Das Publikum hämmerte mit den Füßen, eine La ola wie beim Fußball ging durch den Saal: Im Theaterhaus hat Stuttgarts Ballettfamilie den 75. Geburtstag einer Legende gefeiert. Egon Madsen tanzte selbst und war tief gerührt.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Mit einem Koffer und einem Teddybär als Glücksbringer kam 1961 eine junger Däne im Alter von 19 Jahren in Stuttgart an. Es war der Tänzer Egon Madsen. Der große John Cranko, der Vater des Stuttgarter Ballettwunders, hatte ihn in Kopenhagen entdeckt. Madsen wurde das „E“ in dem berühmten Pas de quatre. Mit den „Initialen R.B.M.E.“ wuchsen vier Starpersönlichkeiten zusammen.

 

57 Jahre später sind die Zuschauerreihen im großen Saal des Theaterhauses dicht gefüllt, da es heißt: „Egon Madsen 75 – Ein Tanzabend für eine Legende“. Stuttgarts Ballettfamilie feiert quer durch die Generationen einen ihrer Großen. Und ein bisschen scheint es, als sei die Zeit stehen geblieben. Die Älteren wissen es, die Jüngeren können es ahnen: So eine lautstarke Begeisterung, die nicht als typisch schwäbisch galt, herrschte einst unten in der Stadt, als Cranko auch über seinen Tod im Jahr 1973 hinaus dafür sorgte, dass Stuttgart nicht allein mit Autos zu Weltruhm gelangt.

La ola des Publikums für Egon Madsen

An diesem ganz besonderen Abend werden Hände in die Höhe gerissen, die Zuschauer hämmern mit den Füßen, sogar eine La ola wie beim Sport geht durch den Saal. Intendant Eric Gauthier hat, als sein Mentor und Freund Egon Madsen noch hinter der Bühne beschäftigt war, ein bewegendes (im Wortsinn, denn alle sollen aufstehen und Figuren machen) Happy-Birthday-Ständchen mit dem Publikum einstudiert, in dem viele Größen des Balletts sitzen.

Nach einer zweieinhalbstündigen Gala, bei der unter anderen Höhepunkten Egon Madsen die Uraufführung seines Solos „7557“ (er ist 75, der Choreograf des Stücks, Mauro Bigonzetti, 57) feiert, versichert der Jubilar, wirklich nichts davon gewusst zu haben, dass Gauthier mit dem Publikum die Tanzeinlange einstudiert. Wie es sich anfühlt, eine Legende zu sein? „Ich bin doch keine Legende“, wehrt er ab, „höchstens eine Leg-Ente“.

Viele Stars des Balletts im Publikum

Selbstironie und Humor sind typisch für ihn – aber auch das große Drama und kindliche Freude, die er auf der Bühne gänsehautfördernd zeigt. Sein neues Solo hat der mit einer Tänzerin verheiratete Ballett-Coach mit Bigonzetti in einer Kirche in Italien einstudiert, nicht weit von der Toskana entfernt, wo beide in kleinen Dörfern in der Nachbarschaft leben. Das ländliche Leben in Italien ist es, das er liebt. Auf einer Stadtmauer seines Dorfes hat er im vergangenen Jahr nur mit wenigen Freunden seinen 75. Geburtstag gefeiert. Jetzt lässt ihn Stuttgart hochleben bei einer Gala der großen Gefühle, die Eric Gauthier organisiert hat. Im Publikum sitzt der scheidende Ballettintendant Reid Anderson ebenso wie sein Nachfolger Tamas Detrich (seine Frau Marion Jäger tritt an diesem Abend in „Greyhounds“ auf). Die frühere Primaballerina Birgit Keil, ebenfalls ein Teil der berühmten Initialen, ist mit ihrem Mann Vladamir Klos zum Feiern gekommen, mit dem sie seit 1968 zusammen ist und der auch zu den Säulen des Stuttgarer Ballettwunders gehört.

Ob Frau Keil die Ansicht von Marcia Haydé teilt, dass das Beste zum Schluss kommt? „Das werden wir sehen“, antwortet die Direktorin des Badischen Staatstheaters in Karlsruhe, „ich weiß es noch nicht, weil der Schluss hoffentlich noch lange nicht kommt.“ Cranko-Erbe Dieter Gräfe freut sich, dass sein Lebenspartner Reid Anderson nach der aktiven Zeit als Ballettdirektor bald mehr Zeit für ihn hat. „Bis Ende des Jahres sind wir verplant mit Reisen“, sagt er. Die 90-jährige Georgette Tsinguirides, die 72 Jahre lang als Tänzerin und Choreologin beim Stuttgarter Ballett gearbeitet hat, weiß noch genau, wie sie 1961 Egon Madsen zum ersten Mal sah. „Man hat damals schon sein Charisma gespürt“, sagt sie.

Autogramme und Selfies im Foyer

Frisch geduscht nach der Vorstellung stehen Eric Gauthier und Egon Madsen später auf der Treppe im Theaterhaus-Foyer, wo sie Autogramme geben und für Selfies mit Fans bereitstehen. Hier auf dieser Treppe, erinnern sie sich, saßen sie vor elf Jahren gemeinsam und dachten darüber nach, wie sie die neue Kompanie Gauthier Dance aufbauen könnten. Keiner ahnte, was für ein Erfolg daraus werden würde.

Am 29. November werden Gauthier und Madsen im Theaterhaus die Premiere von „The Return of Don Q“, von Christian Spuck choreografiert, feiern. Der Jüngere sagt, was er am Älteren so sehr schätzt: „Wenn man den Ballettsaal betritt, spürt man sofort, ob Egon im Raum ist.“ Die Herzlichkeit und positive Energie von Madsen sei „wie ein Licht, das angeht“.