Jünger, heterogener, unstrukturierter: eine neue Generation erobert die Hochschulen. Vielen fällt das Lernen schwer. „Dass man einfach mal hingeht und nachfragt, das lernt man nicht“, sagt die Hohenheimer Agrarstudentin Nora Kretzschmar.

Stuttgart - Viele Minderjährige gibt es an den Hochschulen bisher nicht – trotz G8. An der Stuttgarter Hochschule der Medien (HdM) sind es gerade mal eine Handvoll. Und meist sind sie im zweiten Semester, wenn Exkursionen angesagt sind, längst volljährig. So entfällt das Problem mit der Aufsicht. Aber insgesamt sind die Erstsemester heute jünger. An der HdM waren sie im Wintersemester 2016/17 im Mittel anderthalb Jahre jünger als zehn Jahre zuvor – nämlich 20,5 statt 22 Jahre, rechnet Mathias Hinkelmann, Prorektor für Lehre an der HdM, vor. Doch was bedeutet das für den Studienerfolg?

 

Vielen Studierenden fehlt es an Mathe-Kenntnissen, daran, sich richtig auszudrücken oder schlicht an Reife. Das hat nicht nur Hinkelmann festgestellt, sondern auch Iris Lewandowski, Prorektorin für Lehre an der Uni Hohenheim. Fast alle Hochschulen bieten Vorkurse oder nachhilfeähnliche Angebote an, um die Erstis auf ein ordentliches Einstiegslevel zu bringen. Für ältere Semester gibt es Zusatzkurse, die ihnen wissenschaftliches Schreiben und strukturiertes Arbeiten vermitteln. Bereitet die Schule unzureichend aufs Studium vor? Hinkelmann mag diese Entwicklung nicht allein auf G8 zurückführen. Schließlich wisse die HdM gar nicht, ob ein Studierender das Gymnasium in acht oder neun Jahren absolviert habe. Viele leisteten vor dem Studium ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ), gibt Hinkelmann zu bedenken: „Viel entscheidender als das Alter der Studierenden ist die Durchschnittsnote, mit der sie ihr Studium beginnen.“

Studiengänge mit einem Numerus clausus von 1,x – „das läuft“, sagt Hinkelmann. Bis zu einem NC von 2,6 laufe das auch noch „ganz gut“. Bei 2,8 oder 2,9 – „da kippt das – da nimmt die Zahl der Leute, die Probleme machen, deutlich zu“, sagt Hinkelmann und meint damit deren Lernverhalten und Leistungsbereitschaft. „Je schlechter die Eingangsnote, desto höher ist die Abbrecherquote.“

Dass sich auch im Kommunikationsverhalten der Studierenden etwas verändert hat, sei zwar in den technischen Studiengängen nicht ganz so stark spürbar, sagt Hinkelmann, der den Studiengang Medieninformatik betreut. Aber von Kollegen weiß er, dass man „mit den Studierenden nicht mehr so diskutieren kann wie früher“. Das sei wohl eine schleichende Veränderung. „Das schulische Hamsterrad dreht sich schneller“, so der IT-Professor. Hinzu komme die gestiegene Studierquote: „Heute studieren Leute, die früher vielleicht eine Ausbildung gemacht hätten.“

Beim Thema Aufmerksamkeit und beim Umgang mit Texten hat sich viel geändert

Eine heterogenere Studentenschaft beobachtet man auch an der Uni Hohenheim. Insbesondere sei die Spanne größer geworden bei den methodisch-fachlichen Vorkenntnissen, der Theorie-Affinität und den Lerntechniken, so Unisprecher Florian Klebs.

Deutliche Unterschiede im Vergleich zu früheren Studentengenerationen zeigten sich in punkto Aufmerksamkeit, Kommunikationskanäle und beim Umgang mit Texten. „Die holen sich die Infos mal kurz aus dem Smartphone“, berichtet Klebs. Auf der anderen Seite bräuchten sie aber Hilfe beim Strukturieren. Auf beides reagiere die Uni. Zum einen arbeite sie dran, die Lehrinhalte anzupassen und experimentiere mit mobiler Lehre und E-Learning-Plattformen. Zum anderen biete man veränderte Beratungsformen an.

Nora Kretzschmar ist eine typische Vertreterin der neuen Studentengeneration – und auch wieder nicht. Die 21-Jährige hat nach G8 mit 18 Jahren ihr Studium der Agrarwissenschaften an der Uni Hohenheim begonnen und ist jetzt im siebten Semester. Sie ist auch Vorsitzende des Studierendenparlaments und hat Erfahrung in der Gremienarbeit: im Fakultätsrat, der Senatskommission Lehre und der Kommission für Qualitätssicherungsmittel. „Ich habe hauptsächlich im ersten Semester gemerkt, dass ich nicht gut lernen kann“, räumt sie ein. „In der Schule musste man nicht so viele Sachen parallel lernen“, sagt sie. „Hier hab ich das auf die harte Tour erfahren.“ So musste sie gleich eine Prüfung wiederholen. Seither lerne sie viel in der Gruppe – das steigere die Motivation . Mathelücken, so Kretzschmar, habe es doch schon immer gegeben. Beim Texteschreiben müsse man sich allerdings umstellen – das wissenschaftliche Arbeiten erfordere eine deutlich höhere Konzentration. Der Studienplan, den man vorgelegt bekomme, sei schon „sehr schulisch – aber das ändert sich mit der Bachelorarbeit“.

Hohenheimer Unisprecher: Elternabende veranstalten wir weiterhin nicht

Was sie befremdet: dass zu den Info-Tagen plötzlich Eltern mitkommen. „Dass man einfach mal selbst hingeht und nachfragt, das lernt man nicht“, so Kretzschmar. Unisprecher Klebs versichert aber: „Elternabende veranstalten wir in Hohenheim weiterhin nicht.“ Gibt es an der Uni noch eine Debattenkultur? „Wir merken schon, dass Diskussionen über Hochschulpolitik vielen schwerfallen – sie haben keine Ahnung, fragen auch nicht nach“, so die 21-Jährige. Insbesondere bei den Jüngeren sei das auffällig. Es sei schwer, diese für die Arbeit in den Gremien zu gewinnen, zumal meist das eigene Studium darunter leide – „ein Selbstläufer ist es nicht“.

Die Uni Stuttgart besuchen rund 100 minderjährige Studienanfänger. Dort hat man beobachtet, dass der Abi-Schnitt bei den sehr jungen Studienanfängern besser sei als bei den älteren. Auf den Unialltag habe diese kleine Gruppe aber keine Auswirkung, so Unisprecher Hans-Herwig Geyer. Mit einer Ausnahme: die unter 18-Jährigen dürfen weder auf die Ersti-Wochenenden mitkommen noch an der Erstiparty teilnehmen. Da greift der Jugendschutz.