Nicht nur WM-Gastgeber Katar steht wegen Menschenrechtsverletzungen am Pranger. Auch der Iran. Dessen Nationalteam trifft an diesem Montag in einem brisanten Duell auf England.

Zum Abschluss drückten sie dem Präsidenten ein Trikot in die Hand. Die Spieler der iranischen Fußball-Nationalmannschaft verabschiedeten sich vor ihrer Reise zur WM so, wie es eine iranische Delegation bei solchen Gelegenheiten eben macht. Team, Trainer und Betreuer werfen sich in Schale, statten dem Präsidenten einen Besuch ab und lassen sich von diesem viel Glück wünschen. Am vergangenen Dienstag, kurz vor dem Abflug ins Nachbarland Katar, war es so weit. Präsident Ebrahim Raisi empfing die Kicker.

 

Ein gemeinsames Foto, ein paar warme Worte, dann war die Audienz beendet, welche die Einheit von Machthabern und Kickern beschwören sollte. Ob sich alle Spieler bei dieser Nummer im Präsidentenpalast wohlgefühlt haben, darf bezweifelt werden. Denn die hauptsächlich von Frauen angeführten Massenproteste, die das Land erschüttern und sich gegen das Mullah-Regime richten, beschäftigen längst auch die „Mellis“, wie das iranische Team genannt wird.

Sympathie mit den Protestierenden

Nationalspieler wie Bayer Leverkusens Sadar Azmoun haben ihre Sympathie mit den Protestierenden bekundet. Was bei den Mächtigen im Land nicht gut ankam. Nun steht der erste Auftritt der Iraner bei der WM an. An diesem Montag (14 Uhr/ZDF) treffen sie im Khalifa International Stadium in Al-Rayyan vor den Toren Dohas auf England. Der Iran ist klarer Außenseiter, die Three Lions werden zu den Titelfavoriten gezählt. Doch es geht in dem Duell beileibe nicht nur um den Sport. Es ist mehr als ein Fußballspiel. Werden Irans Fußballer ein Zeichen setzen, die Nationalhymne mitsingen oder eben nicht? Jede Geste zählt. Die Fans des englischen Teams haben angekündigt, in der 22. Minute den Namen von Mahsa Amini zu rufen. Der Tod der 22-Jährigen hatte im September die Massenproteste ausgelöst. Seither kommt das Land nicht zur Ruhe.

Unter Druck stehen nicht nur Irans Spieler, auch Nationalcoach Carlos Queiroz befindet sich in einer heiklen Situation. Die Mächtigen sollen den Portugiesen aufgefordert haben, Leverkusens Sardar Azmoun aus dem Kader zu werfen. Auf Instagram hatte der 27-jährige Angreifer geschrieben: „Schämt euch alle, wie leichtfertig Menschen ermordet werden. Lang leben die iranischen Frauen.“

„Jeder hat das Recht, sich auszudrücken“

Wenig später wurde der Post gelöscht. Bei der WM ist Azmoun allen Unkenrufen zum Trotz dabei. Trainer Queiroz hält an seinem Mittelstürmer fest. Etwaige Protestgesten seiner Schützlinge würde der Nationalcoach gutheißen. „Jeder hat das Recht, sich auszudrücken“, sagte der 69-Jährige in einer Pressekonferenz im Doha. Was die Nerven der Machthaber im Iran nicht beruhigt haben dürfte. Eine Solidarisierung der Sportler mit der Protestbewegung auf offener Weltbühne würde auch der iranische Fußballverband (IRIFF), der der Regierung in Teheran nahesteht, gerne verhindern.

Wie sehr der Aufstand im Iran den Sport beschäftigt, zeigt das Beispiel Ali Daei, ein im Iran verehrter Fußballer. Daei, einst in der Bundesliga beim FC Bayern München, bei Arminia Bielefeld und Hertha BSC unter Vertrag, hat jüngst eine Einladung des Weltverbandes zur WM abgelehnt. Der 53-Jährige unterstützt den Widerstand gegen das Regime, teilt seine Gedanken auf Instagram mit: „In diesen Tagen, in denen es den meisten von uns nicht gut geht, möchte ich mit Euch in meinem Land sein und all den Familien, die in diesen Tagen ihre Angehörigen verloren haben, mein Mitgefühl aussprechen“, schrieb der frühere Torjäger.

Infantino lehnte Turnier-Ausschluss des Irans ab

Fifa-Präsident Gianni Infantino hat einen Turnier-Ausschluss des Irans abgelehnt. Auf Nachfrage sagte der Schweizer am Wochenende: „Glauben Sie, dass alle Iraner Monster sind? Müssen wir alle ausschließen, weil ein paar Menschen schlecht sind?“ Die verheerende Situation für Frauen und die Unterdrückung von Minderheiten im Iran wird nach Einschätzung des Fifa-Chefs keinen Einfluss auf das WM-Geschehen haben. „Es spielen nicht zwei Regimes, sondern zwei Mannschaften“, sagte Infantino mit Blick auf das Duell des Irans gegen England.