Der VfL Oberjettingen im Kreis Böblingen hat im jahrelangen Kampf gegen den Regenwurm verloren. Sein Fußballfeld ist nicht zu retten. Das Problem hat der Verein keineswegs allein.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

Jettingen - Die Briten formen des Fußballers Leid zum Volksvergnügen. Alljährlich strömen Wurmjäger tatsächlich aus aller Welt nach Willaston, nahe Liverpool gelegen, um ihren Weltmeister zu küren. „Worm charming“ nennt sich die Disziplin. Ihre Anhänger trommeln auf die Erde, trampeln auf ihr, übertragen mit allerlei Gerät Schall in sie, um Regenwürmer an die Oberfläche zu locken. Wer nach 30 Minuten die meisten Tiere eingesammelt hat, gewinnt. Anfänger kommen auf eine Handvoll, Profis auf etwa 150 Würmer.

 

Hermann Finkbeiner fehlt beim Gedanken an Regenwürmer jeder Humor. Er zählt zum Vorstand des VfL Oberjettingen (Kreis Böblingen). Dessen Fußballplatz könnte kein weltmeisterlicher Wurmjäger mehr retten. Er ist verloren, an bis zu 1200 Regenwürmer – pro Quadratmeter wohlgemerkt. Gegen sie hat der VfL einen jahrelangen Kampf geführt. „Wir haben alles Mögliche versucht, Injektionen, biologische Mittel, Kammerjäger“, sagt Finkbeiner. 6000 Euro hat der Verein in der Hoffnung auf einen Sieg gegen den Regenwurm bezahlt. Den Erfolg beschreibt Finkbeiner wortkarg: „null“. Die Erde muss abgetragen, der Platz runderneuert werden. Die Kosten sind auf 400 000 Euro geschätzt.

Die Würmer vernichten das Geläuf, indem sie ihrer Natur gehorchen

Die Würmer vernichten das Geläuf schlicht, indem sie ihrer Natur gehorchen. Sie graben Gänge, vertilgen Pflanzenreste, scheiden sie aus und „arbeiten ihren Wohnungsdreck nach oben“. So umschreibt es Finkbeiner. Hügelchen aus Erde und Kot vereinen sich zu einer Schlammschicht, in der kein Stollen hält. Das Fußballfeld wird zum Matschfeld. Die Kicker rutschen reihenweise weg, nicht zuletzt, weil der Wurmkot schleimig ist.

Das Problem hat der VfL keineswegs allein. Die Liste verzweifelter Vereinsvorstände ist lang. Der Platz von Wormatia Worms ist ein Opfer der Würmer. Der TSV Velden hat versucht, die Vermehrung mit Stachelwalzen und Sandbefüllung zu stoppen. Der TSV Dorfen musste serienweise Spiele absagen. Worauf die Konkurrenz vom VfB Forstinning sich über „lächerliches Rumgedruckse“ beklagte.

Im Grunde aber verbietet sich jeder Verdacht, der Wurm sei ein vorgeschobener Grund für Absagen. Die Gefahr, dass Würmer Fußballfelder vernichten, wird auch an übergeordneter Stelle ernst genommen. Am 22. Februar lädt der Württembergische Landessportbund wieder zu seinem „Rasentag“. Fachleute referieren vor einigen hundert Platzwarten über Aufbau und Hege des perfekten Sportlergrüns. 2014 war der Schwerpunkt des Rasentags der Regenwurm. Für Tipps, wie eine übermäßige Vermehrung zu verhindern wäre, war eigens ein Experte aus der Schweiz angereist.

Die einfachste Lösung des Problems ist verboten

Auch Wissenschaftlern „begegnet das Thema immer mal wieder“, sagt Jörg Morhard von der Universität Hohenheim. „Platzwarten stehen bei dem Stichwort die Haare zu Berge, aber das ist zweischneidig“. Die einfachste Lösung fällt aus: die Tiere zu vergiften. Auf etlichen Plätzen würde ohne sie kein Rasen gedeihen – abhängig vom Aufbau des Untergrunds. Außerdem ist schlicht verboten, die Würmer zu töten. Dass der VfL Oberjettingen den Kampf gegens Kriechgetier verloren hat, verwundert Morhard keineswegs. „Es gibt kein Vergrämungsmittel“, sagt er. Üblicherweise habe übermäßiger Befall Ursachen, die zu beseitigen seien. Eine mangelhafte Drainage zählt dazu oder schlicht nachlässige Reinigung. Welkes Laub zählt zu den Lieblingsspeisen des Wurms.

Ein Beispiel von der Insel Rügen ist bundesweit populär geworden. Den Bund der Steuerzahler erzürnte der Wurmbefall in der Stadt Bergen. Er nahm sie ins Schwarzbuch der Steuerverschwender auf. Die Satiriker der NDR-Sendung „extra 3“ regte er zu humoristischen Randbemerkungen an. Weil Regenwürmer den Rasen zum Matschfeld umgegraben hatten, ließ die Stadt für 158 000 Euro eine Drainage nachrüsten, die wiederum Wurmleiber verstopften. Seither erdulden die Stadtoberen Spottsätze über Eigentore. Sie hatten die Würmer aus Holland importiert und ausgesetzt. Dies im Glauben, die Wurmkur werde den schlammigen Untergrund trocknen.

Die Wurmjäger und ihre Beute

Die Würmer:
In Deutschland sind 46 Arten von Regenwürmern bekannt. Sie leben zwischen drei und acht Jahre lang. Warum die Würmer bei Regen an die Oberfläche streben, ist unklar. Sie können bis zu ein Jahr lang unter Wasser überleben. Die Würmer fressen humusreiche Erde und vermoderte Pflanzen.

Die Jäger:
Das „Worm charming“ gilt in England sogar als Beruf. Die Wurmjäger versuchen auf unterschiedlichste Art, das Getier aus der Erde zu locken, meist mittels Schall oder Vibrationen. Ob diese Methoden erfolgreich sind, ist umstritten. Als landestypische Eigenheit dürfte der Tipp einzuordnen sein, Tee und Bier auf die Erde zu träufeln.