Nach der verpassten WM-Qualifikation ist Ralf Rangnick in Österreich als neuer Nationaltrainer mit offenen Armen empfangen worden. Das Ziel der Mission des 63-Jährigen ist klar definiert: Es lautet EM 2024 in Deutschland.

Sport: Heiko Hinrichsen (hh)

Ralf Rangnick hat den Sprung in eine völlig andere Fußballwelt ganz bewusst gewählt. Statt im Theater der Träume, dem Old Trafford von Manchester, rollt der Ball für ihn nun im Kurort Bad Tatzmannsdorf im beschaulichen Burgenland südlich von Wien. „Es ist eine reizvolle Aufgabe, eine neue Facette“, umschreibt der 63-Jährige das Szenario, als er sich im Trainingslager von Austrias Spitzenfußballern der Nation als neuer Teamchef vorstellt.

 

Die Aufgabe, die den Fußballlehrer aus Backnang erwartet, beinhaltet ja quasi ein weniger dramatisches Vorspiel, eine Art Kürlauf: In der Nations League treten die Österreicher am Freitag in Osijek gegen Kroatien an, danach geht es im selben Wettbewerb noch gegen Frankreich und Dänemark. „In einer Gruppe mit dem Weltmeister, dem Vizeweltmeister und einem Halbfinalisten der EM“, sagt Rangnick: „Viel elitärer kann man es in Europa kaum erwischen.“

Frischer Wind fürs Nationalteam

Tatsächlich gilt es für Rangnick zunächst, in die Mannschaft hineinzuschnuppern – und ihr möglichst schnell seine Philosophie zu vermitteln, die seit je eher auf offensivem Pressing als auf Abwarten basiert. „Österreich liegt auf Platz 34, und da sind Länder vor uns wie etwa Marokko, Ägypten oder Costa Rica, wo ich nicht weiß, ob das sein muss“, sagt Rangnick, der im Team Österreich mit David Alaba, Marko Arnautovic, Hoffenheims Christoph Baumgartner oder dem VfB-Stürmer Sasa Kalajdzic klangvolle Namen vorfindet.

Doch der Kür wird ziemlich schnell die Pflicht folgen. Dabei ist das Ziel seiner Mission deckungsgleich mit dem Grund, weshalb Rangnick überhaupt beim Österreichischen Fußball-Bund (ÖFB) zugesagt hat: Die Teilnahme an der Europameisterschaft 2024 in Deutschland steht über allem. Gelingt sie, dann verlängert sich der Vertrag des Deutschen um weitere zwei Jahre.

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„Am Anfang war ich etwas irritiert. Dann war seine Entscheidung sehr professionell, sich zu hundert Prozent auf den Nationaltrainerjob zu konzentrieren“, sagt Franz Wohlfahrt, der als Austrias Ex-Nationaltorwart von 1996 bis 2000 beim VfB Stuttgart im Kasten stand. Sein letzter Trainer dort war der junge Ralf Rangnick. „Sein Werdegang ist exzellent“, sagt Wohlfahrt: „Er kam damals aus Ulm zum großen VfB. Und man hat gemerkt, wie rasch er lernt.“ Schnell hat Rangnick daher auch im neuen Amt gehandelt. Seine zunächst für zwei Jahre angedachte Beratertätigkeit bei Manchester United, der er fünf Arbeitstage pro Monat widmen wollte, hat er abgesagt. Bei United war Rangnick im Dezember 2021 als Interimstrainer auf den entlassenen Ole-Gunnar Solskjaer gefolgt, doch er trat auf der Stelle. „Danke für nichts!“, lautete daher ein Twitter-Kommentar eines Fans stellvertretend für die Gefühlslage bei den Red Devils.

Bei den Red Devils tritt Rangnick auf der Stelle

Rangnick wurde mit United letztlich nur Sechster. Genau auf diesem Platz hatte er das Team übernommen – und von den Punkten her schnitt ManU dabei so schlecht ab wie noch nie seit Einführung der Premier League. Nur elf von 29 Partien hatte der einstige Fußballprofessor gewonnen. „Ich analysiere selbst, ich beobachte, und ich spreche mit vielen Leuten“, sagt der Niederländer Erik ten Hag, der United künftig trainieren wird. Da bleibt wenig Platz für einen Berater. Und es spricht für Rangnick, dass er wusste, was daher zu tun ist.

Zumal er in Österreich nach der unter Vorgänger Franco Foda verpassten WM-Qualifikation für Katar mit offenen Armen empfangen wird. Das Auswahlgremium, bestehend aus dem ÖFB-Präsidenten Gerhard Milletich, aus den neun Landespräsidenten und drei Ligavertretern, es entschied einstimmig für ihn – ein Novum.

Was wir aus David Alaba?

„Wir sind in keinem Spiel Favorit. Das heißt, wir müssen irgendetwas besser machen als der Gegner. Die Mannschaft muss besser sein als die zu erwartende Summe der Qualität der Einzelspieler“, sagt Rangnick. Und sein ehemaliger VfB-Torwart Franz Wohlfahrt, der Manager von Austria Wien war und nun als Berater arbeitet, ist wie viele gespannt, wie der Deutsche seinen Job angehen wird: „Ganz Österreich interessiert etwa die Frage: Wo stellt er David Alaba hin?“

Von 2012 bis 2015 hat Rangnick als Sportdirektor bei Red Bull Salzburg gearbeitet, wo er auch für RB Leipzig zuständig war. Er ist in Österreich also kein Unbekannter, weiß, wie die Fußballnation tickt – und wie groß in der Alpenrepublik die Ansprüche sind. Franz Wohlfahrt sieht im neuen Job für Rangnick zwei gravierende Unterschiede, verglichen mit den Zeiten in Hoffenheim, Salzburg oder Leipzig, wo er mit großer finanzieller Unterstützung den ganzen Club nach seinen Vorstellungen formte.

Einerseits sei er als Nationaltrainer auch von den Clubcoaches abhängig, weiß Wohlfahrt: „Außerdem kann ihm im Nationalteam niemand neue Spieler kaufen.“