Die Staats- und Regierungschefs der führenden Industrie- und Schwellenländer, die sich in Hamburg treffen, werden für die Schattenseiten der Globalisierung verantwortlich gemacht. Tatsächlich aber überwiegen die Vorteile des freien Handels.

Korrespondenten: Barbara Schäder (bsa)

Frankfurt/Main - Krieg, Flüchtlingselend, Klimawandel und soziale Spaltung: Die Beschwerdeliste, die die Organisatoren der Großkundgebung zum G-20-Gipfel in Hamburg aufgestellt haben, ist lang. Die Staats- und Regierungschefs der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer seien „die politisch Verantwortlichen“ für die Missstände, heißt es in dem gemeinsamen Demonstrationsaufruf von Umweltschützern, Pazifisten und Kapitalismuskritikern. Zu den Vordenkern der Globalisierungsgegner gehört der Schweizer Soziologe Jean Ziegler, der im Interview mit dieser Zeitung harte Worte für die G 20 fand: Die Regierungen seien letztlich nur „Erfüllungsgehilfen von Großunternehmen und Finanzoligarchen“. Ein Beleg dafür sei die Macht von „Geierfonds“, die „das letzte Geld aus armen Ländern“ herauspressten.

 

Nach dem Schuldenfall Sambia hat die Politik reagiert

Solche Fälle hat es tatsächlich gegeben. Der von Ziegler erwähnte Fonds Donegal International etwa ist für ein Geschäft mit Sambia berüchtigt: 2007 verklagte das auf den britischen Jungferninseln registrierte Finanzvehikel das südafrikanische Land wegen einer verschleppten Schuldentilgung auf die Zahlung von mehr als 50 Millionen Dollar. Dabei hatte der US-Amerikaner Michael Sheehan für die Schuldtitel mit einem Nennwert von 15 Millionen Dollar nur drei Millionen Dollar bezahlt. Er hatte die sambischen Altschulden aus dem Jahr 1979 Ende der 90er Jahre von der rumänischen Regierung erworben, die froh war, endlich überhaupt einen Teil ihres Geldes zurückzubekommen. Sheehan wurden vor Gericht letztlich 15 Millionen Dollar zugesprochen, also das Fünffache seines ursprünglichen Investments.

Ausgerechnet dieser Fall schlug allerdings so hohe Wellen, dass die Politik sehr wohl reagierte: Seit 2010 dürfen britische Gerichte Staaten, für die wie im Falle Sambias ein internationaler Schuldenerlass vereinbart wurde, nicht mehr zu einer vollständigen Rückzahlung von Altschulden an einzelne Gläubiger verurteilen. In den USA sind solche Urteile allerdings weiterhin möglich.

Die Sicherheitsvorschriften sind verschärft worden

Immerhin aber zeigt das Beispiel der britischen Regierung, dass die Politik nicht völlig untätig ist. Gerade was die Regulierung der Finanzmärkte betrifft, haben die G 20 seit der weltweiten Krise 2008 die Zügel angezogen: Die Banken mussten ihr Eigenkapital kräftig aufstocken, um sich für neuerliche Verluste zu wappnen. Und die Sicherheitsvorschriften für zahlreiche andere Finanzmarktakteure – von Versicherungen bis Geldmarktfonds – wurden verschärft.

Trotz alledem wurden erst im Juni neue Staatshilfen für Banken auf den Weg gebracht: Italien stellt bis zu 17 Milliarden Euro bereit, um die Abwicklung von zwei Regionalbanken möglichst schmerzfrei zu gestalten. Vor dem Hintergrund ist es kein Wunder, dass viele Menschen die von der G 20 beschlossenen Reformen im Finanzsektor für unzureichend halten.

Das Elend in den Entwicklungsländern ist bedrückend

Noch weitaus bedrückender ist – nicht nur für Globalisierungskritiker – das Elend in vielen Entwicklungsländern. Während US-Präsident Donald Trump mit seinem Slogan „America first“ ganz offen nationale Interessen über alle anderen Ziele stellt, werfen die Organisatoren des G-20-Protests auch der Bundesregierung Ausbeutung vor, da Deutschlands Rolle in den Verteilungskämpfen um Märkte und Ressourcen ausgebaut werden solle.

Dass Berlin Industriepolitik betreibt und dabei im Zweifel auch den viel beschworenen Klimaschutz hintanstellt, hat zuletzt der deutsche Widerstand gegen strengere Abgastests der EU-Kommission gezeigt. Die allgemeine Kritik an den „Verteilungskämpfen um Märkte“ wirft allerdings Fragen auf: Was wäre die Alternative zum Wettbewerb auf dem Weltmarkt?

Schäden durch die schonungslose Liberalisierung

Gewiss: Die jahrzehntelang von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank verfochtene Doktrin einer schonungslosen Liberalisierung hat vielen Entwicklungsländern geschadet. Mittlerweile erkennt aber selbst der IWF an, dass Kapitalverkehrskontrollen unter bestimmten Umständen sinnvoll sein können und nur langsam gelockert werden sollten. Und die Welthandelsorganisation akzeptiert grundsätzlich, dass Einfuhrbeschränkungen auf Basis nationaler Umwelt- oder Sicherheitsstandards ihre Berechtigung haben.

Dass darum im Einzelnen immer wieder gerungen werden muss, zeigt die Auseinandersetzung über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP. Der US-Handelsminister Wilbur Ross will die von Präsident Trump auf Eis gelegten Verhandlungen nun offenbar wiederbeleben. Das ist ein erfreuliches Signal, denn bei aller berechtigten Kritik an den Schattenseiten der Globalisierung überwiegen letztlich die Vorteile des freien Handels. Das gilt auch und gerade für die Entwicklungs- und Schwellenländer: Laut IWF ist ihr Anteil an der weltweiten Wirtschaftsleistung in den vergangenen zehn Jahren von unter 50 auf über 60 Prozent angestiegen.

Weltweit ist die extreme Armut zurückgegangen

Auch wenn dieser Wohlstand nicht gleichmäßig verteilt wurde, so gilt doch: Der Anteil der Weltbevölkerung, der in extremer Armut lebt, ist von 35 Prozent im Jahr 1990 auf elf Prozent im Jahr 2013 gesunken. Das zeigen Zahlen der Weltbank – als extrem arm bezeichnet sie Menschen, die kaufkraftbereinigt mit weniger als 1,90 Dollar pro Tag auskommen müssen. Richtig ist allerdings auch, dass der Aufschwung von Ländern wie China teils durch den Verlust von Arbeitsplätzen in Industriestaaten erkauft wurde. Mehr für die Globalisierungsverlierer auch im eigenen Land zu tun bleibt eine wichtige Forderung an alle G-20-Staaten.