Das Phantomtor von Stefan Kießing könnte einen juristischen Präzedenzfall auslösen. Der ehemalige Weltschiedsrichter Markus Merk spricht mit uns über den Videobeweis und Gerechtigkeit im Fußball. Die Reaktionen aus der Fußball-Welt gibt es in unserer Fotostrecke.

 

Stuttgart - Stefan Kießlings Phantomtor bewegt die Fußballfans. Und zu dieser Gruppe zählt sich auch Markus Merk (51), vormals Weltschiedsrichter und mittlerweile Fernsehexperte. Ihm geht es um Gerechtigkeit, den Videobeweis und um ein Wiederholungsspiel.

Herr Merk, sollte die Partie zwischen 1899 Hoffenheim und Bayer Leverkusen wiederholt werden?
Fußball-Experte Markus Merk Foto: dpa
Ich rede jetzt als ehemaliger Schiedsrichter und heutiger Fußballfan. Ich bin auch kein Jurist. Trotzdem kann die Antwort nur lauten: Wiederholungsspiel! Aus dem überzeugendsten Grund, der mir einfällt.
Der wäre?
Diese Sache kann doch kein Mensch als akzeptabel empfinden. Es geht grundsätzlich um Gerechtigkeit. Es wäre ein Affront gegen den Fußball, wenn es keine Neuansetzung gäbe.
Lässt sich Stefan Kießlings Phantomtor mit dem von Thomas Helmer beim 2:1 der Bayern 1994 gegen Nürnberg vergleichen?
Da besteht für mich nur theoretisch ein Unterschied: bei Helmer war der Ball nie im Tor, hier am Ende schon, weil er von außen durch ein Loch im Netz reinging. Sonst ist das eine identische Sache: Ein Tor wird gegeben, obwohl es keines war. Beide Fälle sind nicht mit einer normalen Entscheidung zu vergleichen, bei der der Ball knapp vor oder hinter der Linie ist.
Der Weltverband Fifa ist aber ein Verfechter der Tatsachenentscheidung.
Damals bei Thomas Helmer gab es relativ geräuschlos ein neues Spiel, trotz Fifa. Es gibt einfach Vorfälle, da darf die Tatsachenentscheidung nicht in Stein gemeißelt sein.
Ist das auch ein Plädoyer für die Torlinien-Technologie?
Schauen wir doch nur auf das nicht gegebene Tor des Hoffenheimers Kevin Volland am ersten Spieltag gegen Nürnberg. Da war der Ball für alle deutlich erkennbar hinter der Linie. Auch diese Fehlentscheidung wäre vermeidbar gewesen. Ich habe mich schon 2007 für den Videobeweis ausgesprochen – und wurde damals scharf kritisiert. Jetzt sage ich: es darf nicht weiter stur verfahren werden.
Als Gegenargument in dieser Diskussion wird auch immer wieder ins Feld geführt, mit dem Videobeweis würde das Spiel ständig unterbrochen werden?
Fest steht doch: Eine umstrittene Situation unterbricht ein Spiel derzeit länger als es die Videoanalyse tun würde. Außerdem haben wir nur ganz wenige heikle Szenen in einer Saison, in denen es um Tor oder Nicht-Tor geht. Das hält der Fußball aus.
Werden die Schiedsrichter in dieser schwierigen Situation im Stich gelassen?
Nicht nur die Schiedsrichter, der gesamte Fußball. Für den Schiedsrichter ist es ein Trauma. Aber es gibt weitere betroffene Parteien, die Vereine, Spieler, Trainer und die Zuschauer.
Hätte der Schiedsrichter Felix Brych im aktuellen Fall länger nachforschen sollen, bevor er eine Entscheidung trifft?
Das lässt sich von außen leicht sagen. Man überlegt als ehemaliger Schiedsrichter aber natürlich auch: hätte ich intensiver nachgeforscht? Heute glaube ich, ich wäre rausgelaufen und hätte mir die TV-Bilder angeschaut. Heute. So ein Tor zu geben, ist jedenfalls die bitterste Sache für einen Schiedsrichter.
Wer sonst im Stadion muss ich etwas vorwerfen lassen?
Es fängt beim Platzwart an, der ein Netz aufhängt, das nicht hält. Der Assistent hat es nicht genau geprüft. Und der Torschütze dreht ab, weil er sich erst einmal ärgert, dass sein Kopfball nicht drin war. Das Ganze ist doch unglaublich kurios.