Warum die Zukunft des DFB-Präsidenten Reinhard Grindel vom Zuschlag für die EM 2024 für Deutschland abhängt – und er bei einer Niederlage kaum noch zu halten sein wird.

Sport: Marco Seliger (sem)

Nyon/Stuttgart - In ein nobles Golf-Hotel im Land des Weltmeisters hat sich Reinhard Grindel mit seiner Delegation zurückgezogen. Auf französischer Seite, wenige Kilometer vom Genfer See entfernt, bereitete sich der 21-köpfigen Tross des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) mit dem Präsidenten an der Spitze zwei Tag lang auf die Stunde der Entscheidung vor. In Nyon, dem Sitz der Europäischen Fußball-Union (Uefa) in der Schweiz, entscheidet das Exekutivkomitee des Kontinentalverbands an diesem Donnerstag über die Vergabe der EM 2024. Vorher wartet auf die Bewerber die entscheidende Fragestunde vor den Uefa-Delegierten, gegen 15 Uhr wird die Verkündung des Ausrichterlands erwartet. Deutschland oder Türkei, das ist die große Frage.

 

Für Reinhard Grindel geht es um noch mehr. Um viel mehr.

Alles oder nichts, so könnte man die Gemengelage rund um den hochumstrittenen DFB-Präsidenten ausdrücken. Grindel hat die EM 2024 als sein „Leuchtturmprojekt“ bezeichnet – falls es schief geht, liegt alles in Schutt und Asche. Für den DFB. Vor allem aber für Grindel selbst. Seine Tage als Präsident dürften mittelfristig gesehen gezählt sein. Wobei seine Lage so oder so eher ungünstig aussieht. Als verbrieft gilt, dass Grindel im Falle einer Niederlage recht schnell seinen Posten verlöre. Und bei einem Sieg? Auch dann ist es eher unwahrscheinlich, dass er sich langfristig im Amt halten könnte. Also über den September 2019 hinaus, wenn beim DFB wieder ein Präsident gewählt wird.

Grindel ist Infantino ein Dorn im Auge

Nicht nur aus DFB-Kreisen ist in diesen Tagen zu hören, dass man die EM im Fall der Fälle nicht wegen Grindel bekäme. Sondern trotz Grindel. Er ist ein Gesicht der Bewerbung, das offenbar keiner mehr sehen will. Auch nicht in Teilen der Uefa – was die Sache mit Blick auf die EM-Vergabe spannend macht. In Kreisen des europäischen Verbands und auch des Weltverbands Fifa wird offenbar schon länger über die teils anmaßend, herrisch und besserwisserisch auftretenden Deutschen gesprochen. Mit Grindel an der Spitze, der etwa gern mal höchstpersönlich ein korrektes Verhalten bei Fifa-Chef Gianni Infantino anmahnen soll. Längst ist Grindel dem mächtigen Boss des Weltverbands ein Dorn im Auge, und so läuft der DFB Gefahr, dass Infantino als ehemaliger Generalsekretär der Uefa bis zuletzt noch ein paar Drähte bei seinem alten Verband glühen lässt. Und dabei mutmaßlich nicht für den DFB auf Stimmenfang geht.

Grindels mangelhaftes diplomatisches Geschick passt ins Bild der vergangenen Jahre. Seit seinem Amtsantritt im April 2016 summieren sich die Fehler, mit dem Tiefpunkt der Affäre um Mesut Özil und Recep Tayyip Erdogan und ihren verheerende Folgen für das Ansehen des deutschen Fußballs.

Auch DFB-intern sind offenbar viele Mitarbeiter genervt vom rigiden Führungsstil des 57- Jährigen, der sich offenbar ausdauernd auch in untergeordnete und eher unbedeutende Belange einmischt, und das nicht gerade mit dem feinsten Ton. Das EM-Projekt 2024 war Grindel schon vor dem Krisensommer ans Herz gewachsen – geerbt vom früheren DFB-Präsidenten Wolfgang Niersbach, der die Bewerbung im Oktober 2013 angekündigt hatte. Grindel stieg damals als unbekannter Schatzmeister und CDU-Hinterbänkler im Bundestag beim DFB ein. Die Sommermärchen-Affäre, über die Niersbach 2015 stolperte, öffnete ihm die Tür ins Präsidentenbüro.

Das große Stühlerücken könnte bald beginnen

Fest steht nun: Alleine hätte Grindel die EM keinesfalls nach Deutschland geholt. Hinter den Kulissen arbeitete ein kleines deutsches Team monatelang an jedem Bewerbungsdetail. Andere, wie offenbar auch Karl-Heinz Rummenigge, der Vorstandschef des FC Bayern, machten ihren Einfluss pro DFB geltend. Er war bis 2017 Vorsitzender der mächtigen europäischen Clubvereinigung ECA, die am Donnerstag bis zu zwei Stimmen hat. Rummenigges Wort hat Gewicht. Der Weltmeister-Kapitän von 2014, Philipp Lahm soll obendrein als EM-Botschafter viele Türen geöffnet haben. Grindel kämpfte derweil um seinen Posten. Immer wieder betonte er, dass er beim DFB keine Führungskrise sehe. Die deutsche Fußballszene wiederum hat sich bis zum entscheidenden Tag der EM-Vergabe Stillschweigen verordnet. Kritik am Verbandschef vor der Entscheidung durch die Uefa, das wäre nicht nur ein Eigentor, es wäre von der Außenwirkung her so etwas wie eine komplette Kapitulation gewesen.

Dabei ist es so, dass sich in der Liga, bei den Clubchefs und auch bei den Amateuren kaum noch Unterstützer für Grindel finden. Der DFB-Chef hat kaum Rückhalt. „Es ist leider normal, dass im Falle eines Misserfolgs wieder Struktur- und Personaldiskussionen geführt werden, auch wenn dies vielleicht nicht immer gerecht ist“, sagte DFB-Generalsekretär Friedrich Curtius diese Woche der FAZ. Es ist eine Aussage, die tief blicken lässt. Das Stühlerücken an der DFB-Spitze könnte bereits an diesem Donnerstag seinen Anfang nehmen.