Muss man ein Schwein gewesen sein, um ein Kotelett zubereiten zu können? Jens Lehmann sieht das so und fordert gegen den Trend mehr Ex-Nationalspieler an der Seitenlinie. Kann man so sehen. Muss man aber nicht. Eine Kolumne.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart - Jens Lehmann hat mal wieder gesprochen. Das ist insofern gut, weil er meist auch tatsächlich etwas zu sagen hat. Diesmal hat sich der Ex-Nationalspieler und heutige TV-Experte zum Thema Trainer geäußert, in der „Bild“, und dort einen aktuellen Trend kritisiert: „Ich denke, dass manche Vereine ab und zu einen kleinen Denkfehler machen. Viele Trainer, die nie auf hohem Niveau gespielt haben, haben während eines schnellen Spiels an der Seitenlinie Probleme, das Spiel wirklich zu lesen. Das sieht man manchmal ganz einfach daran, dass sie, obwohl die Mannschaft Fehler macht, nicht eingreifen.“

 

Muss man ein Schwein gewesen sein, um ein Kotelett zu braten?

Die Bundesliga ist vegan. Ohne Schweine. Also im übertragenen Sinne, versteht sich.

Der Spruch mit den Schweinen soll in etwa heißen: Man muss nicht kicken können, um anderen das Kicken beizubringen.

Lange war dies das entscheidende Kriterium. Nur wer selber ein Schwein war, durfte beim Kotelett mitreden. Kannst kicken, kannste coachen. Und so war die Liga ein eher inzestuöser Betrieb, Spieler wurden halt irgendwann Trainer, und wenn sie einmal irgendwo halbwegs Erfolg hatten, blieben sie auch für immer im Geschäft. Irgendein Verein fand sich doch immer, um die Ex-Kicker zu beschäftigen. Und so schmorte das Kotelett jahrzehntelang im eigenen Saft. Doch die Zeiten sind vorbei.

Frisches Blut ist angekommen in der Liga, und es ist mehr als nur eine Momentaufnahme: In der Bundesliga tummelt sich an der Seitenlinie mehr und mehr Personal, das als Spieler die erste Liga nur von der Playstation kennt. Der neueste Zugang: Bremens Alexander Nouri, null Bundesliga-Spiele, dafür einen Bachelor of Arts im Gesundheitsmanagement. Er reiht sich ein in eine Trainerriege, die zwar nicht kicken konnte (auf höchstem Niveau ), aber dafür Laptop nicht mit Kutzop verwechselt. Die so viele Taktikbücher gewälzt hat, dass sie Catenaccio von Carpaccio unterscheiden kann. Julian Nagelsmann. Thomas Tuchel. Markus Weinzierl. Markus Kauczinski. Christian Streich. Markus Gisdol. Roger Schmidt. André Schubert. Martin Schmidt.

Außergewöhnlich gut kicken konnten in der aktuellen Trainerbesetzung der Liga nur die Herren Pal Dardai (286 Bundesliga-Spiele/Trainer bei Hertha), Norbert Meier (292/Darmstadt), Niko Kovac (241/Frankfurt), Dirk Schuster (200/Augsburg) und Dieter Hecking (36/Wolfsburg) – dazu können noch die ausländischen Übungsleiter Carlo Ancelotti, Ralph Hasenhüttl und Peter Stöger auf eine respektable Profikarriere in ihrer Heimat gucken. Und sonst so? Kotelett-Experten ohne Erfahrung im Schweinestall.

Lehmann fordert eine Chance für Matthäus

„Ein Trainer wie zum Beispiel Lothar Matthäus als Rekord-Nationalspieler und Weltmeister mit wahrscheinlich über 700 Spielen hat doch ein weitaus größeres Detailwissen und mehr Erfahrung als ein A-Jugendtrainer ohne Erfahrung im Umgang mit Profis oder eigener Karriere. Lothars Augen haben die Situationen schon tausendmal gesehen und er kann viel schneller denken“: Das sagt Jens Lehmann.

The trend is not his friend, könnte man sagen.

Urgesteine wie Huub Stevens, Armin Veh oder Thomas Schaaf sind nicht mehr in der Liga, auch einige andere (Röber, Skibbe, Frontzeck, Lienen) hat das Trainerkarussell abgeworfen oder in die zweite Liga gespült. Lothar Matthäus findet keinen Job in Deutschland. Klaus Augenthaler auch nicht. Stefanm Effenberg ist gescheitert. Auf dem Erstligakarussell sitzen jetzt neue Namen, André Breitenreiter zum Beispiel, oder bis vor Kurzem Markus Gisdol.

Ralf Rangnick war der Erste seiner Art. Ein kluger Mann, der selbst nur auf Amateurniveau spielte, aber bewies, dass man eben keine Bundesliga-Erfahrung benötigt, um eine Bundesliga-Mannschaft zu verbessern.

Mehmet Scholl ist auf Lehmanns Seite, er hat über die neue Generation vor einiger Zeit mal geätzt: „Im Moment kommt eine Schwemme von Trainern auf den Markt, immer der gleiche Typus, der alles anders macht, als ich es machen würde“, sagte der ehemalige Spieler des FC Bayern dem „Spiegel“.„Die haben selbst nie oben gespielt und auch keine Ahnung, wie ein Profi auf höchstem Niveau tickt.“

Wie er tickt? Mancher nicht ganz richtig.

Der Trend ist jedenfalls nicht aufzuhalten, die Coaches werden jünger, eloquenter und progressiver. Diese Trainer mit dem „typischen Kursbestergesicht“, wie Scholl sagt. Der VfB hat ja seit Neuestem auch so einen, Hannes Wolf. Der neue VfB-Coach war aber ja nur Kurszweitbester – Kursbester war damals: Alexander Zorniger.

Am Ende ist es dann halt auch so, dass nicht jeder, der weiß, wie ein Kotelett schmeckt, es auch zubereiten kann. Ein bisschen Schwein muss man auch haben.

PS: Im Trainerlehrgang von Wolf 2012 saß übrigens ja auch Scholl – der riet ihm vor seiner Vorstellung beim VfB dies: „Der Mensch ist wichtiger als der Laptop.“