Für das DFB-Team ist die EM zu Ende, Joachim Löw lässt offen, ob er weitermachen will. Einen Umbruch wird es dieses Mal aber wohl kaum geben.

Marseille - Ein letztes Mal muss Joachim Löw da oben sitzen. Ungezählte Male hat er in den vergangenen knapp sieben Wochen auf irgendwelchen Podien hinter irgendwelchen Getränkeflaschen Platz genommen und Fragen beantwortet. In einem weißen Zelt in Ascona hat er das während des EM-Trainingslagers getan, in einer Turnhalle am Basisquartier in Évian, in den Fußballstadien von Lille, Saint-Dénis, Paris und Bordeaux, jeweils vor den Spielen und auch danach. Nun ist er in Marseille angekommen, es ist das vorzeitige Ende seiner Reise – und offen bleibt nur noch eine letzte Frage: Ob das Halbfinal-Aus etwas daran ändere, dass Löw seinen Vertrag bis 2018 erfüllen und weiterhin Bundestrainer bleiben werde.

 

Es schwingt in dieser Frage kein Zweifel mit und schon gar kein Vorwurf – sehr respektabel ist schließlich auch bei der EM die Leistung seiner Mannschaft gewesen. Man würde es eben nur gerne bestätigt wissen. Auch nach dem WM-Sieg hatte Löw seine Zukunft offen gelassen und damit Spekulationen befeuert, er wolle womöglich am Höhepunkt seiner Karriere zurücktreten. Diesmal ist keineswegs ein Tiefpunkt erreicht, der ein Anlass für den Abschied sein könnte – doch lässt Löw seine Pläne auch jetzt im Dunkeln: Die Zukunft sei im Moment „keinen Gedanken wert“. Er wolle erst einmal nach Hause fliegen, dann werde man weitersehen, das könne „zwei oder drei Wochen dauern, vielleicht auch vier“.

Es gibt Gründe zur Hoffnung, dass das Team in zwei Jahren wieder ganz oben stehen wird

Dass der Bundestrainer so viel Bedenkzeit benötigt, ist so unwahrscheinlich wie ein Rücktritt. Die EM in Frankreich hat er ursprünglich nur als Zwischenziel gesehen auf dem Weg zur WM 2018 in Russland. Und auch wenn es nichts geworden ist mit dem EM-Titel, der greifbar nahe war – Löw weiß, dass es viele Gründe zur Hoffnung dafür gibt, dass sein Team in zwei Jahren wieder ganz oben stehen wird. „Es ist eine unglaublich gute Energie in unserem Team“, sagt Löw: „Das ist eine tolle Mannschaft.“

In Philipp Lahm, Per Mertesacker und Miroslav Klose traten vor zwei Jahren Führungsfiguren aus dem DFB-Team zurück. Den großen Umbruch wird es diesmal nicht geben. Es ist anzunehmen, dass Lukas Podolski nach seinem siebten Turnier, bei dem es nur noch zu einem Kurzeinsatz gereicht hat, in allen Ehren verabschiedet wird. Die gleiche Wegstrecke liegt hinter Bastian Schweinsteiger, dem Kapitän, dem die Verletzung von Sami Khedira noch einmal zu einem Halbfinale verhalf. Auch er dürfte zu dem Entschluss kommen, dass nun die Zeit gekommen ist, für Jüngere Platz zu machen.

Personell dürfte sich nur wenig ändern

Vermutlich wäre es nicht die schlechteste Idee gewesen, schon nach der WM Abschied zu nehmen. Damals ist Schweinsteiger der große Held gewesen, jetzt der Unglücksrabe, der den Elfmeter verschuldet hat, was seine Lebensleistung nicht schmälert. „Der Weg der Mannschaft geht auf jeden Fall weiter“, sagt er, „ich persönlich muss erst einmal Abstand gewinnen.“

Ansonsten aber dürfte sich personell wenig ändern, wenn die Nationalmannschaft am 31. August ein Testspiel gegen Finnland bestreitet und vier Tage später in Norwegen in die WM-Qualifikation startet. „Im Kern der Stammspieler werden wir zusammenbleiben“, sagt Mats Hummels. „So viele von uns sind ja noch nicht in den 30ern.“ Torwart Manuel Neuer zähle nicht, „der kann ja spielen, bis er 55 ist“.

Joshua Kimmich war die Entdeckung der EM

An hochtalentiertem Nachwuchs fehlt es zudem nicht. Joshua Kimmich hat gezeigt, dass er die von Lahm hinterlassene Lücke hinten rechts füllen kann, der Münchner war die Entdeckung dieser Europameisterschaft. Julian Weigl hat zwar vergeblich auf einen Einsatz gewartet, Leroy Sané ist nur ganz am Schluss eingewechselt worden – als Versprechen aber gelten auch sie, genau wie Julian Brandt, der kurz vor der EM aussortiert wurde. „Man kann sich auf die Zukunft freuen“, sagt Neuer. „Die jungen Spieler werden versuchen, Verantwortung zu übernehmen.“

Ungelöst jedoch bleibt die Stürmerproblematik – ein Grund dafür, dass Deutschland bei der EM vorzeitig gescheitert ist. Nur zu einem Treffer hat es in den Spielen gegen Polen, Italien und Frankreich gereicht, die einzigen drei ernst zu nehmenden Gegner in Frankreich. Thomas Müller lief das ganze Turnier über seiner Form hinterher, Mario Gomez wurde mit fast 31 wieder zum großen Hoffnungsträger, ehe er sich verletzte. Eine schnelle Lösung ist nicht in Sicht. In den vergangenen Jahren wollten alle immer nur dribbeln wie Götze, Reus oder Özil. Die Mittelstürmer sind in Verruf geraten, jetzt werden sie wieder benötigt und sind nicht da.

Immerhin: bis zur Weltmeisterschaft bleiben noch zwei Jahre Zeit.