Die EM-Geschichte wurde vielfach geprägt von deutschen Lichtgestalten. Zweien gelang sogar der finale Doppelschlag: Oliver Bierhoff entschied als Plan B im Ärmel des Bundestrainers in höchster Not die EM 1996 – hoffähig gemacht hat die Brechstange im Fußball ein Hüne bei der EM 1980 in Rom: Horst Hrubesch Teil sieben unser EM-Serie.

Stuttgart -

 

In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts hat sich herausgestellt: Ohne den himmlischen Beistand des Fußballgotts, der als Komplize Schmiere steht, gewinnt man keinen Blumentopf mehr. Fragen Sie Diego Maradona.

Oder Horst Hrubesch.

Bei dem war es allerdings nicht die Hand Gottes, er hatte den Papst in der Tasche – der Stellvertreter des Allmächtigen im Basislager des Vatikans segnete den Hamburger Torjäger im Juni 1980 mit dem Heiligen Geist. Ein paar Tage später war Deutschland Europameister.

In den Geschichtsbüchern des Fußballs ist der Vorfall verewigt als „Doppelpass von Rom“, dabei ergab sich das Zusammenspiel zwischen Johannes Paul II. und dem deutschen Sturmtank eher durch Zufall. Der Papst empfing während der EM 1980 eine Gruppe deutscher Fußballer im Petersdom zur Audienz, und plötzlich, schwören Augenzeugen, schritt der Heilige Vater an Hrubesch vorbei, winkte ihm zu – und spreizte beim Segen zwei Finger.

Hrubesch dachte sich zunächst nichts dabei, bis ihm sein alter Weggefährte Gerd Krall, ein Hamburger Journalist, auf die Sprünge half: „Mensch, Horst, das war das Victory-Zeichen – der will dir sagen, dass du zwei Tore machst!“ Das folgende Spiel gegen Griechenland endete dann als torlose Nullnummer, und fast hätte Hrubesch den Glauben verloren. Doch die Wege des Herrn sind unergründlich – und auch Umwege gehören offensichtlich dazu.

Rom, Stadio Olimpico, 22. Juni 1980, das große Finale

Rom, Stadio Olimpico, 22. Juni 1980, das große Finale. Deutschland trifft auf Belgien, und der Eleganteste auf dem Platz ist Bernd Schuster, den sie den „Blonden Engel“ nennen. Schwerelos schwebt der Augsburger übers Feld und schüttelt die Bälle nur so aus dem Fußgelenk. Zum Niederknien ist vor allem sein Schlenzer gleich zu Beginn des Spiels – aber was wäre alle schöne Kunst wert ohne den hünenhaften Haudruff da vorne, der sich des Balles irgendwie annimmt, um ihn dann kurz und schmerzlos ins belgische Tor zu dreschen. 1:0, Hrubesch.

Die Belgier gleichen dann aus, und das Spiel steht auf der Kippe, bis zur vorletzten Minute. Ecke für Deutschland. Kalle Rummenigge schlenzt den Ball vors Tor, und dort weiß Hrubesch sofort, was er seinem Spitznamen „Kopfballungeheuer“ schuldig ist: Er steigt hoch, bringt seine 195 Zentimeter und 98 Kilo zur Entfaltung und wuchtet das Runde ins Eckige. „Siehst du, Horst“, sagt hinterher Journalist Krall, „der Papst lügt nicht.“

Der kurze Draht zum Himmel war für Hrubesch ein Segen. Denn nach menschlichem Ermessen war er viel zu spät dran. Er war schon 29 und macht sich in der Rückschau nichts vor: „Wenn Klaus Fischer sich nicht das Bein gebrochen hätte, wäre ich gar nicht dabei gewesen.“ So kam er acht Wochen vor der EM zu seinem ersten Länderspiel. Wenn der Fischer nicht kann, sagte sich Bundestrainer Jupp Derwall, nehme ich halt den Fischer vom HSV. Hrubesch war Angler, und wie Hemingway („Der alte Mann und das Meer“) schrieb er darüber sogar ein Buch („Dorschangeln vom Boot und an den Küsten“). Manchmal ging ihm ein fetter Lachs an den Haken, und als wir ihn einmal besuchten, erklärte er uns alle Köder bis hin zu den Bleibeschwerungen und sagte: „Ich kann Knoten knüpfen, mit denen man sich aufhängen kann.“

