Am Freitag beginnt der G20-Gipfel in Hamburg und wird bereits im Vorfeld von Protesten begleitet. Wir erzählen, wie sich ein Polizeiführer aus Baden-Württemberg auf seinen Einsatz vorbereitet.

Stuttgart/Hamburg - Seit diesem Montag arbeitet Steffen H. wieder im „Ausland“. So nennen Polizeibeamte das, wenn sie jenseits der Landesgrenzen Dienst tun, auch wenn das fremde Territorium in Bayern oder Hessen liegt. Steffen H. muss diesmal weiter weg, er bereitet sich als Führer einer Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit auf den G-20-Gipfel in Hamburg vor. Hamburg, das ist in diesen Tagen das Synonym für Ordnungsmacht schlechthin. 20 000 Beamte sollen das Schaulaufen der großen Politik an Elbe und Alster sichern. Dazu 28 Hubschrauber, 45 Wasserwerfer, Spezialeinheiten, Panzerwagen, mehrere Boote – und die Pferde nicht zu vergessen. Sechs Reiter aus Baden-Württemberg sind auch abgeordnet. Sechs von fünf Hundertschaften à 100 bis 120 Beamte. „Wenn wir es brauchen, packen wir es aus“, kündigt G-20-Einsatzleiter Hartmut Dudde an.

 

„Festung Hamburg“, titeln die Zeitungen. Steffen H. kennt das. Der 45-jährige Polizeioberrat war schon öfter im „Ausland“. Beim OSZE-Gipfel 2016 zum Beispiel, ebenfalls in Hamburg. „Das hat reibungslos funktioniert, die Kollegen dort sind gut aufgestellt“, sagt er. Soll heißen: Wir haben alles im Griff. Seine Leute seien ja gut ausgebildet und wüssten, wie man mit Gewalttätern umgeht.

Auf rund 8000 schätzt man den Schwarzen Block, der in der Hansestadt auf Randale aus ist, vermutlich mitten zwischen friedlichen Demonstranten. Auch die zählen wohl zu Zehntausenden. „G 20. Welcome to hell“ nennen linke Aktivisten eine Demo, die sie für den Vorabend des Gipfels am 6. Juli angekündigt haben. „Willkommen in der Hölle“ – am Wochenende gab es bei einzelnen Scharmützeln schon einen Vorgeschmack.

Scouts im Schanzenviertel

Nein, eine gesonderte psychologische Vorbereitung sei für die Beamten nicht vorgesehen, sagt der bullige Mann mit dem Dreitagebart. Doch diesmal fährt ein Polizeipfarrer mit. Um psychologisch schnellstmöglich zu helfen. Man wisse ja nicht, was rund um die Messehallen passiert, wo der Gipfel stattfindet, sagt Steffen H. Ohne ortskundige Scouts funktioniert die Hilfe natürlich auch nicht. Wie soll sich ein Göppinger Polizist auch im berühmt-berüchtigten Schanzenviertel auskennen, dem Hotspot der alternativen Szene? Deshalb hat jeder Zug einen Hamburger Kollegen bei sich: „Das hat sich bewährt“, sagt Steffen H.

Taktische Vorgaben gibt es aber offenbar noch keine. Und wenn es sie gäbe, würde die Polizei sie natürlich nicht verraten. Man müsse flexibel operieren und sich am Verhalten der Demonstranten und Gegendemonstranten ausrichten, heißt es. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) lobt bereits im Vorfeld das Auftreten der Polizei in Hamburg. „Die bisherige polizeiliche Linie ist voll aufgegangen. Das Konzept „Deeskalation durch Stärke“ verhindert Straftaten schon im Entstehungsprozess und ermöglicht gleichzeitig den friedlichen Protest“, erklärt DPolG-Chef Rainer Wendt am Montag. „Das liegt auch daran, dass endlich die Politik aus Bund und Ländern der Polizei den Rücken stärkt.“ Die Ankündigung von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), gegen gewalttätige Gipfelstörer hart vorzugehen, nennt Wendt richtig. „An dieser Stelle darf es keine Toleranz geben.“

Natürlich soll keiner der Beamten aus dem Südwesten auf sich allein gestellt sein: „Wir versuchen immer die Einsatzgruppen zusammenzuhalten“, sagt Steffen H., der mit dabei sein wird, in voller Montur, wenn auch häufig in seiner mobilen Befehlsstelle, einem Mercedes Sprinter. Doch klar ist auch: Wo es um Beweissicherung und Festnahmen geht, ist Gewalt im Spiel. Das geht nicht mit guten Worten ab. Man wird sie dann im Fernsehen sehen, die Formationen der Polizisten, mit Helm gepolstert, gewappnet – auch eine Art schwarzer Block. Und man vergisst dann leicht, dass unter den Monturen Menschen stecken. „Die sollen ja alle wieder gesund nach Hause kommen“, sagt Steffen H.

