Mario Götze ist mit fast unendlichem Talent gesegnet, mit seinen Auftritten bei der Fußball-WM gibt er bislang jedoch Rätsel auf. Das Talent spielt schlecht, tritt aber arrogant auf. Nun droht dem 22-Jährigen gegen Frankreich die Bank.

Santo André - Wären in den Interviewzonen der WM-Stadien auch junge weibliche Fußballfans zugelassen – es gäbe jedes Mal ein großes Gekreische, wenn Mario Götze den Raum betritt. Wie ein Showstar schreitet der Nationalspieler durch die Gänge, die Augenbrauen gezupft, Schmuck nicht nur in beiden Ohren. Ein spöttisches Lächeln trägt er im Gesicht, und das Gel in seinen Haaren glänzt noch stärker als die Nieten auf seinem Designerrucksack. Kurzum: Mario Götze ist genau das, was man einen perfekt durchgestylten Fußballprofi nennt.

 

Das Problem ist nur: seine Leistungen auf dem Platz passen nicht zu dem glamourösen Auftritt nach Dienstschluss.

Dass die deutsche Nationalmannschaft vor dem WM-Viertelfinale morgen gegen Frankreich auch in der Offensive von einigen Sorgen geplagt wird, das hat auch mit Mario Götze zu tun. Er hat ein Tor erzielt, den 1:0-Führungstreffer gegen Ghana, als der Ball nach Thomas Müllers schöner Flanke, von seinem Gesicht auf sein Knie und von dort ins Tor sprang. Ansonsten aber blieb Götze weitgehend unsichtbar. Vorläufiger Tiefpunkt war Götzes Leistung im Achtelfinale gegen Algerien, als er bis zu seiner Auswechslung die Teilnahme am Spiel geradezu verweigert hatte.

Mit Talent gesegnet

Mario Götze (22) ist gesegnet mit fast unendlichem Talent, einen Fußballer wie ihn hat es in Deutschland nicht oft gegeben. Er kann alles, auf engstem Raum dribbeln, Tore schießen, tödliche Pässe spielen. In der Nationalmannschaft gilt er auch weiterhin als großes Versprechen auf eine glorreiche Zukunft; bei den Bayern ist er der Spitzenverdiener, angeblich bekommt er zwölf Millionen Euro im Jahr.

Möglicherweise lasten zu viel Druck und zu hohe Erwartungen auf seinen Schultern. Allerdings trägt Götze nicht allein auf dem Platz viel dazu bei, die Zweifel an ihm immer größer werden zu lassen.

Schockiert sind langjährige Wegbegleiter über seine Entwicklung. Ein freundlicher und zugänglicher junger Mann sei er früher in Dortmund gewesen und habe viele Ratschläge angenommen – etwa den, nicht schon mit 20 in einem 150 000-Euro-Mercedes mit Flügeltüren im Training vorzufahren. Inzwischen habe Götze jeglichen Kontakt abgebrochen. Er lebe in seiner eigenen Welt, sagen sie, er sei unnahbar geworden und ein Beispiel dafür, wie die Unterhaltungsbranche Profifußball einen jungen Menschen verändern kann.

Mit großer Arroganz

Mit kaum zu überbietender Arroganz und demonstrativer Langeweile saß Götze im Trainingslager in Südtirol auf dem Pressepodium. Vor dem WM-Spiel gegen die USA, als er nur Ersatzspieler war, betrat er beim Aufwärmen als Letzter den Platz und verschwand als Erster wieder in der Kabine. Diese Null-Bock-Mentalität, die gegen Algerien ihre Fortsetzung fand, hat ihn auch innerhalb der DFB-Auswahl nicht beliebter gemacht. Dass sich gerade bei dieser WM jeder mit ganzer Kraft in den Dienst der Mannschaft stellen müsse, das hat Joachim Löw in Brasilien schon oft betont.

Nicht vorstellbar, dass der Bundestrainer im Viertelfinale gegen Frankreich noch einmal Götze aufbietet. Ungewiss allerdings, ob eine Neubesetzung alle Probleme im Offensivspiel löst. Götze jedenfalls war bisher nicht das einzige Sorgenkind. Auch Mesut Özil, der vermeintliche zweite Wunderspieler mit goldenen Füßen, ist bisher nicht so in Erscheinung getreten, wie es vor der WM erhofft worden ist. Kraftvoll, selbstbewusst und entschlossen sah man ihn nur beim Torjubel nach seinem Treffer zum 2:0 gegen Algerien.

Es mag technisch hochwertig sein, wie die Fußballfeingeister in der gegnerischen Hälfte den Ball zirkulieren lassen. Doch dorthin, wo es gefährlich wird, in den Strafraum, kommen die Deutschen zu selten. Auch mit Lukas Podolski hat es Löw schon probiert, doch ging sein 45-Minuten-Einsatz gegen Ghana daneben. Einzig Thomas Müller lebt den Drang und den Willen vor, dem Gegner auch mal wehzutun. Allein auf seine Tore zu vertrauen dürfte aber zu wenig sein, um den Titel zu gewinnen.

Schürrle als Alternative

Vieles spricht dafür, dass gegen Frankreich André Schürrle erstmals in der Startformation stehen wird. Der 23-Jährige vom FC Chelsea ist zwar kein Filigrantechniker wie Mesut Özil und Mario Götze, er bringt aber viel mehr Wucht, Geschwindigkeit und auch Mut mit, er sucht die Zweikämpfe, ihn zieht es in den Strafraum. Gegen Algerien benötigte er nur wenige Momente, um zu zeigen, dass er derzeit viel wertvoller als Götze ist.

Mit seinem Hackentor ebnete Schürrle den Weg ins Viertelfinale. Auch ihm war es zu verdanken, dass Joachim Löw hinterher von einem „Sieg der Willenskraft“ sprechen konnte. Als weitere Alternative bleibt Miroslav Klose, der gegen Ghana getroffen hat. Seine Einsatzzeiten sollen dosiert, die verbliebenen Kräfte des 36-jährigen Stürmers eingeteilt werden, das hat der Bundestrainer schon vor dem Turnier gesagt. Nun wird auch Klose auf einen Einsatz gegen Frankreich brennen, sonst könnte es schon zu spät sein.

Mit etwas Wehmut denkt man daher an Marco Reus zurück, der sich kurz vor der Weltmeisterschaft verletzt hat. Er war bis dahin der beste deutsche Offensivspieler. In der Rückrunde der Bundesliga zeigte der Dortmunder überragende Leistungen und galt in der Nationalmannschaft als gesetzt. Und noch ganz nebenbei bemerkt: seine Wegbegleiter sagen, Marco Reus sei im Gegensatz zu Mario Götze so natürlich und bodenständig geblieben, wie er schon als Jugendspieler war.

Alle Hintergründe zur Weltmeisterschaft in Brasilien gibt es in unserem WM-Spezial.