Nach Steven Gerrard und Xavi haben auch Bastian Schweinsteiger und Iker Casillas ihre Heimatclubs verlassen. Das schmerzt nicht nur die Fußball-Romantiker.
Stuttgart - Iker Casillas konnte die Tränen nicht zurückhalten, wahrscheinlich wollte er das auch gar nicht. Mal stockte seine Stimme, mal schluchzte er, als es am Wochenende galt, Abschied zu nehmen. Abschied von Real Madrid, dem größten Fußballclub der Welt, für den er 25 Jahre lang als Torhüter tätig war, 16 davon in der Profimannschaft der Königlichen. 725 Pflichtspiele hat er für Real bestritten, 19 Titel geholt, zwei Straßen sind nach ihm benannt. Casillas (34), auch „San Iker“ genannt, bedankte sich mit vielen Worten, er sagte: „Das ist mein schwierigster Tag. Madrid hat mir alles gegeben.“ Am Ende klatschten die Journalisten, auch sie hatten teilweise Tränen in den Augen, in ihren Zeitungen schrieben sie mit großen Buchstaben: „Ein Mythos geht.“
Der (nicht ganz freiwillige) Wechsel des Welt- und zweimaligen Europameisters zum FC Porto reiht sich ein in den Abschied weiterer lebender Legenden: In Steven Gerrard (35), Xavi Hernandez (35), Bastian Schweinsteiger (31) haben drei der prägendsten Figuren des Weltfußballs in diesem Sommer nach einer gefühlten Ewigkeit ihre Herzensclubs verlassen. Dass sie nicht zu einem Konkurrenzverein in der gleichen Liga wechseln, sondern in ein anderes Land gehen, mag ihre Fans ein klein wenig trösten. Trotzdem ist es ein schlechter Sommer für alle Fußballromantiker, die in der jahrzehntelangen Treue dieser Weltstars den Gegenentwurf zur Söldnermentalität im modernen Profifußball gesehen haben. „Ein Kavalier verlässt seine Dame nicht“, sagte einst der große Alessandro del Piero, als er trotz des Zwangsabstiegs von Juventus Turin bei seinem Verein blieb.
Schweinsteigers Video wird millionenfach angeklickt
Womöglich wäre auch Bastian Schweinsteiger bis ans Karriereende bei den Bayern geblieben – hätte er dort den Dreijahresvertrag erhalten, den er von Manchester United bekam. So aber stieg er am Wochenende, nur ein paar Stunden nach Casillas’ tränenreichem Auftritt in Madrid, ins Privatflugzeug nach England. Vorher verabschiedete sich Schweinsteiger von den Fans des FC Bayern. Seine Videobotschaft, die er auf seine Facebook-Seite stellte, wurde inzwischen weit mehr als drei Millionen Mal angeklickt. „Wir werden immer miteinander verbunden sein“, sagt der Weltmeister darin, „ich werde euch immer in meinem Herzen tragen.“ So etwas beteuern Fußballer gerne, wenn sie den Verein verlassen – Schweinsteiger, dem Urbayern aus Oberaudorf, darf man es nach 17 Jahren, 15 nationalen Titel und dem historischen Triple des Jahres 2013 abnehmen.
Schweinsteiger war in den letzten Jahren häufig verletzt, er ist nicht mehr der Schnellste, an Konkurrenten im Münchner Mittelfeld fehlte es zudem nicht. Rein sportlich dürfte sein Wechsel also zu verkraften sein, genau wie die Abschiede von Casillas, Xavi und Gerrard in Madrid, Barcelona und Liverpool. Aus emotionaler Sicht stellt sich die Sache anders dar. Bei der offiziellen Teampräsentation vor 60 000 Zuschauern gab es am Samstag wütende Pfiffe gegen die Bayern-Führung, die ihren „Fußballgott“ kampflos hatte ziehen lassen. Schon jetzt vermissen die Münchner Fans die große Clubikone, „die viel weniger Arroganz abgestrahlt hat als all diese zuagroasten Aggro-Leader der Vergangenheit, der Franke Matthäus, der Sachse Ballack, der Karlsruher Kahn“ („Süddeutsche Zeitung“). Schweinsteiger habe sich nicht präsentiert in der Lederhose, „er hat sie einfach angezogen, fertig“. Ein Abschiedsspiel soll er bekommen, immerhin, im Gegensatz zu Casillas.
Xavi verabschiedet sich mit dem Champions-League-Sieg
Die größtmögliche Bühne bekam im Juni Xavi Hernandez für das letzte Spiel im Trikot des FC Barcelona. Im Champions-League-Finale in Berlin wurde er gegen Juventus Turin zehn Minuten vor Schluss eingewechselt und wickelte sich die Kapitänsbinde um den Arm. Hinterher feierte er seinen vierten Sieg in der Königsklasse, seinen 25. Titel mit Barça. Dann war seine Zeit nach 24 Jahren vorüber.
„Es gibt keinen Ersatz für Xavi, er ist einmalig“, sagte der Barça-Trainer Luis Enrique über die Symbolfigur des Tiki-Taka-Spiels, den jahrelangen Chef im Mittelfeld der weltbesten Mannschaft, den erfolgreichsten spanischen Fußballer aller Zeiten. „Ich habe alles gegeben, mehr kann ich nicht verlangen. Ich bin glücklich und stolz“, sagte Xavi selbst – und machte ein paar Tage später bei seinem neuen Verein Al Sadd Club in Katar eine ganz neue Erfahrung: „Ich bin noch nie auf einer offiziellen Pressekonferenz vorgestellt worden.“ Kein Wunder, als er einst zum FC Barcelona kam, war Xavi elf Jahre alt.
Gerrards Liebeserklärung an den FC Liverpool
Auch Steven Gerrard erlebte bei Los Angeles Galaxy unlängst seine erste Präsentation nach 27 Jahren beim FC Liverpool – und nutzte den Auftritt für eine weitere Liebeserklärung an seinen Heimatverein. Er habe nicht innerhalb von Europa wechseln wollen, weil er nie gegen Liverpool spielen möchte, sagte der 35-Jährige: „Ich werde bis an mein Lebensende ein Fan dieses Vereins bleiben.“ Geweint hat er in diesem Moment nicht – dafür flossen viele Tränen, als sich der Mittelfeldspieler kurz vorher an der ausverkauften Anfield Road verabschiedete.
Oft hätte Gerrad im Laufe der Jahre wechseln können, die größten Clubs wollten ihn haben. Doch immer blieb er beim FC Liverpool. Seine Bilanz am Ende: 709 Profispiele, zwölf Jahre Kapitän, null Meistertitel. Das nennt man dann wohl Vereinstreue der ganz besonderen Art.