Eine „Wohlverhaltenspflicht“

Das Bild passt so gar nicht zu jenem der sauf- und raufwütigen Jungpolizisten, die dieser Tage die Schlagzeilen bestimmt haben: Zwei Hundertschaften aus Berlin wurden wieder nach Hause geschickt, weil sie mit wilden Partys aufgefallen waren. „Wenn das so war, muss man das verurteilen“, sagt H. Im Polizeidienst gebe es keine Partys, sondern eine grundsätzliche „Wohlverhaltenspflicht“. Doch was ist eigentlich passiert? Und geschah das alles während der Dienstzeit? Der Polizeiführer will sich dazu nicht äußern, solange keine Fakten auf dem Tisch liegen. In Baden-Württemberg habe es solche Vorfälle jedenfalls noch nicht gegeben, dafür könne man auch als Führungskraft viel tun.

Ohne die Hilfe aus dem „Ausland“ könnten die Hamburger den Gipfel jedenfalls nicht bewältigen. Ein paar Hubschrauberpiloten sind auch dabei, die Landespolizei leitet an der Elbe den Einsatzabschnitt „Luft“. Und wenn im Südwesten derweil was passiert? Abzusehen sei derzeit nichts, sagt der Polizeioberrat. Die Ruhe an der Heimatfront sei aber Bedingung für die Hilfe.

Von Ruhe kann in Hamburg keine Rede sein. Der juristische Dauerstreit über Demonstrationen und Camps sowie erste Tumulte zwischen Aktivisten und Polizei nähren die Befürchtungen, dass die Proteste rund um den Gipfel nicht friedlich bleiben. Polizei und Innenbehörde müssen sich für den Einsatz bei einem Protest-Camp rechtfertigen. Die Linken in der hamburgischen Bürgerschaft fordern am Montag den Rücktritt von Innensenator Andy Grote (SPD), der „die politische Verantwortung für diesen vorsätzlichen Rechtsbruch“ trage.

Bei dem Protest-Camp auf der Elbhalbinsel Entenwerder hatte es am Sonntagabend erste Tumulte gegeben, als die Polizei elf Zelte wegen eines von ihr verhängten Übernachtungsverbots entfernte. Die Beamten setzten Pfefferspray ein. Ein Aktivist wurde festgenommen. Es habe eine verletzte Person gegeben, sagt eine Polizeisprecherin. Ein Sprecher des sogenannten G-20-Ermittlungsausschusses, der in Kontakt mit Aktivisten steht, spricht von einer schwer verletzten Person und bis zu zehn Leichtverletzten. Zuvor war eine Demonstration friedlich verlaufen.

Unter Bruch der geltenden Rechtslage habe die Polizei den Aufbau des gerichtlich genehmigten Camps behindert beziehungsweise teilweise verhindert und zahlreiche Übergriffe begangen, erklärt die Hamburger Linksfraktion. „Statt Bürgerrechte zu verteidigen dulden SPD/Grüne in Hamburg rechtswidrigen Polizeieinsatz gegen genehmigtes Camp“, twittert die Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht. Der Linkevorsitzende Bernd Riexinger fragt auf Twitter: „Ist unser Rechtsstaat in Hamburg aktuell im Urlaub?“

Das Hamburger Verwaltungsgericht bestätigt die Auflagen gegen ein Protest-Camp auf der Elbhalbinsel. Laut Gerichtssprecherin dürfen die G-20-Gegner weiterhin keine Schlafzelte aufstellen sowie Küchen und Duschen errichten. Es seien aber zehn sogenannte Workshop-Zelte zulässig gewesen, die als Dauerkundgebung und Ruhezonen dienen können, erklärt eine Sprecherin.

„Das ist die Selbstermächtigung der Polizei, die jetzt gerichtlich legitimiert wird“, sagt hingegen Andreas Blechschmidt vom linksautonomen Kulturzentrum Rote Flora. Es sei ein Signal an alle, die demonstrieren wollten, dass es offenbar keinen Rechtsschutz durch Hamburger Gerichte gebe. Auch das globalisierungskritische Netzwerk Attac spart nicht mit Kritik. Polizei und rot-grüner Senat sollten auf den Boden des Grundgesetzes zurückkehren, fordert Judith Amler vom Attac-Rat.