Nach dem Ja-Wort geben sie Gas, nehmen Kurs auf die Autobahn, blockieren die Streifen und ballern dabei nicht selten mit ihren Schreckschusspistolen. Die Randale zur Feier des Tages sorgt immer wieder für Schlagzeilen. Zahlen im Südwesten gibt es aber nicht.

Stuttgart - Zurück bleiben kreisrunde Bremsspuren und frustrierte Polizisten. Wenn Hochzeitsgesellschaften ausufern und die wilde Feierei auf Autobahnen fortgesetzt wird, sind Ordnungshüter zwar oft zur Stelle. Den Beamten sind aber in den meisten Fällen trotz aller Appelle und Drohungen die Hände weitgehend gebunden. Geldbußen können Polizisten verhängen, den einen oder anderen Führerschein ziehen sie vielleicht auch ein - aber nicht selten kommen sie zu spät zur feiernden Gesellschaft, die die Autobahnen blockiert, die mit Schreckschusspistolen in die Luft ballert, hupt und mit den Reifen quietschend ihre Runden dreht.

 

In Ludwigsburg ist die Polizei nach den jüngsten Fällen alarmiert, Einsätze gab es zuletzt auch in Ilsfeld, Schorndorf und Esslingen - und gleich im mehrfachen Dutzend zum Beispiel in NRW, dem Hotspot der Korsos. „Straßenblockaden oder sogar Schüsse gehen bei einer Hochzeitsfeier definitiv überhaupt nicht“, warnt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) deutlich und verärgert in der „Heilbronner Stimme“. „Die Polizei in Ludwigsburg hat gezeigt: Wir dulden ein solches Verhalten nicht.“ Auch die Gewerkschaft der Polizei fordert ein hartes Durchgreifen und Beschlagnahmen der Autos.

Verbreitung der Videos in den sozialen Medien

Das scheint dem einen oder anderen allerdings ziemlich egal zu sein: Die Zahl der illegalen Hochzeitskorsos hat in den vergangenen Monaten nach Einschätzung von Polizei und Politik zugenommen, angefacht nicht zuletzt auch durch die Verbreitung der Videos in den sozialen Medien.

Zwischen 2015 und 2019 haben die Beamten in Baden-Württemberg 90 Vorfälle mit Autokorsos registriert, darunter vier Blockaden. Allerdings trennt das Ministerium nicht zwischen Hochzeiten und zum Beispiel Autokorsos von Fußballfans. „Nicht viel“ sei das, heißt es im Innenministerium mit Blick auf die Statistik. Aber seit Jahresbeginn sorgen Hochzeitsgesellschaften wie in Ludwigsburg im vergangenen März für weitere Schlagzeilen: Mit mindestens vier teuren Autos blockierten die Feiernden damals auf der Autobahn 81 den Verkehr und filmten den entstehenden Stau.

„Für die, die das machen, ist es Imponiergehabe mit Autos, die ihnen möglicherweise auch gar nicht gehören“, sagt der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens. „Damit will man zeigen, was man hat und wer man ist.“ Der Erziehungswissenschaftler Ahmed Toprak von der FH Dortmund sieht das ähnlich: „Es geht um Macht“, sagt er. „Es geht um Statussymbole. Die jungen Leute wollen zeigen, wer sie sind und was sie haben“, sagt er. Die meist türkischstämmigen Männer interpretierten bei den Korsos lediglich eine traditionelle Kultur neu - „leider“, sagt Toprak, der über das Thema „Hochzeiten“ promoviert hat.

Mit türkischer Kultur habe das Gehabe nichts zu tun

Für den früheren Polizeidirektor und Türkei-Experten Bernd Liedtke sind die Korsos „ein Ritual der Befreiung, mit der türkischstämmige junge Menschen der Mehrheitsgesellschaft sagen, dass sie auch noch da sind“. Ein Hilferuf? „Ja, diese Menschen der dritten und vierten Generation sitzen zwischen den Stühlen, sie werden von den Türken nicht als Türken gesehen und von den Deutschen nicht als Deutsche.“ Mit türkischer Kultur habe das Gehabe am Steuer nichts zu tun: „In der Türkei traut sich das niemand“, sagt Liedtke.

Dagegen analysiert das NRW-Innenministerium den Hintergrund des Phänomens in einem Lagebild recht nüchtern: „In Deutschland lebende türkische Staatsangehörige sowie Personen mit entsprechendem Migrationshintergrund haben seit Generationen die Bräuche und Sitten tradiert“, heißt es dort. „Aus diesem Grund wird das Hochzeitsfest oftmals traditionell begangen. Zu den Bräuchen am Hochzeitstag zählt insbesondere die Abholzeremonie.“

Konsequentes Durchgreifen

Die baden-württembergischen Behörden kündigen zwar ein „konsequentes Durchgreifen“ der Polizei an. „Eine Straße ist zum Fahren da und zum Parken, aber sie ist nicht dazu da, andere zu behindern.“ Allerdings haben sich die Feiernden in etlichen Fällen mit ihren Autos schon aus dem Staub gemacht, wenn die Polizei eintrifft. Und nur in seltenen Fällen werden die Verkehrssünder dort getroffen, wo es weh tut: beim Führerscheinentzug.

In NRW, von ausufernd feiernden Hochzeitsgesellschaften im Ruhrgebiet und Köln am stärksten gebeutelt, haben die Sicherheitsbehörden einen schmalen Flyer erstellt, mit dem in Festsälen vor allem türkische Hochzeitsgesellschaften angesprochen werden sollen. „Halten Sie sich an die Verkehrsregeln“, „Provozieren Sie keine Staus“, „Zünden Sie keine Feuerwerkskörper“ oder „Führen Sie keine Waffen mit“, heißt es dort. Baden-Württemberg will diesem Beispiel folgen und in mehrsprachigen Broschüren vor risikoreichen Hochzeitskorsos warnen.