Frankreich hat einen neuen Fußball-Liebling: Mit seinem Siegtor im Eröffnungsspiel gegen Rumänien katapultiert sich Dimitri Payet in die Herzen der Fans.

Sport: Carlos Ubina (cu)

Paris - Man kennt diese Geschichte. Sie handelt immer wieder vom gleichen Traum eines Kindes. Ein Junge, der sich ausmalt, wie er das erste Mal das Nationaltrikot überstreift. Wie er selbst sein erstes großes Turnier bestreitet und dabei sein erstes Tor erzielt, ein entscheidendes. Doch diesmal ist der Traum ausgefallen – trotz eines Traumtores.

 

Doch Dimitri Payet konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was er da am Freitagabend erlebt hat. „Wenn mir das vorher jemand gesagt hätte, ich hätte es nicht geglaubt, dass mir so etwas gelingt“, sagt Payet. Mit dem rechten Fuß hat er den Ball angenommen, mit links abgezogen und kurz vor Schluss zum 2:1-Sieg gegen Rumänien im EM-Eröffnungsspiel in den Winkel gejagt. Ein Schuss, der ihn in die Herzen der Franzosen katapultiert hat.

Payet soll in Eiswürfel gepackt werden

Jetzt ist er der neue Liebling der Grande Nation, und Didier Deschamps will Payet in Eiswürfel packen und schockgefrieren, „damit ihm nichts passiert“. Am Mittwoch können die Gastgeber gegen Albanien schon den Achtelfinaleinzug perfekt machen – und Payet ist der Hoffnungsträger. Dabei hat selbst der Trainer lange nicht auf die Fußballkünste des 29-jährigen Offensivspielers vertraut. Erst in diesem Jahr holte ihn Deschamps in die Equipe Tricolore zurück. Weil er bei West Ham United zauberte, weil er in der englischen Premier League traf und weil er endlich diese Begleiterin losgeworden ist, die ihn seit seiner Ankunft auf dem französischen Festland den Weg zu weisen schien und Trainer zur Verzweiflung trieb: die Unbeständigkeit.

Zwölf Jahre alt war Payet, als er von seiner Heimat La Réunion im Indischen Ozean in die Jugendakademie des Zweitligisten AC Le Havre kam. Einen disziplinierten Fußballer wollten sie aus dem Talent machen. Doch Payet ist wie sein Spiel geblieben: unangepasst. Und am besten ist er, wenn er Freiräume genießt. Wie bei West Ham, wo sein Trainer Slaven Bilic sagt: „Ich sehe ihn auf einem Niveau mit Mesut Özil.“ Ein fußballerischer Feingeist ist er, mit brillanter Technik, guten Dribblings und starken Freistößen. Das war schon früh zu erkennen. Allerdings kam alles erst spät zum Tragen. Vier Jahre nach seiner Ankunft in Le Havre ging Payet zurück, weil er es nicht mehr aushielt. Zum zweiten Anlauf, sein Fußballglück in Frankreich zu versuchen, musste Vater Alain den eigenwilligen Sohn fast zwingen.

Seine Karriere gleicht einer Achterbahnfahrt

Doch beim FC Nantes nahm die Profikarriere ihren Lauf – und gleicht seither einer Achterbahnfahrt. Rauf und runter ging es auf seinen Stationen in St. Etienne, Lille und Marseille in der Ligue 1. Glanzleistungen wechselten sich mit Eskapaden ab, so dass weder Laurent Blanc den Angreifer zur EM 2012 noch Didier Deschamps zur WM 2014 mitnahm. Immer gab es auch vermeintlich begabtere Spieler mit ausgeprägtem Charakter in seinem Segment. Franck Ribéry, Samir Nasri, Hatem Ben Arfa. Und ein weiterer Querkopf im blauen Trikot schien zu viel.

Doch im Vergleich zu ihnen ist Payet vielseitiger. Er kann auf dem linken Flügel spielen. Er kann auf die andere Seite rochieren und Olivier Giroud die Flanke zum Führungstor servieren. Er kann auch in die Mitte wechseln und wichtige Treffer erzielen. Aber aus seiner Haut kann er auf dem Platz nicht. „Der Sieg war die Frucht von Arbeit und Opfern“, sagt Payet, der am Ende emotional so aufgewühlt war, dass er bei seiner Auswechslung die Tränen nicht zurückhalten konnte. Auch, weil seine Familie aus La Réunion auf der Tribüne miterleben durfte, wovon er nie zu träumen wagte.