Bodo Kirchhoff präsentiert seinen Gardasee-Roman „Die Liebe in groben Zügen“ – klischeehaft und oberflächlich bleibt das Werk, auch wenn alles darin Bewunderung erzeugen will.

Stuttgart - Bodo Kirchhoff ist ein ausgesprochener See-Schriftsteller. Längst hat er, der ein Internat am Schwäbischen Meer besuchte, den literarischen Frei- und Fahrtenschwimmer auf dem Gardasee gemacht. Dortselbst ereignete sich die beklemmendste Szene seines letzten großen Romans „Parlando“, als ein Zehnjähriger mitten im schlimmsten Gewitter seine zerstrittenen Eltern beim Sex beobachtete. Zuvor hatten sie ihren Hass aufeinander als Freud’sche Übersprunghandlung in die Tötung einer Fledermaus umgemünzt.

 

So weit kommt es bei Verena „Vila“ Wieland und Bernhard Renz nicht, auch wenn sich Vila oft genug den Tod ihres Mannes vorstellt, ihn vielleicht sogar herbeiwünscht. Seit der Silvesternacht 1983 liiert, verbringt das wohlhabende Frankfurter Ehepaar seit fast zwanzig Jahren jeden Sommer im eigenen Haus am oberitalienischen Lieblingsgewässer der Deutschen; wie Kirchhoff selbst, der in Torri del Benaco zusammen mit seiner Frau Schreibkurse gibt. Vila und Renz – „Bernhard“ klingt der progressiven Gattin „zu bieder, zu dumm“ – bilden das Zweigestirn des neuen Buchs von Bodo Kirchhoff.

Auch wenn er das Wort „Gardasee“ auf der Strecke von 670 Seiten mit sportlich-metaphorischem Eifer verklausuliert und lieber auf Lacus Benacus ausweicht, so scheint der 64-Jährige nun endgültig dem dekadent-genialischen Gabriele d’Annunzio als Dichterfürst vom Gardasee Konkurrenz machen zu wollen. Allein das in Blau gehaltene Badezimmer von d’Annunzios majestätischem Wohnhaus in Gardone beherbergt jede Menge Nippes. Kirchhoff stattet seinen Roman nicht minder üppig mit allerlei Versatzstücken der „Italianità“ aus, von Renz‘ „gewohntem Trüffelrisotto“ über „Marschmusik aus dem Tabacchi-Laden“ bis zur „Farmacìa“ mit überflüssigem Akzent. Arrogant grenzt man sich von den gemeinen Bustouristen ab, den „Scharen in Beige“. Und erst die Weine! Wie beim Getränke-Großhandel prasseln der Barolo, die „herben Weißen“ und der notorische „Abschlussgrappa“ auf den zunehmend ernüchterten Leser nieder.

Alles will Bewunderung erzeugen

Doch es hilft alles nichts. Kirchhoff scheint für das nach „Infanta“ (1990) und „Parlando“ (2001) dritte seiner Hauptwerke, die im Abstand von elf Jahren erscheinen, d’Annunzios Leitspruch „Memento audere semper“ (denke daran, stets zu wagen) beherzigt zu haben. Fast alles in diesem Buch ist auf schiere Größe angelegt und will Bewunderung erzeugen. Das droht die lebenssatten Erkenntnisse über eine Partnerschaft im Wandel der Jahrzehnte zu überdecken. Wie Bojen im Textgewässer tauchen geschliffene Sentenzen und Einsichten über die Liebe auf, die mal banal, mal komisch, aber auch schmerzlich wahr sein können.

Da amüsiert sich Vila über die Frühstücksgewohnheiten ihres Mannes („kein Ei ohne Drama“), während er bemerkt: „Teil einer langen Ehe sein, immer auch bitter, gar keine Ehe haben, erbärmlich.“ Der frühere Filmkritiker Renz und die schnippische Vila sind durchs Fernsehen zu Geld gekommen, haben für das Medium allerdings nur Hohn und Spott übrig. Sie moderiert ein „Nachtkultureckchen“, bis sie mit knapp 53 ausgemustert wird. Er, der sich für ewig sechzig hält, schreibt „Vorabendzeugs“, Serien mit vorhersehbaren Spannungsbögen, die sich um See-Ärzte („Seearztscheiße“) und schöne Pathologinnen drehen. Die Tochter Katrin, 26, mokiert sich über das Luxusgehabe der Eltern, nimmt aber weiterhin deren Geld an. Im Amazonas-Gebiet erarbeitet sie das ethnologische Thesenpapier „Penisköder und Romantik“. Ihre Schwangerschaft hat sie auf Kuba abbrechen lassen.

