und am 17. Juni bei Italien gegen Schweden) und muss die Topspiele ohnehin den Kollegen überlassen; außerdem ist die Nachricht bei weitem nicht so sensationell wie die „Sportstudio“-Premiere von Carmen Thomas (1973) oder der Einbruch Anne Wills in die bis 1999 rein männliche „Sportschau“. Aber sie ist auch mehr als nur eine Fußnote wert, denn der Kommentatorenplatz bei Live-Übertragungen im Männerfußball war Frauen bei ARD und ZDF bislang verwehrt.

„Es gibt kaum Frauen, die sich dafür bewerben“

Das liegt natürlich auch an gewissen Vorbehalten seitens des in der Regel überwiegend männlichen Publikums. Davon abgesehen, versichert ZDF-Sportchef Dieter Gruschwitz, sei es jedoch gar nicht so leicht, geeignete Kandidatinnen zu finden: „Wir erhalten viele Bewerbungen von Männern, die gern unsere Fußballredaktionen verstärken möchten. Frauen schreiben so etwas höchst selten.“ Sport1-Chefredakteur Dirc Seemann hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Als Live-Kommentator im Fernsehen zu arbeiten ist ein Traumberuf für viele junge Leute. Das gilt aber vor allem für Männer. Es gibt kaum Frauen, die sich dafür bewerben. Womöglich trauen sie sich den Sprung ins kalte Wasser nicht zu.“

Tatsächlich lassen sich die Kommentatorinnen im deutschen Fernsehen an einer Hand abzählen. „Sportschau“-Chef Steffen Simon (WDR) erklärt das so: „Fußballkommentator ist ein wunderbarer Beruf, aber man muss emotional an bestimmten Stellen abgestumpft sein. Es gibt nicht viele Frauen, die sich einem solchen Feuer auch wirklich aussetzen wollen.“ Eine gewisse Rolle spiele auch die Stimme, denn „wenn es im Stadion laut wird, geraten weibliche Stimmen leicht in Bereiche, die akustisch unangenehm werden.“

Unterm Strich ist die Sache mit dem Feuer aber wohl der entscheidendere Punkt. Was Simon meint, lässt sich in den sozialen Netzwerken nachlesen: Dort werden die Fußballjournalisten mit Schmähungen geradezu überschüttet. Sky-Moderatorin Jessica Kastrop äußert sogar ein gewisses Verständnis: „Die negativen Beiträge stammen meist von den Anhängern der unterlegenen Mannschaft. Die suchen sich einen Sündenbock, und manchmal trifft es eben uns Journalisten.“ Außerdem rückt sie die Maßstäbe zurecht: „Andere müssen viel Schlimmeres erdulden, zum Beispiel die ZDF-Kollegin Dunja Hayali, die wegen ihres Engagements gegen Fremdenfeindlichkeit sogar Morddrohungen erhält.“

„Als Kommentator ist man schon immer gemobbt worden“

Auch Simon relativiert die Aktivitäten in den Netzwerken: „Als Kommentator ist man schon immer gemobbt worden, selbst wenn die sozialen Medien den Menschen heutzutage natürlich ganz andere Möglichkeiten liefern.“ Es sei daher vor allem eine Frage der Verantwortung, dass die „Sportschau“ seit der Erkrankung von Monica Lierhaus im Januar 2009 wieder reine Männersache ist: „Die Sportschau ist mit regelmäßig fünf bis sechs Millionen Zuschauer die erfolgreichste Sportsendung im deutschen Fernsehen. Das ist die größtmögliche Bühne, auf der man furchtbar scheitern kann.“ Immerhin gibt es mit den Moderatorinnen Julia Scharf und Jessy Wellmer zwei Kandidatinnen, die sich aber in aller Ruhe etablieren sollen.

Im Gegensatz zu Simon glaubt Gruschwitz nicht, dass Frauen im Fernsehfußball ein dickeres Fell bräuchten als Männer: „Wer sich auf diese Bühne begibt, ob als Kommentator oder Moderator, muss mit Gegenwind rechnen. Ob man auch mit Attacken unter die Gürtellinie klarkommt, ist jedoch weniger eine Frage des Geschlechts, sondern der Persönlichkeit.“ Jessica Kastrop sagt dazu: „Eine doofe Frage bleibt eine doofe Frage, ganz egal, ob sie von einer Frau oder von einem Mann gestellt wird.“

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