Ein launig-bunter Prognosen-Mix aus dem Sport von den Fildern, der zeigt: von der „Vollkatastrophe“ bis zum drohenden Stress mit dem Schwiegervater ist offenbar alles drin.

Lokalsport : Franz Stettmer (frs)

Filder - An diesem Freitagabend hat das Warten ein Ende: Anpfiff bei der wegen Corona um ein Jahr verlegten Fußball-EM. Wer ihre Favoriten sind, was sie der deutschen Mannschaft zutrauen, wie sie selbst das Turnier verfolgen – dazu haben wir einige Sportler und Sportlerinnen von den Fildern befragt. Blitzfazit: zwischen „Vollkatastrophe“ und Sekt, der schon einmal in den Kühlschrank gestellt werden kann, liegt alles drin.

 

Drei Herzen in einer Brust

Einen Verlierer gibt es jedenfalls schon, bevor der erste Ball gerollt ist. Jener heißt Antonino Rizzo und ist der Trainer des TSV Plattenhardt. Im vergangenen Jahr, am ursprünglichen Termin, hätte Rizzo das Angebot für Eintrittskarten gehabt. Seine Entscheidung lautete: danke, nein. Zu unsicher in dieser Coronazeit. Inzwischen weiß er: „Dumm gelaufen.“ Beim Eröffnungsspiel in Rom sitzt Rizzo nun nicht live im Stadion, sondern nur zuhause vor dem Fernseher. Dort wird er in den nächsten Tagen womöglich damit beschäftigt sein, ein inneres Gefühlschaos zu sortieren.

Das Problem in Kurzform dargestellt: der Vater Italiener, die Mutter Deutsche mit ungarischen Wurzeln, er selbst zwar in Deutschland aufgewachsen, aber von Kindesbeinen an großer AC-Mailand-Fan. Mamma mia! Während der Euro schlagen eigentlich zweieinhalb bis drei Herzen in Rizzos Brust. „Ich wünsche mir ein Finale Deutschland gegen Italien“, sagt er – in dem er dann, wie er einräumt, „ein ganz kleines bisschen mehr“ den Azzurri die Daumen drücken würde. Freilich, wünschen und glauben sind zwei verschiedene Dinge. Gilt es einen Tipp abzugeben, wer tatsächlich Europameister wird, ist Rizzo weder bei Deutschland noch Italien und erst recht nicht Ungarn – sondern bei den Engländern. Die haben zwar bekanntermaßen so gut wie noch nie etwas gewonnen, wenn es darauf ankam. Doch schätzt Rizzo: „Dieses Mal sind sie reif.“

Stresstest mit dem Schwiegervater

Einstweilen ein Gruß aus der Ferne von einem Filderstädter Kickerkollegen. Genauer gesagt: aus Rom. Anders als Rizzo hat der Bonlandener Torjäger Ugur Yilmaz zugegriffen, als es um Tickets ging. Vier Zuschauerplätze sind für ihn und seine Mitreisenden zum heutigen Turnierauftakt im Olympiastadion gebucht. Einer kniffligen Konstellation sieht sich allerdings auch Yilmaz ausgesetzt. Welch Auslosung: Türkei gegen Italien! Ausgerechnet! Mit wem Yilmaz fiebert, klar – ebenso wie nicht minder sicher ist, wem die ganze Leidenschaft seines Nebensitzers gehören wird. Bei jenem handelt es sich um seinen Schwiegervater. Und der ist Italiener.

Bühne frei also zum innerfamiliären Stresstest? Yilmaz lacht. So weit wird’s dann wohl doch nicht gehen. Und am Ende, da sieht der 33-Jährige eh andere vorn. Sein Tipp: „Frankreich. Erst recht, nachdem sie in Benzema einen meiner Lieblingsspieler zurückgeholt haben.“ Was derweil die Deutschen betrifft, da könne „alles passieren“. Auch wenn Yilmaz eben die Franzosen, zudem die Belgier und, ja, Schwiegerpapa aufgepasst, auch Bella Italia „einen Schritt weiter vorne sieht“.

