Der DFB-Arzt Tim Meyer spricht im Interview über die vielen Verletzten und über Wege, weitere Blessuren zu vermeiden. Ein guter Schlaf spielt dabei eine bedeutende Rolle.

Santo Andre - Herr Meyer, viele Stars mussten die WM bereits absagen, andere sind angeschlagen nach Brasilien gereist. Überrascht Sie das?

 
Nicht sehr. Am Saisonende tritt jedes Jahr das Phänomen auf, dass sich die Verletzungen häufen. Woran das liegt, lässt sich seriös nicht abschließend beantworten. Es kann einerseits mit so etwas wie aufsummierter Müdigkeit zu tun haben. Andererseits werden die Spiele gegen Ende der Saison immer wichtiger und intensiver – und damit auch verletzungsträchtiger.
Viele sagen, die Belastung für die Topspieler sei im heutigen Fußball zu groß. Teilen Sie diese Meinung?
Wenn man nur die Zahl der Spiele nimmt, dann mag sie ein bisschen größer geworden sein. Wenn man aber dagegenhält, dass sich in vielen Vereinen die Rotation etabliert hat, hat die reine Minutenbelastung für den einzelnen Spieler gar nicht mal so wahninnig zugenommen.
Also gibt es keinen Grund zu jammern?
So einfach ist es nicht. Es gibt auch noch andere Faktoren, die berücksichtigt werden müssen: die öffentliche Aufmerksamkeit, die Bedeutung der Spiele, die kommerziellen Aspekte. Ich meine schon, dass all das in den vergangenen Jahren noch einmal zugenommen hat. Deshalb ist für die Spieler jener Vereine, die bis zum Schluss in den internationalen Wettbewerben vertreten sind, die individuelle Beanspruchung höher als vor zehn Jahren.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass in Brasilien weitere Verletzungen hinzukommen?
Klar ist: Ermüdung führt akut zu einem erhöhten Verletzungsrisiko. Und klar ist auch: die Bedingungen in Brasilien führen eher zu einer Ermüdung, als wenn man in Mitteleuropa spielen würde.
Was folgt daraus?
Ich drücke es mal so aus: Wenn Sie einen Waldlauf machen, dann schlagen Sie bei 30 Grad ein anderes Tempo an als bei 18 Grad, selbst wenn Ihnen das kein Trainer vorgibt. Das muss gar keine taktische Marschroute sein, das kann rein intuitiv erfolgen.
Aber mit halber Kraft wird man kaum Weltmeister.
Das ist das Problem an der Sache. Bei der WM gibt es nur ganz, ganz wenige Spiele, in denen es nicht um alles geht. In der Vorrunde hat man höchstens ein solches Spiel, in der K.-o.-Runde geht es immer um hopp oder topp. Deshalb wird die Frage sein, wie fit die einzelnen Spieler sind und wie geschickt sie mit ihren Kräften haushalten.
Wie bereitet man die Spieler auf die Hitze vor? Von den Deutschen hat noch niemand in Brasilien gespielt.
Sie können natürlich so früh wie möglich anreisen. Rein theoretisch hätten wir direkt nach dem Pokalfinale nach Brasilien fliegen können. Aber natürlich sollten im Trainingslager in Südtirol intensive Reize gesetzt werden, was unter tropischen Bedingungen kaum möglich ist. Wir haben also einen guten Kompromiss getroffen und sind acht Tage vor dem ersten Spiel angereist. Das müsste für das Akklimatisieren reichen, zumal der erste Spielort Salvador noch vergleichsweise gemäßigteres Klima aufweist. Ansonsten sind Kleinigkeiten wichtig: auf den Flüssigkeitshaushalt achten, genügend Kühlung gewährleisten.
Welche Rolle spielt der Schlaf?
Eine ganz große. Ich glaube, dass der Schlaf im Hinblick auf die Regeneration eine bislang unterschätzte und dementsprechend wenig untersuchte Größe ist. Man legt oft viel Wert auf Dinge wie Eisbäder oder Auslaufen. Das ist sicherlich alles nicht falsch. Aber ein guter Nachtschlaf ist nach einem Wettkampf bestimmt die effektivste Maßnahme, um wieder zu Kräften zu kommen.
Ist es so gesehen ein Vorteil, dass die Spiele schon tagsüber stattfinden?
Ja, dieser Punkt ist positiv. Bei der EM 2012 in Polen und der Ukraine sind wir gelegentlich sehr spät nachts ins Hotel zurückgekommen. Diesmal werden wir nach den Spielen wieder rechtzeitig im Basislager sein. Die Spieler können dann zu normalen Zeiten ins Bett gehen.
Und wer wird am Ende Weltmeister?
Diejenige Mannschaft, die die beste Kombination hinbekommt aus ihrem Spielstil und den Rahmenbedingungen. Ich glaube nicht, dass wir da die schlechtesten Karten haben.