Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Im LKA ballern Haftbefehl und diverse Co-Rapper ihren Straßen-Rap zu basslastigen Beats von der Bühne. „Zeig deine Eier, du Pussycat / Eins gegen eins, wer hat Lust auf russisch Roulette?“, heißt es im Song „Saudi Arabi Money Rich“ und immer wieder: „Ihr Hurensöhne!“ Haftbefehl trägt roten Blouson und gibt den Babo: Er stellt seine Kumpels vor, läuft schwerfällig über die Bühne, wischt mit schwarzem Handtuch übers Gesicht. Das Publikum tanzt Pogo.

 

Thomas Filimonova steht hinter der Theke und schüttelt nur den Kopf. Der Geschäftsführer der Konzerthalle findet, die Musik sei auf „Klosett-Niveau“ – und dass Gangsta-Rapper die Jugend verderben. Er habe es schon erlebt, dass Eltern mit ihren Kindern auf entsprechende Konzerte ins LKA gehen. „Da werden Frauen beschimpft, da geht es um Analsex. Das ist für Kinder nicht gut“, sagt Filimonova. Weil weder die Eltern noch die Konzertveranstalter genau hinsähen und ihm die Hände gebunden sind, will er künftig keine solchen Konzerte mehr ins LKA holen.

„Die Jugend von heute ist halt so, dass Ausdrücke fallen“

Bei Haftbefehl hören keine Kinder zu, sondern vor allem junge Männer aus der Mittelschicht. Zwei davon sind Giovanni und Fabiano, beide 20. „Wir sind Ausländer, können uns mit Haftbefehl identifizieren“, sagen die beiden. Und die vielen Schimpfwörter? „Ich würde nie sagen, dass jede Frau eine Hure ist“, erklärt Giovanni, „aber die Jugend von heute ist halt so, dass Ausdrücke fallen.“ Haftbefehl sei kein Vorbild, aber ein „Rap-Idol“.

„Also das, was ich in meiner Musik sage, soll in ihrem Leben kein Gewicht haben“, sagte Haftbefehl jüngst in einem Interview mit der Zeitschrift „Spex“. Und: „Man soll sich meine Musik nicht unter 16 Jahren anhören.“ Das ist die Antwort vieler Rapper auf die Vorwürfe, die Jugend zu verderben: alles nur Unterhaltung für ein halbwegs reifes Publikum, Beschimpfen gehöre dazu.

Möglich, dass man den Rappern unrecht tut, wenn man sie „interpretiert wie moderne Kunst“, wie Matthias Mettmann findet. Andererseits legen „Hafti“ und Konsorten den Finger in die Wunde. Kürzlich nahm Haftbefehl den Fernsehsender Arte dorthin mit, wo er aufwuchs: ins Offenbacher Migrantenghetto, Plattenbau, Drogen, keine Perspektive. Auch solche Orte gehören zu Deutschland, und Rapper wie Haftbefehl berichten aus dieser Halbwelt. Sie sprechen die Sprache und kennen die Probleme der Menschen, die dort leben.

Im Hauptraum der Wagenhallen steht mit Prinz Porno so ein neuer Volksmusiker auf der Bühne. Der 35-Jährige hat mit seinem Album „pp=mc²“ am Abend des Konzerts Helene Fischer von Platz eins der Albumcharts verdrängt. Der 35-Jährige heißt bürgerlich Friedrich Kautz, Künstlername eigentlich Prinz Pi; für das aktuelle Album hat er sein Alter Ego aus vergangenen Sprayerzeiten hervorgeholt – Prinz Porno klingt böser. Seinen Charterfolg hat der Rapper „ganz ohne Interviews, teure Videos oder Marketingkampagnen“, verkündet er via Facebook. Auch das ist Teil des Phänomens: Rapper werden im Internet zu Stars und kommen dann ins Radio oder in die Zeitung – früher lief das andersherum.

Kein Kiezdeutsch bei Prinz Porno

Prinz Porno ist nicht so nah am Pop dran wie zum Beispiel Cro. Aber wie der Panda-Rapper spricht auch er die Sprache der Jugend: „Der neue Shit ist whack“, rappt er in den Wagenhallen, frei übersetzt heißt das „Früher war alles besser“. Solche mehrheitsfähigen Botschaften spickt Prinz Porno genretypisch mit heftigen Bildern. „Jeden Monat wünsch ich mir, du verblutest an deinen Tagen“, ruft der Rapper jener „Bitch“ zu, die einst seine Freundin war. Hundert 17-Jährige schwenken begeistert die Arme und schreien mit.

Symptome einer verkorksten Jugend? Nun, im Prinz-Porno-Publikum und auf der Bühne wird nicht straßentypisches Kiezdeutsch gesprochen, sondern meist Hochdeutsch. Und: der erste Track auf Prinz Pornos Nummer-eins-Album befasst sich mit dem Selbsthass des Westens und dem politischen Islam – wann gab es das zuletzt im Pop?

Prinz Porno spielt seine Single „Parfum (Eau de Porneau)“: „Du stehst im Feuilleton von der ‚Zeit‘ und im ‚Spiegel‘“, rappt er. Unlängst ermittelte der Journalist Kevin Schramm, dass Prinz Porno und Haftbefehl einen ähnlich großen Wortschatz haben wie Goethe in seinem „Faust“. Das Wort „Feuilleton“ hingegen taucht noch im breitesten Rapper-Wortschatz erst seit Kurzem auf. Nicht ohne Grund: Bushido, Sido und Co. waren mit ihren Frauen-, Drogen- und Polizeigeschichten stets ein Fall fürs Vermischte; erst kürzlich schaffte es Bushido wieder dorthin, als er am Tag nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ ein Selfie im Pulli mit der Aufschrift „Paris“ verbreitete und dazu schrieb „Bald geht’s wieder rund“.

