Experten schwärmen, Fans diskutieren: Hat die deutsche Fußball-Boygroup schon die Klasse der Weltmeister von 1990 oder der Europameister von 1972?

Hamburg - Die Euphorie um das junge deutsche Nationalteam wird Joachim Löw vor dem Länderspiel-Abschluss 2011 ein wenig unheimlich. Nach der tadellosen und teilweise begeisternden EM-Qualifikation sind die Erwartungen der schwarz-rot-goldenen Fans schon sieben Monate vor der Fußball-Europameisterschaft riesengroß.

 

„Zehn Siege in Folge waren schon sehr positiv. Aber ich habe immer davor gewarnt: Selbstzufriedenheit oder gar Größenwahn sind nicht angebracht“, mahnte der Bundestrainer vor den Testspielen an diesem Freitag in Kiew beim EM-Mitgastgeber Ukraine und vier Tage später in Hamburg gegen die Niederlande.

Wenn der DFB-Chefcoach seinen 23-köpfigen Kader - Bayern-Torwart Manuel Neuer wird erst vor dem Spiel gegen die Oranjes dazustoßen - an diesem Dienstag im SIDE-Hotel in der Nähe des Hamburger Gänsemarktes versammelt, wird er eine neue Phase der Titelmission 2012 beginnen. „Die EM-Qualifikation ist jetzt vorbei“, sagte Löw.

Experimentierphase

Mit dem ersten Training im Stadion Hoheluft des SC Victoria Hamburg beginnt eine Experimentierphase, zu der die Spiele gegen die Ukraine, Vizeweltmeister Niederlande und Ex-Weltmeister Frankreich (29. Februar 2012 in Bremen) gehören. „Die Erwartungshaltung ist gewachsen. Aber wir wissen, dass es auch andere Titelkandidaten gibt“, betonte der 51 Jahre alte Löw, der ein Verfechter einer bis ins kleinste Detail geplanten Turniervorbereitung ist.

Von den ganzen Vergleichen mit den deutschen Titelteams der Vergangenheit will der Freiburger ohnehin (noch) nichts wissen. „Beste Nationalmannschaft aller Zeiten - das ist natürlich Blödsinn“, erklärte Franz Beckenbauer, Teamchef der letzten deutschen Weltmeistermannschaft. Doch der Fußball-Kaiser selbst hatte die Diskussion angeschoben, als er nach dem zehnten Quali-Sieg von Lahm, Özil & Götze feststellte: „In der jüngeren Vergangenheit kann ich mich nur an eine DFB-Mannschaft erinnern, deren Kader ein ähnlich starkes Potenzial hatte: Meine Weltmeister-Truppe von 1990.“

Klasse-Truppe

„Das mit der besten Mannschaft aller Zeiten sagt man so heutzutage“, meinte der 66-malige Ex-Nationalspieler Willi Schulz, der 1962 bei der WM in Chile im Viertelfinale, 1966 in England im Finale und vier Jahre später in Mexiko im Halbfinale gestanden hatte. „Ich bin allerdings auch der Meinung, dass unsere aktuelle Nationalmannschaft eine Klasse-Truppe ist. Allerdings waren auch die Mannschaften 1954 und 1972 - um nur einige zu nennen - tolle Mannschaften“, sagte der heute 73 Jahre alte Schulz.

„Es ist schwierig, die Zeiten miteinander zu vergleichen. In den 50er und 60er Jahren hat es auch gute Mannschaften gegeben“, bemerkte Wolfgang Overath, der von 1963 bis 1974 als Ausnahmespieler das DFB-Team mitgeprägt hatte. Dass Löws aktuelles Team alles mitbringt, um an die einstigen Erfolge von Größen wie Fritz Walter, Uwe Seeler, Gerd Müller, Jupp Heynckes, Jürgen Klinsmann, Rudi Völler, Lothar Matthäus oder Matthias Sammer anzuknüpfen, ist für Beckenbauer klar: „Es ist die beste deutsche Nationalmannschaft seit langem. Und zwar, weil sie auch einen neuen, offensiven Spielstil hat. Der FC Barcelona hat diesen neuen Fußball vorgegeben.“

Löw selbst sieht sein Team in vielen Bereichen auf einem sehr guten Weg. „Insgesamt ist die Mannschaft eingespielt“, bemerkte der 51-Jährige: „Gewisse Automatismen sitzen ganz gut, so wie ein Paar bequeme Turnschuhe.“ Beckenbauer bescheinigt Löw die „angenehme Situation, dass er nun auch die Spielertypen zur Verfügung hat, die diese schöne und moderne Art, Fußball zu spielen, umsetzen können“. Doch letztendlich wird auch diese Mannschaft nur an einem gemessen: an einem großen Titel. Damit, so Löw, würden seine Mannschaft und auch er selbst als Trainer „in die Geschichtsbücher eingehen“.