Der Portugiese Fernando Santos fühlt sich in seiner Wahlheimat Griechenland heimisch und ist als Trainer ein Glücksgriff für die griechische Nationalelf.

Opalenica - Dass Fernando Santos aus Portugal kommt, lässt sich schon beim bloßen Hinsehen erahnen. Der Mann schleicht oft zur Trainerbank wie der personifizierte Fado. Gesenkter Kopf, melancholischer Blick – die ewige Sehnsucht, von welcher der portugiesische Nationalgesang erzählt? Nicht unbedingt. Wie bei manchem, das mit griechischem Fußball zu tun hat, handelt es sich um ein Paradox. Fernando Santos hat kein Heimweh.

 

Santos, 57, sagte diese Woche sogar: „Ich bin Grieche.“ Das klingt bei dem aktuellen politischen Kontext erst mal nach einer großen Solidaritätserklärung mit einem leidenden Volk, ein bisschen so wie damals bei John F. Kennedy in Berlin. Aber es war vor allem als Zustandsbeschreibung gemeint. Auf Pathos weicht er eher selten aus.

Der aktuelle Nationaltrainer ist da ganz anders als sein Vorgänger, der Europameistertrainer Otto Rehhagel. Der flog zu den Spielen nach Griechenland ein, stieg allenfalls mal zur Akropolis hinauf und betätigte sich ansonsten als Anekdotenerzähler aus der großen, weiten Welt, und sie verehren ihn trotzdem bis heute. Santos hingegen, dessen Elf heute (20.45 Uhr/ZDF) gegen die deutsche Mannschaft im Viertelfinale antritt, arbeitet schon seit Jahren im Land. Wo Rehhagel mit seinem Übersetzer Ioannis Topalidis ein unzertrennbares Duo bildete, spricht er mit den Spielern ganz überwiegend Griechisch. Santos hat AEK Athen, Panathinaikos und Paok Saloniki trainiert, überwiegend erfolgreich; als er 2010 Rehhagels Nachfolger wurde, hatte man ihn ja gerade auch zu Griechenlands Trainer des Jahrzehnts gewählt.

Gegensätze ziehen sich an

Gegensätze ziehen sich manchmal an, wahrscheinlich schätzen sie gerade deshalb die Sachlichkeit des gelernten Ingenieurs. Herz und Leidenschaft bringen ja schon die Spieler genug mit, die am besten sind, wenn es eng wird, wenn es ums sportliche Überleben geht. Das ist das große Paradox des griechischen Fußballs, dass er scheinbar so wenig der Alltagsmentalität entspricht, oder zumindest dem Klischee davon, in seiner Effizienz und seiner Disziplin. Santos hat dieses psychologische Gerüst übernommen. Es ermöglicht den Griechen, wie schon 2004 auch bei diesem Turnier über ihrer Gewichtsklasse zu boxen.

Erneut haben sie es mit nur einem Vorrundensieg in das Viertelfinale geschafft, erneut dafür weniger Torchancen gebraucht als jeder andere Teilnehmer (drei pro Spiel), erneut präsentieren sie sich in den entscheidenden Phasen als nahezu unbezwingbar (seit zwei Jahren kein Pflichtspielgegentor im letzten Spieldrittel). Erneut waren sie gegen die stärkste Mannschaft ihrer Gruppe – das Team aus Russland – selbst am stärksten.

Damit es nach schwächeren Jahren seit 2004 wieder so weit kommen konnte, waren allerdings ein paar taktische Updates nötig. Santos’ Kernanliegen dabei sind eine etwas höhere Verteidigung und das Umschalten von Defensive auf Offensive. Kompakt stehen, Ball erobern, und dann innerhalb kürzester Zeit vor das gegnerische Tor kommen: Nimmt man den Ballbesitzfußball von Josep Guardiolas FC Barcelona und den Konterfußball à la José Mourinho (Real Madrid) als grundsätzliche Stilrichtungen dieser Tage, dann ist Santos klar bei seinem Landsmann Mourinho.

Es geht vor allem um die Harmonie im Spiel

In der Trainingslehre ist er wie dieser von der Schule des FC Porto beeinflusst, den er Ende der neunziger Jahre coachte. Dort lehrt der ehemalige Universitätsprofessor Vitor Frade sein akademisches Konzept der „taktischen Periodisierung“, das, vereinfacht ausgedrückt, mit einem ganzheitlichen Ansatz und situationsorientiertem Training die optimale Harmonie zwischen den einzelnen Spielern und Mannschaftsteilen anstrebt. In der zweiten Hälfte gegen Russland lieferten die Griechen diesbezüglich tatsächlich ein kleines Meisterwerk ab; ihr Abwehrbollwerk bewegte sich wie an einer Schnur.

Nach dem Spiel sagte Santos auf eine Frage nach Angela Merkel, „Zivilisation, Demokratie und die Wissenschaften kommen aus Griechenland“, da sei es irgendwann auch mal gut mit den ewigen Ratschlägen. Wer ihn kennt, sagt, das sollte heißen: Jetzt lasst uns auch mal kurz so einen Fußballsieg genießen.

Santos selbst, gläubiger Katholik und wöchentlicher Kirchgänger, tat das auf seine Weise. Mit seinem aus Brasilien angereisten Sohn unterhielt er sich bis tief in den Morgen, und da es nun schon hell und Sonntag geworden war, besuchte der Fußballlehrer noch das nächste Warschauer Gotteshaus. Als er im Bett lag, war es acht Uhr. So mag Santos etwas ruhiger sein als ein echter Grieche, aber die Nacht zum Tag machen, das kann er schon auch.