Es ist früher und länger dunkel. Für Fußgänger und Radfahrer hat sich das Unfallrisiko verdreifacht, weil sie bei Dunkelheit schlechter gesehen werden. Vielen ist das noch nicht bewusst.

Lokales: Wolf-Dieter Obst (wdo)

Stuttgart - Es sind nur ein paar Schritte über den Zebrastreifen. Und natürlich müssen Autofahrer an einem Überweg anhalten. Glaubt jedenfalls eine 16-jährige Schülerin, als sie morgens um sieben im Stuttgarter Osten die Fahrbahn der Hackstraße überqueren will. Doch ein 38-jähriger Fiat-Fahrer sieht sie nicht. Seine Vollbremsung kommt zu spät, die Jugendliche wird erfasst und umgestoßen.

 

Dunkler November: In diesem Monat ereignen sich in Stuttgart mit Abstand die meisten Fußgängerunfälle – und vieles hat mit der längeren Dunkelheit zu tun. Nach Angaben des Deutschen Verkehrssicherheitsrats steigt das Unfallrisiko für Fußgänger um das Dreifache. Zudem sind die Unfallfolgen schwerwiegender als am helllichten Tag, weil Autofahrer später reagieren und die Aufprallgeschwindigkeit höher ist.

Besorgniserregend ist die Situation in Stuttgart. Im vergangenen Jahr hat sich die Zahl der Fußgängerunfälle bei Dunkelheit und Dämmerung mehr als verdoppelt. „Die Zahl ist von 38 auf 86 gestiegen“, sagt Polizeisprecherin Monika Ackermann. Alarmierend sind auch die Erkenntnisse aus der letzten Jahresbilanz für Baden-Württemberg: Die Zahl der Unfalltoten bei Dämmerung und Dunkelheit stieg von 125 auf 137.

Doch die meisten Fußgänger sind im Dunkeln immer noch mit dunkler Kleidung unterwegs. Und wer ist dann schuld, wenn es zu einem schwer wiegenden Unfall kommt? Dieser Frage muss sich gerade ein 31-jähriger Autofahrer stellen, gegen den die Polizei wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Vor drei Wochen wollte der Citroën-Fahrer um 6.40 Uhr in Nürtingen (Kreis Esslingen) nach links abbiegen – als er plötzlich von einem gewaltigen Schlag gestoppt wurde. Der Autofahrer hatte einen 18-jährigen Radfahrer auf seinem Mountainbike übersehen. „Die Wucht war so groß, dass selbst das Auto erheblich beschädigt wurde“, sagt der für Esslingen zuständige Polizeisprecher Michael Schaal. Die Spuren machen augenfällig, warum der 18-Jährige tödliche Verletzungen erlitt.

Fall löste große Betroffenheit aus

Der Radfahrer war mit hohem Tempo bergab unterwegs, ohne Licht, ohne Schutzhelm. „Es war dunkel, es war neblig, der junge Mann war dunkel gekleidet“, sagt Schaal. Ein Gutachter soll nun klären, ob und wann der Autofahrer den Radler hätte erkennen können – oder womöglich müssen.

Die Schuldfrage: Die wurde vergangene Woche auch beim Amtsgericht Waiblingen gestellt, wo sich eine 56-jährige Autofahrerin wegen fahrlässiger Tötung verantworten musste. Der Unfall, der sich am 4. Dezember 2017 in der Tournonstraße in Fellbach (Rems-Murr-Kreis) ereignet hatte, löste große Betroffenheit aus. Bei dem getöteten Unfallopfer handelte es sich um den 81-jährigen Fellbacher Altbürgermeister Raimund Ulrich. Er hatte, in dunkler Kleidung und mit Nordic-Walking-Stöcken, die Straße überqueren wollen.

Offenbar unterschätzen viele Fußgänger, wie gut sie für andere Verkehrsteilnehmer zu sehen sind. In diesem traurigen Fall hat ein Gutachter die Verhältnisse mit nüchternen Zahlen beleuchtet. Er stellte fest, dass die Autofahrerin den Fußgänger erst erkennen konnte, als dieser noch 38 Meter entfernt war. Der Angeklagten sei kein Fehlverhalten nachzuweisen, stellte der Sachverständige als Zeuge vor Gericht fest. Zur Einordnung: Bei erlaubten 60 Kilometern pro Stunde beträgt der Anhalteweg bei Nässe 45 Meter. Nachdem eine Zeugin schilderte , wie sie den Fußgänger vor dem Unfall noch vergebens vor dem Auto warnte, sprach die Amtsrichterin die Autofahrerin vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung frei. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Geldstrafe gefordert.

Tödlicher Unfall ist juristisch geklärt

Auch ein anderer tödlicher Unfall, der sich auf der B 27 zwischen Bietigheim und Besigheim bei der Kammgarnspinnerei ereignete, ist inzwischen juristisch abgewickelt. Eine 67-jährige Spaziergängerin war am 2. November 2012 gegen 17.30 Uhr von einem Autofahrer erfasst und getötet worden. Die Polizei machte mit den Originalteilen einen Lichttest, um herauszufinden, ob der Fahrer die Frau hätte früher erkennen müssen als die 105 Meter, die er zum Stoppen brauchte. Die Antwort lautet: Nein. „Das Verfahren wurde eingestellt“, sagt der Ludwigsburger Polizeisprecher Peter Widenhorn. Doch die nächsten folgen: In Renningen (Kreis Böblingen) wurde ein dunkel gekleidetes, 76 und 78 Jahre altes Ehepaar angefahren und schwer verletzt.

Die Stuttgarter Schülerin, die im Stuttgarter Osten auf einem Zebrastreifen angefahren wurde, kam zum Glück mit leichten Verletzungen davon. War es die Dunkelheit, der Kontrast zur hellen Stadtbahnhaltestelle Raitelsberg oder ein vorausfahrendes Auto, das die Sicht verdeckte? Die Ermittlungen hierzu dauern an.