G-7-Gipfel auf Schloss Elmau Von wegen heile Welt

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ist per Videokonferenz zur Arbeitssitzung der Gipfelteilnehmer zugeschaltet Foto: AFP/Benoit Tessier

Beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau brechen Krieg und Krisen in das bayerische Postkartenidyll ein. Die Schönheit des Ortes soll auch die im Umgang mit dem Ukraine-Krieg und seinen Folgen noch etwas schwankenden Gäste aus aller Welt milde stimmen.

Hinter dem Hotel ragt die Wettersteinwand in die Höhe. Auf weit über 2000 Meter über dem Meeresspiegel lässt es sich dort wandern, beim strahlenden Kaiserwetter dieses Morgens sicher ein Traum. Aber allein schon ihr Anblick bei der Anfahrt auf Schloss Elmau beeindruckt die Gäste. „Ich liebe diese Gegend“, soll Emmanuel Macron nach einem Spaziergang mit seiner Frau Brigitte am Vorabend gesagt haben. Die Unterkunft steht ihrer Umgebung auch nicht unbedingt nach. Mehrere Pools mit Alpenpanorama und der ganze Verwöhnschnickschnack lassen kaum Wünsche offen.

 

Wie in so manch anderem ähnelt Kanzler Olaf Scholz seiner Vorgängerin Angela Merkel auch dann, wenn es darum geht, Politik in Szene zu setzen. In der Kulisse von Elmau entstand 2015 das berühmte Foto, das die damalige Kanzlerin mit dem damaligen US-Präsidenten Barack Obama auf einer Holzbank in den Bergen südwestlich von Garmisch zeigt. Jetzt ist die Welt auf Einladung von Scholz zu Besuch auf einem Anwesen, das dem Geist Erholung bieten soll. Der Theologe und Philosoph Johannes Müller hatte es während des Ersten Weltkriegs erbauen lassen – mit dem Ziel, dass seine Gäste dort „im Sinne der Bergpredigt selbstvergessen, unbewusst und unmittelbar wie die Kinder ihrem göttlichen Wesen gewahr werden können“.

Ob das bei Joe Biden, Boris Johnson, Emmanuel Macron & Co. gelungen ist, wird wohl erst die Zukunft zeigen. Aber beeindruckt sind sie irgendwie alle. „Ein perfekter Tag“ – so schwärmt der senegalesische Präsident Macky Sall mit Blick auf den wolkenlosen Himmel über dem Schlossturm, nachdem Scholz ihn per Handschlag begrüßt hat.

Nachdem am Sonntag schon das eigentliche G7-Format begonnen hat, trifft sich am Montag der Westen mit seinen Gästen. Der Senegalese gehört dazu, Indonesiens Präsident Joko Widodo ebenso wie sein argentinischer Amtskollege Alberto Ángel Fernández, der indische Premier Narendra Modi und Südafrikas Staatschef Cyril Ramaphosa.

Selenskyj wurde per Video zugeschaltet

Gerade auf die beiden letztgenannten Besucher richten sich die Blicke an diesem Tag besonders. Ihre Länder gehören zu den sogenannten Brics-Staaten, zu denen auch Brasilien, Russland und China zählen. In der UN-Vollversammlung Ende Februar haben sie sich enthalten, als es um die Verurteilung von Wladimir Putins Angriffskrieg auf die Ukraine ging. Und es ist erklärtes Ziel des Elmauer Treffens, die Unentschlossenen ins eigene Lager zu ziehen. Da muss es wohl schon als hoffnungsvolles Zeichen gelten, dass Modi wie Ramaphosa eine Erklärung zum Wert der Demokratie und unverletzlichen Grenzen mittragen. Dem „Team Ukraine“ schließen sie sich aber nicht gleich an. Dazu braucht es noch mehr Überzeugungsarbeit, dass nicht die westlichen Sanktionen Nahrungs- und Energiepreise haben explodieren lassen, sondern Putins Krieg.

Mitten aus dem Kriegsgeschehen heraus hat sich am Vormittag Präsident Wolodymyr Selenskyj per Video aus der Ukraine zuschalten lassen, wo gerade nach längerer Zeit wieder Raketen in der Hauptstadt Kiew eingeschlagen sind und am Nachmittag bei einem Angriff auf ein Einkaufszentrum von Krementschuk mindestens zehn Menschen den Tod finden. Der Kriegspräsident, wieder im Armee-T-Shirt, bittet um neue Sanktionen, die er wenig später mit einem milliardenschweren Importstopp für russisches Gold auch bekommt. Über einen Preisdeckel für Öl und Gas, der Putins Einnahmen senken würde, wird diskutiert. Selenskyj kündigt an, den Krieg bis Wintereinbruch siegreich beenden zu wollen. Der Kontrast all dessen zum bayerischen Bergidyll könnte kaum größer sein.