Vila war Katrin nachgereist, um sie davon abzubringen, traf sie aber nicht mehr an und tröstete sich stattdessen mit dem Mittvierziger Kristian Bühl, dem „Wintermieter“ ihres Ferienhauses, der, frisch verliebt, wiederum ihr nachgeflogen war. Das gibt dem Autor Gelegenheit, seine Obsession für Langstreckenflüge auszukosten, wie er es seit seinem Debütroman „Zwiefalten“ von 1983 genüsslich tut.

Elegant, aber auch geschmacklos

Solchen Leuten, die der Meinung sind „ein gebildeter Jude“ ziere jede Tafel, setzt Bodo Kirchhoff seine Leser über Hunderte von Seiten aus. Das ist ihm übel zu nehmen, denn er lässt keinerlei erzählerische Distanz zu den eitlen Jaguar-Fahrern erkennen. Vielmehr schildert der passionierte Beobachter des Oberflächlichen, als der er sich im Vorwort zur Neuausgabe seiner Poetikvorlesungen „Legenden um den eigenen Körper“ definiert, Vila in immer neuen Details bis hin zu ihren Schamhaaren.

Ohnehin ist eine starke genitale Fixierung des Romangeschehens rund um den „mythischen Spalt“ auszumachen – irgendwie muss die Leserschaft schließlich bei Laune gehalten werden. Durch den wegen Aufsässigkeit beurlaubten Lehrer Bühl – ein Antiheld, den Bodo Kirchhoff mit Details seiner eigenen Lebensgeschichte ausstattet – kommt nun der Bodensee ins Spiel, wo Bühl ein Internat besuchte. Dort wurde er von einem Lehrer missbraucht, der auf rätselhafte Weise ertrank. Als wäre das nicht schlimm genug, musste er in den Ferien auch noch der eigenen Mutter zu Willen sein: „Sie tut bloß, als würde sie schlafen, und lässt es durch Trägheit und leise Töne so weit kommen, dass er sie erforscht, wie er sonst den Finger in Kuchenteig tauchen darf.“

Bühl will am Gardasee einen Roman über Franz von Assisi und die heilige Klara zu Ende schreiben, denen er ein Verhältnis andichtet. Dadurch kreuzen sich wie bei einem Webmuster ständig mehrere Liebesgeschichten – und ziehen die Sache erheblich in die Länge. Vilas heimlicher Liebhaber Bühl tritt in Konkurrenz zu Renz als dem „ältesten Betreuer ihres Fleisches“. Das eigentliche Drama dieser Trivialvariation von Goethes „Wahlverwandtschaften“ verkörpert aber die Fernsehproducerin Marlies Mattrainer, die vom Ossiacher See in Kärnten stammt – dem dritten Binnengewässer. Renz verliebt sich in die zwanzig Jahre jüngere Kettenraucherin ganz in Grau „wie die weichbeflügelten Falter der Nacht, die morgens manchmal schon tot sind“.

Entsprechend dieser so poetischen wie unheimlichen Vorausdeutung wird Marlies von einer Krebserkrankung dahingerafft. Sie stirbt einen frühen, erschütternden Tod „gegen die Laufrichtung“, wie eine sehr gelungene Novelle Kirchhoffs heißt. Doch leider lässt er auch in diesen wirklich berührenden Passagen gnadenlos den Klischeehammer niedersausen. So ist unter anderem von der „Krebsproducerin“ die Rede, der Renz zwischen die Beine fasst, um „die Krebsstäbe zu kühlen“. An anderer Stelle wird ihre Kinderlosigkeit in direkten Bezug zur Krankheit gesetzt: „Sie war ja eine dieser Schönen, mit denen die Alpen gesegnet sind. Und dort (in den großen Städten) gehen sie dann irgendwann kinderlos ein, verenden an einem Krebs.“ Das ist auf misogyne Weise voyeuristisch und schlicht geschmacklos, bei aller Eleganz der Schreibweise.