Auf dem Weg zur Titelverteidigung muss Bundestrainer Joachim Löw im Trainingslager der deutschen Nationalmannschaft vier Baustellen beackern.

Sport: Marco Seliger (sem)

Eppan - Roland Larcher dreht die letzten Runden mit seinem grünen Rasenmäher. Der Motor rattert laut, ansonsten herrscht die Ruhe vor dem Sturm auf dem Trainingsplatz der Nationalelf in Eppan. Flankiert von Weinbergen, umgeben vom Landschaftsschutzgebiet Montiggler Wald, mitten in der Natur justiert Larcher, der Platzwart des Sportzentrums Rungg, noch einmal die Linien und nimmt gefühlt jeden Grashalm einzeln unter die Lupe. Auf den Millimeter genau hat der DFB die Länge vorgegeben. 23 müssen es sein. Als er den Motor abstellt, grinst Larcher und sagt vor dem ersten Training des Weltmeisters am Mittwochnachmittag: „Alles passt. Es kann losgehen.“

 

So oder so ähnlich würde sich Joachim Löw mit Blick auf die WM in Russland auch gerne äußern – bis zum Turnierstart aber muss der Bundestrainer im Trainingslager in Südtirol noch einige Problemfelder bearbeiten. Auf dem Trainingsplatz, und auch außerhalb. Löws Baustellen im Überblick:

Manuel Neuer:

Der Torhüter startete seinen Wettlauf mit der Zeit mit Verspätung. Der Kapitän traf am Mittwoch erst 20 Minuten nach dem Rest der Mannschaft am Wellnesshotel Weinegg in Südtirol ein. Ein Stau am Brenner bremste Neuer aus – von nun an aber will der Keeper durchstarten, und das muss er auch. Bundestrainer Joachim Löw und Neuer sind sich einig: Ohne Spielpraxis macht eine Teilnahme an der Endrunde in Russland (14. Juni bis 15. Juli) keinen Sinn – und genau die hat der 32-Jährige noch nicht. Nach seinem erneuten Mittelfußbruch bestritt Neuer das letzte seiner drei Bundesligaspiele in der vergangenen Saison im September.

Die Chancen, vor der WM noch Spielpraxis zu sammeln, sind aber überschaubar. Vor der endgültigen Nominierung des Kaders am 4. Juni steht nur noch das Länderspiel gegen Österreich zwei Tage zuvor an. Zudem gibt es in Eppan voraussichtlich noch zwei Tests gegen die U-20-Auswahl des DFB. Doch reicht das aus? Löw will sich in Südtirol gemeinsam mit Torwarttrainer Andreas Köpke „ein Bild machen“. Vor der Nominierung werde es ein „offenes und ehrliches Gespräch“ mit Neuer geben. Immerhin: Neuer selbst gab sich optimistisch; „Ich bin guter Dinge, dass ich bei der WM spielen werde“, sagte er.

Die Bayern-Profis:

Als am Mittwochnachmittag der erste lockere Aufgalopp auf dem Plan stand, fehlten die meisten der Spieler des FC Bayern München. Erst an diesem Freitag rücken die Bayern nach, sie bekamen nach dem DFB-Pokalfinale gegen Eintracht Frankfurt (1:3) noch eine Pause. Dabei drängen sich nun, wenige Wochen vor der WM, Fragen auf, die nicht nur Oliver Bierhoff, den Manager der Nationalelf umtreiben: Haben die erfolgsverwöhnten Münchner den Schock von Berlin verdaut – oder kommen sie als Miesepeter nach Südtirol, die erst mal wieder aufgerichtet werden müssen? Bierhoff sagt das, was er dazu irgendwie sagen muss: „Sie haben genug Charakter und Erfahrung, das bald wegzustecken.“ Innenverteidiger Mats Hummels äußerte sich ähnlich, er betonte unlängst, dass die Enttäuschung und der Frust verfliege, sobald es Richtung Russland gehe.

Hummels selbst übrigens war als damaliger Profi des BVB dabei, als die Bayern zuletzt eher bescheiden gelaunt zu einem großen Turnier anreisen. Vor der EM 2012 wurden sie in drei Wettbewerben jeweils Zweiter. Heraus kam eine angespannte Stimmung zwischen den damaligen Double-Siegern von Borussia Dortmund und den frustrierten Münchnern – in diesem Jahr wird Löw womöglich einige aufbauende Gespräche mit den Bayern-Profis führen müssen, um eine bessere Stimmung im Kader als bei der EM 2012 zu schaffen.

Der Titelhunger:

Gejagt wie nie sei die deutsche Elf, betont Löw gerne vor der WM in Russland. Der Titelverteidiger ist die Mannschaft, die jede andere während des Turniers schlagen will, weshalb es im deutschen Team einen besonderen Willen und einen besonderen Geist braucht, um in Russland wieder den großen Wurf zu landen. Bei der EM 2016 in Frankreich fehlte es in der deutschen Elf noch am letzten Siegeswillen – das soll sich wieder ändern. „Man ist froh, dass es endlich mal losgeht“, sagte Manager Oliver Bierhoff nach der Ankunft in Südtirol, ehe er sofort in den Kampfmodus überging und davon sprach, die Spieler von nun an „ein bisschen härter ranzunehmen“.

Die Linksverteidiger:

Es ist das altbekannte Problem links hinten – im Gegensatz zu allen anderen Positionen fehlt es Löw an Personal mit internationaler Klasse. Jonas Hector vom Absteiger 1. FC Köln ist diesen Nachweis bisher schuldig geblieben, ähnliches gilt für Marvin Plattenhardt von Hertha BSC. Löw wird im Trainingslager versuchen , Hector wie schon vor der EM 2016 irgendwie in Form zu bringen und möglichst nah an das Level seiner Nebenleute heranzuführen – und er wird die Variante ausgiebig trainieren lassen, die er schon beim Gewinn des Confedcups 2017 anwandte: Die Dreierkette mit drei gelernten Innenverteidigern. Die nächste Alternative für den Bundestrainer: Einen gelernten Innenverteidiger in der Viererkette nach links stellen. Matthias Ginter oder Antonio Rüdiger sind dafür die Kandidaten.