Mehr als ein Kompendium von Schimpfwörtern

Über die neue Generation der auf explizite Wortwahl spezialisierten Deutsch-Rapper, neben Haftbefehl und Prinz Porno etwa Kollegah, Zugezogen Maskulin oder die Antilopen Gang, wird derweil flächendeckend im Kulturteil berichtet – denn ihre Raps sind mehr als nur ein Kompendium aktuell angesagter Schimpfwörter.

Haftbefehls erster Hit heißt „Chabos wissen, wer der Babo ist“. Der Song kam im Herbst 2012 heraus. Ein Jahr später wurde „Babo“ (etwa „Chef“) zum Jugendwort des Jahres gewählt. Der Rapper mischt Deutsch, Kurdisch, Arabisch und andere Idiome zu einer „Metasprache aus prekärem Slang“, so die FAZ. Weitere Stimmen: „der deutsche Dichter der Stunde“ („Zeit“), „Hip-Hop wieder mit Sprengkraft“ („Deutschlandradio Kultur“) oder „Albtraum des deutschen Spießbürgers“ (StZ). Haftbefehl verbreitet die Links stolz über seine Facebook-Seite.

Zeig deine Eier, du Pussycat

Im LKA ballern Haftbefehl und diverse Co-Rapper ihren Straßen-Rap zu basslastigen Beats von der Bühne. „Zeig deine Eier, du Pussycat / Eins gegen eins, wer hat Lust auf russisch Roulette?“, heißt es im Song „Saudi Arabi Money Rich“ und immer wieder: „Ihr Hurensöhne!“ Haftbefehl trägt roten Blouson und gibt den Babo: Er stellt seine Kumpels vor, läuft schwerfällig über die Bühne, wischt mit schwarzem Handtuch übers Gesicht. Das Publikum tanzt Pogo.

Thomas Filimonova steht hinter der Theke und schüttelt nur den Kopf. Der Geschäftsführer der Konzerthalle findet, die Musik sei auf „Klosett-Niveau“ – und dass Gangsta-Rapper die Jugend verderben. Er habe es schon erlebt, dass Eltern mit ihren Kindern auf entsprechende Konzerte ins LKA gehen. „Da werden Frauen beschimpft, da geht es um Analsex. Das ist für Kinder nicht gut“, sagt Filimonova. Weil weder die Eltern noch die Konzertveranstalter genau hinsähen und ihm die Hände gebunden sind, will er künftig keine solchen Konzerte mehr ins LKA holen.

„Die Jugend von heute ist halt so, dass Ausdrücke fallen“

Bei Haftbefehl hören keine Kinder zu, sondern vor allem junge Männer aus der Mittelschicht. Zwei davon sind Giovanni und Fabiano, beide 20. „Wir sind Ausländer, können uns mit Haftbefehl identifizieren“, sagen die beiden. Und die vielen Schimpfwörter? „Ich würde nie sagen, dass jede Frau eine Hure ist“, erklärt Giovanni, „aber die Jugend von heute ist halt so, dass Ausdrücke fallen.“ Haftbefehl sei kein Vorbild, aber ein „Rap-Idol“.

„Also das, was ich in meiner Musik sage, soll in ihrem Leben kein Gewicht haben“, sagte Haftbefehl jüngst in einem Interview mit der Zeitschrift „Spex“. Und: „Man soll sich meine Musik nicht unter 16 Jahren anhören.“ Das ist die Antwort vieler Rapper auf die Vorwürfe, die Jugend zu verderben: alles nur Unterhaltung für ein halbwegs reifes Publikum, Beschimpfen gehöre dazu.

Möglich, dass man den Rappern unrecht tut, wenn man sie „interpretiert wie moderne Kunst“, wie Matthias Mettmann findet. Andererseits legen „Hafti“ und Konsorten den Finger in die Wunde. Kürzlich nahm Haftbefehl den Fernsehsender Arte dorthin mit, wo er aufwuchs: ins Offenbacher Migrantenghetto, Plattenbau, Drogen, keine Perspektive. Auch solche Orte gehören zu Deutschland, und Rapper wie Haftbefehl berichten aus dieser Halbwelt. Sie sprechen die Sprache und kennen die Probleme der Menschen, die dort leben.

Haftbefehl hat die LKA-Bühne wieder verlassen. Auch im hellen Saallicht sind keine schweren Jungs zu finden, sondern Leute wie Daniel und Michael: 29, Designer und Pädagoge, auffälligstes Accessoire: schräg sitzende Strickmützen. Wo sind die bösen Buben? „Das frage ich mich auch“, sagt Michael. Daniel nippt am Bier, nicht sein erstes, und ruft: „Ich bin hier zum Partymachen!“ Zu den Schimpfwörtern und dem Machismo im Rap schweigt er. Aber dazu hat der Poptheoretiker Diedrich Diederichsen schon den besten Satz geschrieben: „Bei Hip-Hop funktioniert der Genuss gerade über das Nichtgemeintsein.“