Gärtringer Rathaus soll abgerissen werden Ungeliebte Erbschaft
Beispiel Gärtringen: Was tun mit dem historischen Erbe, wenn es von den Nationalsozialisten stammt?
Beispiel Gärtringen: Was tun mit dem historischen Erbe, wenn es von den Nationalsozialisten stammt?
Die Gemeinde Gärtringen will ihr Rathaus abreißen und neu bauen. Unbestritten ist, dass die Gemeinde ein neues Rathaus braucht. Die Ämter sind auf drei Standorte verteilt, was unnötig Zeit und Geld kostet, weil es die Verwaltungswege verlängert und die zusätzlichen Räume angemietet sind.
Außerdem haftet dem Rathaus ein Geschmäckle an, weil es einst als Hitlerjugendheim geplant war, auch wenn es niemals als solches in Betrieb gegangen ist. Es war zeitweise Sitz des Stuttgarter NS-Kuriers, schließlich ein Flüchtlingsheim und von Mitte der 50er Jahre an wurde es zum Rathaus umgebaut.
Deutschland und die Deutschen tun sich immer noch schwer mit den Hinterlassenschaften des Nationalsozialismus. Es ist sozusagen eine Erbschaft, die Deutschland zwar abgelehnt hat, die es aber trotzdem nicht losbekommt.
Wie geht man überhaupt mit Nazi-Bauten um? In Berlin hat man beispielsweise ohne große Diskussion im Jahr 1973 den Sportpalast abgerissen, in dem Goebbels 1943 nach der Niederlage in Stalingrad in seiner berüchtigten Rede den „totalen Krieg“ gefordert hatte, und ihn ja auch bekam.
Heute würde man sich schwer tun, so ein Gebäude abzureißen, und wenn, dann nicht ohne historische Forschungen und Diskussionen. Generell ist es nicht einfach, für den Erhalt von Nazi-Bauten zu plädieren. Natürlich können die Überreste der Nazi-Diktatur dazu dienen, in die Diskussion um das Dritte Reich einzusteigen. Doch haben viele Menschen keine Lust mehr, sich mit der Thematik zu befassen. Der österreichische Künstler André Heller hat es so ausgedrückt: Man könne sich nicht immer am Tiefpunkt der menschlichen Geschichte aufhalten.
Viele argumentieren auch mit einer Art Syllogismus: Weil die Nazis schlecht waren, ist alles, was mit den Nazis zu tun hat, auch schlecht und sollte deswegen von der Bildfläche verschwinden. Doch kommt dieses Argument schnell an seine Grenzen: Weil die Nazis die Zahl der gesetzlichen Urlaubstage erhöhten, müsse Urlaub schlecht sein, könnte man ja analog formulieren. Es hilft also nichts, man muss jeden Einzellfall prüfen.
Und damit zurück zum Gärtringer Rathaus. Die Expertise des Landesdenkmalamtes hebt hervor, wie sorgfältig der Bau ausgeführt sei. „Es ist ein regionaltypischer Fachwerkbau, mit verzapften Verbindungen und überstehenden Holznägel, die Balkenköpfe sind profiliert“, heißt es. Der Bau ist wirklich nicht ohne: Nicht nur ist das Gebäude überaus elegant proportioniert, das renommierte Architekturbüro Holstein und Rohrberg hat es vorbildlich in das Gelände eingepasst. Sockel und Säulen sind aus regionalem Sandstein, damit erfüllt der Bau eine Forderung, die etwa Frank Lloyd Wright gestellt hat, der Vorreiter des organischen Bauens: Um sich harmonisch in die Landschaft einzufügen, sollten Gebäude aus den Steinen gebaut sein, die in der Umgebung zu finden seien.
Das Rathaus abzureißen wäre eine Sünde, allein wegen seiner Schönheit und Eleganz. Dem bisher gefassten Plan für das Rathausviertel steht das Rathaus eindeutig im Weg. Doch ließe er sich mit wenigen Pinselstrichen ändern. Die neue geplante Stichstraße hinter dem Rathaus verzichtet auf ihre ausufernde Parkierung, in dem geplanten Wohn- und Geschäftshaus reserviert sich die Verwaltung den Teil, den sie braucht. Das Rathaus wird entweder ein Vereinshaus oder beherbergt den Ratssaal und das Archiv.
Die Diskussion um die Nazi-Architektur hat zeitbedingt mehrere Halbwertszeiten. Sie wird er erst akademisch, dann historisch und dürfte schließlich irgendwann obsolet werden. Die Ästhetik aber bleibt, und das schöne Gebäude sollte weiterhin die Ortsmitte von Gärtringen zieren.