„Zu behäbig, zu anfällig“

Besagten Belgiern traut auch Alexander Blessin einiges zu. Und der muss es wissen, ist der Vaihinger doch seit einem Jahr in der dortigen ersten Liga als Erfolgscoach unterwegs. „Klasse Mannschaft, guter Teamspirit – sie gehören mit zu den Titelanwärtern“, sagt Blessin. Betonung auf „mit“. Die Topfavoritenrolle sieht er wie Yilmaz bei Frankreich, während der einstige Bundesliga-Kicker für die eigene Nation eine weniger erfreuliche Einschätzung hat. Seine Prognose für Jogis Jungs: „Europameister werden sie nicht.“ Dafür habe das deutsche Spiel auf ihn zuletzt zu oft „zu behäbig, zu langsam, zu wenig risikofreudig und zu anfällig in der Verteidigung“ gewirkt.

Alles Ronaldo, oder was?

Verfolgen wird Blessin die schwarz-rot-goldenen Auftritte dann von Belgien aus. Am Mittwoch geht es für ihn zurück zu seinem Verein nach Oostende. Momentan ist noch Urlaub bei Frau und Kindern in Altenriet.Derweil hat Luis Miguel Rodrigues für Frau und Kinder fußballerisch vorgesorgt. Vier Portugal-Trikots liegen bereit. Der neue Keeper des TSV Bernhausen hofft, dass sie bei sieben Spielen im eigenen Wohnzimmer zum Einsatz kommen werden – das hieße, dass Portugal erneut im Finale stünde. „Wir sind gut“, sagt Rodrigues mit Blick auf den Titelverteidiger, für dessen Junioren-Nationalmannschaft er einst selbst auflief. Alles Ronaldo? Und dann lange nichts? Nicht doch! Rodrigues sieht die Seinen mittlerweile deutlich breiter aufgestellt.

Wenn nur nicht gleich diese Hammergruppe mit Frankreich und Deutschland als Gegnern wäre – die einen für Rodrigues „haushoher Turnierfavorit“, die anderen „Minimum Halbfinale“. Könnte also eng werden fürs eigene Team. Sicher ist: am Samstag, 19. Juni, wird die Spannung groß sein. Dann steigt das direkte Duell mit Neuer, Hummels, Müller und Co.

Zwei Trikotsätze für die Familie

Flexibler in Sachen Outfit vor dem Bildschirm ist da Dennis Garcia-Franco. Der Kapitän des TV Echterdingen, der sich selbst als „spanischen Schwaben“ bezeichnet, hat für die eigene Familie doppelt gerüstet – nämlich mit zwei Trikotsätzen, fürs gerade mal einjährige Töchterchen inklusive: einmal Spanien, einmal Deutschland. Bleibt abzuwarten, welcher länger benötigt wird. Garcia-Franco glaubt eher an den spanischen. „Ich muss ja fast für meine Spanier tippen“, sagt er und lacht – „wenn wir nicht noch mehr Coronafälle kriegen“. Zwei Leistungsträger, Busquets und Llorente, fallen fürs Erste virusbedingt aus.

Die Deutschen? „Schwierig. Entweder schon Katastrophe in der Vorrunde – oder man muss sie dazurechnen“, sagt Garcia-Franco. Insgesamt attestiert der gebürtige Stuttgarter seinem Wohnheimatland „eine zukunftsträchtige Mannschaft, die momentan aber noch nicht weit genug für ganz vorne ist“.

