Ist der einst teuerste Fußballer der Welt am Ende nur ein völlig überschätzter Spieler? Bei der WM will der französische Superstar Paul Pogba allen Kritikern das Gegenteil beweisen. Am liebsten gleich zum Auftakt gegen Australien (Samstag, 12 Uhr/ZDF).

Moskau - Als er kurz vor Schluss den Platz verließ, wurde es noch einmal laut im Stadion von Nizza. Das Grummeln des Publikums hatte Paul Pogba über weite Strecken des 3:1-Erfolgs der Franzosen im Test gegen Italien vor zwei Wochen begleitet. Bei seiner Auswechselung waren Pfiffe zu hören, klar und deutlich. Zwar nahm ihn Trainer Didier Deschamps in Schutz gegen die Anfeindungen der Zuschauer, und Kollege Kylian Mbappé von Paris St. Germain bezeichnete die Unmutsbekundungen als „Schande“. Doch sie zeigten, welche Aufgabe Pogba, der 25 Jahre alte Mittelfeldmann von Manchester United, bei der WM zu bewältigen hat: Er muss sogar die eigenen Fans überzeugen.

 

Pogba ist schon eine Weile dabei. Nach der WM 2014 in Brasilien und der EM 2016 im eigenen Land wirkt er schon an seiner dritten Großveranstaltung mit. Mit Juventus Turin wurde er viermal in Folge Meister in Italien und war bei seinem Wechsel nach Manchester 2016 der teuerste Spieler der Welt mit einer Ablösesumme von 105 Millionen Euro. Doch Pogba ist bisher nicht darüber hinaus gekommen, ein großes Versprechen zu sein. Er muss immer gegen die Frage anspielen, ob er möglicherweise der überschätzteste Fußballer des Planeten ist.

Eigene PP-Arena in seinem Haus

Die Ansprüche an Pogba sind hoch. Das liegt an seinem Talent. Er vereint mehrere Anlagen, die sich zu widersprechen scheinen. Er verfügt über eine herausragende Technik und kann bezaubernde Pässe spielen. Einerseits. Andererseits ist er mit seinen 1,91 m auch extrem robust. Sein auffälliger Lebensstil mit den immer neuen Haarschnitten und Haarfarben und einem Kunstrasenplatz in seinem Haus, den er nach seinen Initialen die PP-Arena nennt, tragen dazu bei, dass von ihm mehr erwartet wird als von vielen anderen Fußballern.

Doch es gelingt Pogba nicht, diese Erwartungen zu erfüllen. Bei Manchester United hat er gerade die zweite ziemlich müde Saison zu Ende gebracht. Er war beim abgeschlagenen Vizemeister meistens nur Mitläufer. Nur in Ausnahmefällen gelang es ihm, seine Mannschaft zu großen Leistungen zu führen. Am ehesten bleibt in dieser Hinsicht das 3:2 gegen Manchester City Anfang April in Erinnerung, zu dem er zwei Treffer beisteuerte. Das Verhältnis zwischen Pogba und Uniteds Trainer José Mourinho ist angespannt. Mehrmals saß der Franzose nur auf der Bank, unter anderem im Achtelfinal-Rückspiel in der Champions League gegen den FC Sevilla. Die Partie ging verloren, United schied aus. Es ist schwer zu sagen, ob Mourinhos uninspirierter Spielstil die Ursache für Pogbas trübe Leistungen im Verein ist, oder ob es sich umgekehrt verhält. Fest steht, dass der Mittelfeldmann immer wieder die gleichen Schwächen offenbart. Er wirkt oft lustlos und zeigt kein besonderes Interesse an der Abwehrarbeit. Außerdem ist nicht klar, wo er der Mannschaft am meisten hilft. Im defensiven Mittelfeld, als so genannter Sechser, bietet er der Abwehr zu wenig Schutz. Im offensiven Mittelfeld, auf der Zehner-Position, hat er oft zu wenig Raum, um sich voll auszuleben. Bisher ist Mourinho an der Aufgabe gescheitert, die ideale Position für Pogba zu finden und so das Beste aus ihm herauszuholen.

Schwere Aufgabe für Trainer Deschamps

Das wird bei der WM in Russland auch für Frankreichs Trainer Deschamps ein kompliziertes Unterfangen. Er legt Wert auf Geschlossenheit und auf Disziplin. Trotzdem ist der schwierige Profi für ihn unantastbar. Vor dem Start ins Turnier versucht er zu beschwichtigen. Ja, Pogba reagiere gut auf seine Vorgaben, sagt Deschamps. Ja, er habe sich gut in die Mannschaft eingefunden.

Genau das muss Pogba tun. Er muss sich in den Dienst des Kollektivs stellten, das ist die Auffassung von Marcel Desailly, der 1998 mit Frankreich Weltmeister war. „Er wird eine wichtige Rolle spielen. Aber er muss akzeptieren, dass er nicht der Star des Teams sein wird“, meint Ex-Verteidiger. In der Tat haben die Franzosen bei dieser WM den vielleicht stärksten Kader seit dem Titelgewinn vor 20 Jahren. Neben der beeindruckenden Breite des Aufgebots ist vor allem der Angriff mit Mbappé, Antoine Griezmann von Atlético Madrid und Ousmane Dembelé vom FC Barcelona der Grund dafür, dass die Franzosen zu den Favoriten gehören. Pogba ist nicht der Alleinunterhalter. Trotzdem steht er bei dieser WM mehr denn je unter Beobachtung, sogar von den eigenen Fans.