Aber vor allem konnte er die Kugel köpfen, dass sich die Gegner oft am liebsten aufgehängt hätten. Hrubesch hätte auch einen Flugkopfball gegen die Bordsteinkante hingekriegt. Jedenfalls war der Lange da, wenn mit Klein-Klein und Flach-Flach nichts mehr ging und die Balltätschler mit ihrem Latein am Ende waren. Er war die höhere Gewalt in Person, und wenn ihm Verteidiger Manni Kaltz von rechts die Bälle zuflankte, erledigte er den Rest zack, zack wie hinterher beim Interview: „Manni Banane, ich Kopf – Tor.“

Wie krumme Südfrüchte sind die Flanken zu Hrubesch

Wie krumme Südfrüchte sind die Flanken zu Hrubesch geflogen, und die gnadenlose Verarbeitung brachte ihm außer „Kopfballungeheuer“ weitere martialische Pseudonyme ein wie „Strafraumschreck“, „Sturmtank“ und „Abrissbirne“. Die Belgier haben damals in Rom vor Schreck senkrecht zu ihm hochgestarrt. Kommt aus dem Nichts und erledigt sie mittels Doppelschlag. Ungeheuerlich. Unwiederholbar.

Unwiederholbar?

Sechzehn Jahre später war Hrubesch wieder da. Er hieß jetzt zwar Oliver Bierhoff – aber sonst war alles wie beim ersten Mal. Wieder ein Hüne. Wieder einer, der in der Luft eine Kante war, aber am Ball als eckig galt. „Der Bierhoff kann nix“, hatte vorher Ex-Bomber Gerd Müller geunkt, und die Anhänger des Filigranfußballs rauften sich die Haare – aber Bundestrainer Berti Vogts wusste, warum er den Kantigen vor der EM 96 zu sich rief.

Kurz danach, im EM-Finale in Wembley, steht es 1:0 für die Tschechen, und der Abpfiff naht. In einem solchen Moment gießt man sich als Trainer entweder tröpfchenweise das Weihwasser in die Sakkotasche, drückt eine Hasenpfote in der Hose, schickt ein Stoßgebet zum Himmel – oder fragt wie Vogts verzweifelt seinen Ärmel: „Hast du noch einen letzten Trumpf in dir stecken?““

„Ja“, antwortet der Ärmel, „den Bierhoff.“

„Nimm den Bierhoff mit“

Kopf Bierhoff – 1:1. Fuß Bierhoff – 2:1. Es ist, in der Verlängerung, das erste Golden Goal der Fußballgeschichte, auf der Stelle ist Schluss, und der Held reißt sich das Trikot vom Leib, er hat den Doppelschlag seines Lebens gelandet, ein in den ewigen Stein gemeißeltes Ding „wie Uwe Seelers Tor mit dem Hinterkopf 1970 in Mexiko“ (Bierhoff). Hinterher stellt sich heraus: Die Idee mit der Brechstange hatte gar nicht Berti Vogts. Seine Frau war es, die mit ihrem weiblichen Instinkt sagte: „Nimm den Bierhoff mit.“

Bald danach war dann nichts mehr, wie es war. Die Frau von Berti war weg, der Bundestrainer war weg – und die Brechstange als solche wurde zu Grabe getragen. Wie sie gestorben ist? Nein, nicht friedlich im Bett. Sie wurde in den Tod getrieben von den Taktik-Revoluzzern, Flachpass-Fanatikern und Tiki-Taka-Philosophen, die den Sturmspitzen der alten Schule zusehends das Wasser abgruben mit falschen Neunern, die auf Höhe der Grasnarbe den Ball ins Tor zu dribbeln versuchen.

Manchmal misslingt es. Manchmal finden die Zaubermäuse da unten einfach kein Schlupfloch, und plötzlich wird es eng, und die Zeit drängt, und ein Tor muss her – und mit Wehmut denken dann alle zurück an das Endspiel in Rom anno 80, als Horst Hrubesch geschwind zum Luftangriff blies, bei der letzten Banane die Birne hinhielt und die Brechstange im Fußball hoffähig machte. Johannes Paul II. sei Dank.