Ungeachtet politischer Differenzen forciert Vizekanzler Sigmar Gabriel die Kooperation mit Teheran. Es ist der zweite Anlauf des Bundeswirtschaftsministers.

Teheran - Lässig ist Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel unter dem Konterfei des islamischen Revolutionsführers Ayatollah Khomeni gelehnt, als am Montag in Teheran mehrere Abkommen unterzeichnet wurden, mit denen die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und dem Iran auf neue Füße gestellt werden sollen. Nach der Unterzeichnung des Atomabkommens im Juni 2015 und der anschließenden Aufhebung von Sanktionen hoffen auf beide Seiten auf einen Neustart und viele gute Geschäfte. Unterschrieben wurde neben einigen konkreten kleineren Vorhaben vor allem ein 27-seitiger Fahrplan zur Vertiefung der Beziehungen in den verschiedensten Branchen.

 

„Der Iran möchte deutsche Technik haben“, sagte Gabriel am Rande von deutsch-iranischen Wirtschaftskonsultationen, die zum ersten Mal nach 15 Jahren wieder stattfanden, weshalb er „große Marktchancen“ sehe. Gholamhossein Shafei von der iranischen Handelskammer lockte die 120 Vertreter deutscher Unternehmen, die Gabriel begleiten, mit „gut ausgebildeten Arbeitskräften, großen Absatzmärkten in der Region und billiger Energie“ in sein Land: „Wir wollen mit Deutschland ein neues Kapitel aufschlagen.“

Es ist der zweite Anlauf Gabriels, die Investitionstätigkeit mit dem Iran anzukurbeln. Bei den Unternehmen nämlich hat sich in die erste Euphorie ein wenig Skepsis gemischt, weil viele Dinge im Umgang mit dem Iran noch nicht geklärt sind. So halten etwa die USA wegen der Menschenrechtsverletzungen im Iran einige Sanktionen weiter aufrecht – aus Sorge vor Problemen auf dem amerikanischen Markt halten sich deutsche Firmen deshalb im Iran noch zurück. Zu den Unklarheiten, die Gabriels Staatssekretär Matthias Machnig derzeit in Washington auszuräumen versucht, gehört auch das „Snapback“-Risiko. So muss geregelt werden, was mit jetzt getätigten Investitionen passieren würde, wenn Teheran doch wieder gegen Atomauflagen verstieße und Sanktionen in Kraft gesetzt würden.

China ist während der Sanktionsjahre zu Irans größtem Handelspartner aufgestiegen

Fußen soll die Wiederbelebung der Wirtschaftsbeziehungen auf deren mehr als 100-jähriger Tradition. Dank zollte der deutsche Minister deshalb all jenen, die auch während des Sanktionsregimes den Kontakt in den Iran nie ganz abreißen ließen: „Das sind die Fundamente, auf denen wir jetzt aufbauen.“

In diese Kategorie gehört auch Thales Deutschland, ansässig in Ditzingen bei Stuttgart. Jan Fischle, ein Vertreter des Technologieunternehmens, das in Teheran unter anderem am Bau der U-Bahn beteiligt war, berichtete vom Ende der Geschäftsbeziehungen 2002, als das geheime Atomprogramm des Iran bekannt wurde, eine lange Phase erfolgloser Verhandlungen folgte und schließlich von den USA und der EU Strafmaßnahmen verhängt wurden. Doch sei man die ganze Zeit über, so Fischle, „lose in Kontakt geblieben“. Nun gebe es im Iran Interesse, die Metrolinie zu modernisieren und auch die im Bau befindliche Hochgeschwindigkeitszugverbindung von Teheran nach Isfahan mit Leit- und Sicherungstechnik aus Stuttgart auszustatten.

Typisch ist das Vorhaben insofern, als dass das Großprojekt von Investoren aus China gestemmt wird – die Volksrepublik ist während der „westlichen“ Sanktionsjahre zum mit Abstand größten Handelspartner des Iran aufgestiegen. Während mit Fernost im Jahr 2015 Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 17 Milliarden Euro ausgetauscht wurden, waren es mit der Bundesrepublik lediglich 2,3 Milliarden Euro. „Deutschland könnte wieder der erste Handelspartner des Iran werden“, warb der stellvertretende iranische Wirtschaftsminister Mohammad Khazaei. Und auch die deutsch-iranische Handelskammer mit ihren 2000 Mitgliedsunternehmen hofft langfristig auf ein zweistelliges Milliardenvolumen.

Minister Gabriel will die Iraner nicht nur mit „Made in Germany“ überzeugen, sondern bot auch an, in Zusammenarbeit mit den Handelskammern die alte deutsche Berufsschule in Teheran neu zu gründen und „viele tausend Ausbildungsplätze im Iran“ zu schaffen. Das 80-Millionen-Einwohner-Land hat noch immer mit einer hohen Arbeitslosenquote und der Tatsache zu kämpfen, dass viele junge Akademiker und Facharbeiter auswandern. Zwar ist die Hyperinflation zu Ende, doch liegt die Quote immer noch bei satten 8,8 Prozent.

Bei einem Rechtsstaatsdialog sollen künftig heikle Themen zur Sprache kommen

Zum wirtschaftlichen Neustart mit dem Iran gehört es auch, die großen politischen Differenzen zwar nicht totzuschweigen, sie aber doch separat zu betrachten und nicht zur Voraussetzung für gute Handelsbeziehungen zu machen. Wie mit China soll es künftig einen regelmäßigen „Rechtsstaatsdialog“ mit dem Iran geben, in dem die heiklen Themen zur Sprache kommen.

Gabriel sprach sie durchaus an. „Sie haben außenpolitisch einen anderen Blick auf die Welt, etwa bei Syrien“, sagte er auf dem Wirtschaftsforum und appellierte an das „Verantwortungsgefühl“ der Teheraner Führung, die Lage durch die Unterstützung Assads nicht immer weiter zu eskalieren. „Sie sehen den Konflikt zwischen Israel und Palästina anders“, meinte Gabriel, dem vor seiner Ankunft in einer den konservativen Revolutionsgarden nahestehenden Zeitung das Etikett eines „Zionistenfreundes“ angeheftet und das Fernbleiben nahe gelegt worden war. Dennoch sei es richtig, miteinander Handel zu treiben, so Gabriel. Das Argument der Bundesregierung: Ein Iran, der wirtschaftlich etwas zu verlieren hat, ist weniger gefährlich als einer, der nichts zu verlieren hat.

Gabriel will Menschenrechtslage im Iran zum Thema

Nicht zuletzt will Berlin im innerstaatlichen Machtkampf zwischen den ultrakonservativen und pragmatischeren Kräften die Reformer um Präsident Hassan Rohani stärken, der sich nächsten Jahr zur Wiederwahl stellen muss. „Wir haben ein Interesse daran“, so Gabriel, „die jetzige iranische Regierung zu unterstützen bei ihrem Öffnungskurs.“ Der iranische Regierungsvertreter wusste die öffentlich milde vorgetragene Kritik durchaus zu würdigen: Differenzen und Meinungsverschiedenheiten zwischen Staaten seien „ganz natürlich“.

An diesem Dienstag will der deutsche Vizekanzler bei einem Gespräch mit Parlamentspräsident Ali Larijani die Menschenrechtslage mit einer Rekordzahl von Hinrichtungen zum Thema machen.