Der EM-Titelträger glaubt nicht an den EM-Titel

Ähnlicher Meinung ist Marco Walz – ein Mann, der dem aktuellen Ensemble eines eindeutig voraus hat: Er selbst weiß schon, wie es sich anfühlt, Europameister zu sein. Der Steinenbronner, der die eigene Karriere gerade beendet hat, war es in seiner Disziplin Alpin-Inlineskating stolze viermal. Dass es ihm die deutschen Kicker nun nachtun, hält er nur auf einem Weg für möglich: „Mit viel Glück.“ „Ein junges, dynamisches Team zwar“, sagt Walz. „aber ich traue denen nicht so viel zu.“

Weitaus mehr dafür, auch in diesem Punkt Einigkeit mit Garcia-Franco, den Spaniern. Auch Walz sieht diese „in jedem Fall vorne mit dabei“.Was Walz mit einem anderen erfolgreichen Nichtfußballer von den Fildern eint: sowohl er als auch der Vaihinger Tennisprofi Yannick Maden verfolgen die ganze Sache entspannt. Maden sagt: „Ich bin nicht der fanatische Fan. Aber bei den großen Turnieren schaue ich zu.“ Sofern es der eigene Zeitplan erlaubt. Von diesem Samstag an spielt der 31-Jährige beim Rasenklassiker im westfälischen Halle.

Wer sich besser schlagen wird: Maden oder Deutschlands Fußballstars? Für Letztere hält Maden „das Viertel- oder Halbfinale möglich“. „Bei einer WM und EM hat man da immer das Gefühl, dass etwas geht“, sagt er.

Klar doch: Deutschland!

Wenn nicht gerade Jahr 2018 ist. Zur Erinnerung: in Russland, beim bislang letzten Topevent, ging es krachend schief. Freilich, dem damaligen Desaster und den mitunter erschreckenden Vorstellungen von zuletzt zum Trotz – es sind auch noch Optimisten geblieben. Und damit zu den Kandidaten unserer Umfrage, die es für angebrachter hielten, schon mal den Sekt kalt zu stellen, statt zu mäkeln und zu miesepetern. Christopher Mauch, sportlicher Leiter beim Eishockey-Regionalligisten Stuttgarter EC, dreht erst gar keine verbalen Kringel auf dem Eis. Für ihn gilt: „Die“, sprich Deutschland, „müssen einfach ins Finale – fertig.“ Ja, er rechne mit dem Titel. In die gleiche Kerbe schlägt Svenja Wutzel, stellvertretende Spielführerin der Landesliga-Fußballerinnen des TSV Plattenhardt. „Wir haben eine Turniermannschaft“, sagt sie, „Frankreich und Belgien sind sehr gut, aber ich tippe auf uns.“ Dito der Möhringer Fallschirmsprung-Weltmeister Klaus Renz. Er sieht durch die Rückkehr der „zwei starken Persönlichkeiten Müller und Hummels ein gutes Signal gesetzt“. Renz verabschiedet sich nun zwar erst einmal weg aus der Beobachterrolle zum Drachenflugurlaub nach Österreich, aber bis zum Endspiel wird er wieder daheim sein.

Griechischer Galgenhumor

Renz’ Hoffnung ist, dass es dann noch Anlass zum Mitfiebern geben wird und dass das eigene Lieblingsteam dann nicht bereits raus ist – ein sportliches Schicksal, wie es anderen schon jetzt widerfahren ist. Berichten könnte zum Beispiel Zoltan Djenes. Der Trainer von Omonia Vaihingen ist Serbe. Wann die Seinen dran sind? Gar nicht. Für sie war vor sieben Monaten in den Play-Off-Spielen vorzeitig Feierabend.

Es hätte aber auch noch schlimmer kommen können, nachzufragen bei den griechischen Kickern von Djenes’ Verein. Der Ex-Sensationseuropameister, Otto „Rehakles“ Rehhagel lässt grüßen, ist nach einem sogar noch früheren Scheitern ebenfalls nicht am Start. Blamabler Tiefpunkt: ein 1:1 zuhause gegen Liechtenstein. Da bleibt nur noch Galgenhumor. „Bei uns“, sagt Djenes über die Betroffenen aus seinen eigenen Reihen, „haben sie darüber gelacht.“ Mal schauen, wer in vier Wochen lacht. Dann ist das Finale. Und spätestens dann wird man auch wissen, wer mit seinen jetzigen Tipps und Prognosen den richtigen Riecher hatte.