George R. R. Martin ist der Erfinder der Fantasy-Welt Westeros, in der „Game of Thrones“ spielt. Nun wird er siebzig. Die Fans fragen sich sorgenvoll, ob er sein Werk noch vollendet.

Santa Fe - Halloween wäre eine armselige Veranstaltung, jedenfalls für die Spielzeugläden und Supermärkte, trudelten in dieser Nacht der verkleideten Menschen nur die traditionellen Ungeheuer der Volksmärchen durch Straßen und Parties. Jede Menge Figuren aus der aktuellen Popkultur, aus Horror- und Fantasybüchern, TV-Serien und Kinofilmen mischen sich da unter Hexen, Henker und Feuerwehrleute.

 

Aber so sehr man sich als Kreativer hinter einem Fantastik-Franchise freuen mag, wenn Produkte der eigenen Fantasie als selbstständig gewordene Volksbelustigungen umherspuken: Eine Halloween-Leistung bleibt wohl noch eine Weile ungeschlagen. Der amerikanische Fantasyautor George R. R. Martin, der am 20. September vor 70 Jahren in Bayonne, New Jersey, geboren wurde, findet nicht nur Masken , die seinen Fantasiefiguren nachempfunden sind, im Halloween-Sortiment. Er kann auf Kostüme stolz sein, mit denen man sich als George R. R. Martin verkleiden kann.

Altmodische Buchzauberei

Schiffermütze, grober Pulli, ärmellose Weste – eigentlich sind das ganz harmlose Teile. Aber kombiniert mit einem Zauselbart und einer Siebziger-Jahre-Playboy-Abonnenten-Brille, idealerweise noch in Verbindung mit einer jäh auskragenden Leibesfülle und einer zwischen Gemütlichkeit und Gereiztheit flirrenden Stumpigkeit des gesamten Erscheinungsbildes, ergeben sie die weltweit sofort erkannte Figur dieses Schriftstellers.

Anders gesagt: dieses Zaubermeisters. Denn der in Santa Fe lebende Martin, der Autor des Romanzyklus „Ein Lied von Eis und Feuer“, verschafft Lesern nicht einfach ein paar schöne Stunden. Er bannt sie noch ganz altmodisch, versetzt sie in andere Welten, und zwar so, dass im Zeitalter der Zerstreutheit der alles unterbrechende und durchzirpende Smartphone-Schirm doch noch mal dunkel bleibt. Auch die auf seinem Werk beruhende TV-Serie „Game of Thrones“ hat der Fantasy viele neue Freunde gewonnen.

Interessante Charaktere

Natürlich sind da Begeisterung und Dankbarkeit mit im Spiel, wenn die Fangemeinde sich Martin verbunden fühlt. Der hat mit seinem Fantasy-Epos ja eine klassische Fluchtwelt für Leser erschaffen, in der vieles anders, größer, emotionaler ist als in unserem Alltag. Da entdeckt die späte Erbin eines entmachteten Geschlechts etwa, dass es noch drei der angeblich längst ausgestorbenen Drachen gibt, sie wird deren Herrin und Hüterin, und sie, die eben noch völlig Ohnmächtige, blüht nun zu einer Macht der Weltveränderung auf.

Aber daneben gibt es noch eine niederträchtige, gemeine, verschlagene, brutale Politikebene, die direkt aus den irdischen Geschichtsbüchern zu stammen scheint, eine Schattiertheit der Charaktere, ein sehniges Durchfasertsein mit positiven und negativen Eigenschaften, eine Wirrnis der Visionen, Verbohrtheiten, Tugenden und Laster, die ganz weit weg ist von dem, was man von naiver Fluchtlektüre erwartet.

Spott und Sorge

Aber all das erklärt nicht die besondere Verbundenheit von Martin und seiner Leserschaft. Noch eine andere Schnur windet sich da, in die Unmut, Enttäuschung, Spott und sehr viel Sorge hineingewoben sind. Martin hat den ersten Band seiner zunächst auf drei, dann auf sieben Bände angelegten Saga im Jahr 1996 vorgelegt. Die Erstleser hatten gehofft, jährlich Neues aus Martins Fantasyreich Westeros lesen zu können. Aber die Zeitabstände zwischen den Veröffentlichungen wuchsen auf fünf Jahre an, Martins Verkündungen baldiger Veröffentlichungstermine und seine grummeligen Widerrufe sind legendär.

Erst fünf Bände der von den Folgen der TV-Serie längst überholten Buchreihe liegen vor, für den 20. November 2018 ist ein weiterer angekündigt. Im Internet sprechen Martin-Fans mit makabrer Offenheit, mit rührender Bangigkeit, manchmal mit unangenehmem Zynismus über das Risiko, der nun Siebzigjährige könne sterben, bevor das Werk vollendet ist.

Der Schreibtisch wartet

George R. R. Martin, der seine Mittelinitiale als Huldigung an J. R. R. Tolkien gewählt hat, gibt offen zu: Schreiben findet er furchtbar anstrengend. Er will leben, sich amüsieren, seinen Hobbies nachgehen. So wird er wohl auch den Geburtstag vergnügt verbringen, während die Leser ihm jedes Stück Kuchen – Oh Gott, sein Blutzucker! – und jede freie Minute – der Schreibtisch wartet! – von Herzen missgönnen. Dass sich einige zu Halloween als Martin verkleiden, ist als Angebot zu verstehen: George, wir übernehmen Deine Freizeit für Dich: Kümmere Du Dich nur um Westeros!