Entschlossen gibt sich auch der Kanzler, nachdem sich die vormittägliche G7-Runde zumindest im kleinen Kreis auf eine klare Sprache zur Ukraine verständigt hat. Der zuletzt so häufig geschmähte Gastgeber darf sich rühmen, dass sich ein Satz seiner Regierungserklärung vom vergangenen Mittwoch im Bundestag fast wortgleich im Kommuniqué der westlichen Weltenlenker wiederfindet. „Wir werden weiter finanzielle, humanitäre, militärische sowie diplomatische Unterstützung leisten und an der Seite der Ukraine stehen, so lange es nötig ist“, heißt es im G7-Statement, das damit weit in die Zukunft reicht. Scholz kündigt auf Twitter „harte, aber notwendige Entscheidungen“ an. Dazu gehört, dass auch eine befriedete Ukraine weitere Waffen geliefert bekäme – um sich im kriegerischen Wiederholungsfall selbst verteidigen zu können.

Aber es ist natürlich nicht so, dass Putins Angriffskrieg das einzige Problem wäre, das die Staatslenker der G7 in der Konferenzhütte des Anwesens umtreibt. Die Welt ist voller Krisen. Sie überlappen sich, sind miteinander verwoben, teils bedingen sie einander. Da ist neben der drohenden Hungerkatastrophe die Pandemie, die zwar dank Impfungen an Virulenz verloren hat, aber weltweit noch Lieferketten belastet. Die Inflationsraten schießen in die Höhe, die Kaufkraft der Bürger schwindet, Firmen verlieren die Lust am Investieren. Und die Klimakrise macht keine Pause, der Hitzesommer lässt die Folgen auch in Bayerns Bergen greifbar werden.

Alle Staaten bekennen sich zum Pariser Klimaabkommen

Wirklich Verbindliches zum Klimaschutz gibt es erst einmal nicht. Schon gar nicht im Sinne der Umweltaktivisten von Greenpeace, die am frühen Morgen ihre Forderung nach dem sofortigen Aus für fossilen Brennstoffe auf die Felswand des Waxenstein projiziert haben. Immerhin haben alle Gastländer akzeptiert, dass Scholz als G7-Vorsitzender die Debatte wohlwollend zusammenfasst. Alle Staaten bekennen sich zum Pariser Klimaabkommen, alle wollen „bei energiepolitischen Reformen kooperieren“ und „universellen Zugang zu erschwinglicher und nachhaltiger Energie“ schaffen.

Allein das wäre schon zu viel für zweieinhalb Tage, auch wenn im Vorlauf zum Gipfel natürlich schon diverse Minister- und Sherparunden getagt haben. Die Teilnehmer selbst aber haben die Messlatte hoch gelegt. Er und seine Kollegen würden in Elmau „frontal all jene Herausforderungen anpacken, die die nächsten Jahrzehnte bestimmen“, hat der US-Präsident getwittert – samt Foto vom Sitzungstisch. Auf dem physischen Kontakt nämlich ruhen nach einer so langen Phase von Videokonferenzen und Online-Treffen viele Hoffnungen. Für Diplomatie „von Angesicht zu Angesicht“ gebe es keinen Ersatz, meint Biden.

So gut witzeln lässt es sich im virtuellen Raum auch nicht. Zumindest lässt ein Video von der ersten Sitzung im G7-Kreis – aufgenommen, bevor die Fernsehteams den Raum wieder verlassen haben – humoristisch tief blicken. Da fragt der Brite Johnson, ob die Sakkos trotz der Hitze an bleiben sollen: „Jackett an? Jackett aus?“ Kanadas Regierungschef Justin Trudeau schlägt vor, erst nach dem offiziellen Familienfoto abzulegen, doch der nicht eben durchtrainierte Brite will seine „Bauchmuskeln“ präsentieren und „zeigen, dass wir stärker als Putin sind“. Da stimmt auch Trudeau ein, der das berühmte Foto des Kremlherrschers mit nacktem Oberkörper auf einem Pferd nachstellen will.

Am Abend ziehen Gewitterwolken auf über der Straße von Garmisch nach Elmau, die eingezäunt und von zahlreichen Polizeieinheiten gesäumt ist. Die Kulisse bleibt herrlich, nur hat sie sich der politischen Realität angepasst. Gastgeber Scholz aber wird der Regen kaum stören – die Sonnenscheinbilder sind längst im Kasten und gesendet.

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