Erst freuten sie sich, dann kamen ihnen Zweifel. Irische Anwohner wehren sich gegen eine Pipeline, die ihnen vor die Haustür gelegt werden soll.

Korrespondenten: Peter Nonnenmacher (non)

Broadhaven Bay - Als John Monaghan die Wohnzimmervorhänge zurückschlug und in das Rohr eines Geschützes der irischen Kriegsmarine blickte, wusste er, dass sein Leben an der Broadhaven Bay nie mehr dasselbe sein würde. „Das Rohr war genau auf unser Haus gerichtet“, erinnert sich der junge Schmied. „Ich starrte hinaus. Ich konnte es nicht glauben.“ Draußen, in einer der abgelegensten und idyllischsten Buchten der Grafschaft Mayo, hatte mit drei Schlachtschiffen die Hälfte der Kriegsmarine Irlands Aufstellung bezogen. Eines der Schiffe suchte mit seinem Geschütz das Ufer ab. Es war von Demonstranten in Kajaks und schaukelnden Schlauchbooten umgeben.

 

Aufgefahren war die Staatsmacht zum Schutz eines Rohres ganz anderer Art: einer Pipeline, die quer durch Broadhaven Bay führen soll. Ein Vorhaben, das die Welt von John Monaghan und seinen Nachbarn aus den Fugen geraten ließ. „Wir hatten ja keine Ahnung, was hier passieren würde“, erklärt der Farmer Willie Corduff, „wir ahnten nicht, dass wir wegen der Pipeline allen Respekt vor unserer Regierung, vor unserer Polizei verlieren sollten.“

Als „die Sache“ begann, bestellten Corduff und seine Frau Mary noch unbehelligt ihre Kartoffelfelder, stachen Torf oder kümmerten sich um die Schafe. Der Ertrag ihrer Farm im Nordwesten Irlands ist gering. Die Grafschaft Mayo zählte schon immer zu den ärmsten Regionen der Insel. Über deren vergessene Randgebiete setzte sich auch das starke Wirtschaftswachstum der 90er Jahre ungerührt hinweg.

Mit dem Gasfeld könnte der Reichtum kommen

Ein wenig Entwicklungshilfe an dieser Küste war niemand abneigt. Als zur Millenniumswende die Leute in Mayo Wind davon bekamen, dass draußen im Atlantik ein Gasfeld von beträchtlichem Umfang lag, dessen Reichtümer in andere Teile Irlands und vielleicht sogar nach Europa exportiert werden könnten, da waren die Erwartungen groß.

Rund 50 Milliarden Euro sollten die Vorräte des Corrib-Felds und angrenzender Gasfelder wert sein. Auf 200 bis 300 Billiarden Kubikmeter wurde der Umfang des Naturgasvorkommens geschätzt. Auf Jahre hin, hieß es, würde der Abbau Mayo Arbeit und Einkünfte verschaffen. Das Regionalblatt „Mayo News“ bejubelte die künftige „Gas-Bonanza“, von der alle profitieren könnten. Der Bischof von Killala ließ sich mit einem Hubschrauber aufs Meer hinausfliegen, um mit Mitra und in Weihgewändern die Bohrplattform zu segnen.

Ihr eigener Priester zu jener Zeit, erinnern sich Willie und Mary Corduff, habe ihnen freudestrahlend verkündet, dass es nun „mit der Armut ein für alle Mal vorbei“ sei. Die Corduffs und ihre Nachbarn hielten das für eine sehr erfreuliche Nachricht. Erst als sie die Karte mit der gestrichelten Linie für die Gasförderung auf ihrem Küchentisch ausbreiteten, begriffen sie, dass es da einen kleinen Haken gab.

Ein Hochdruckrohr direkt vor der Haustür

Enterprise Oil, das Bohrunternehmen, das damals das Projekt leitete, plante nämlich die Gasverarbeitung weder auf einer Offshore-Plattform noch an einer menschenleeren Stelle irgendwo an der langen Küste Mayos. Die Raffinerie sollte im Landesinnern liegen. Ein Hochdruckrohr sollte das Gas 90 Kilometer weit über den Meeresboden und danach durch eine Flussmündung, durch Farmland, durch Torfgebiete, durch ein Waldstück zur Raffinerie befördern – nur wenige Meter am Haus von Willie und Mary Corduff, ihren sechs Kindern und ihren Kühen, Hühnern, Schafen und Katzen vorbei.

Die Entdeckung weckte Widerstand. Mit einer Hochdruckgasleitung durch ihre Gewässer, Weiden und Wohngebiete wollten die Anrainer der Route nichts zu tun haben. Sie befürchteten die Zerstörung kostbarer Naturschutzgebiete und fühlten sich von der „Pipe“ bedroht.

Die Kritik an dem Gasprojekt mehrt sich

Sachverständige aus Dublin warnten vor der Nähe der Pipeline zu Wohngebieten, „wie sie nicht mal in den USA erlaubt ist – und dort sind die Vorschriften noch relativ lax“. Später räumten am Projekt beteiligte Ingenieure sogar ein, dass im denkbaren Falle eines Unfalls noch Häuser in 170 Meter Entfernung zur Pipeline in Flammen aufgehen könnten und deren Bewohner etwa 30 Sekunden hätten, um zu entkommen.

Das wussten die Corduffs noch nicht, als ihnen zu Beginn der „Gas-Bonanza“ die ersten Zweifel kamen und sie Einspruch gegen das Großprojekt einlegten. Anfangs suchten sie noch mit sachlicher Expertise die Behörden vom Bau abzubringen. An der Seite anderer beunruhigter Bauern, Fischer, Lehrer, Geschäftsleute und eben auch des Schmieds John Monaghan lieferten sie sich mit Planungs- und Sicherheitsausschüssen, mit Verwaltungsabteilungen und Ministerien eine zunehmend härtere Schlacht. Auch als Enterprise Oil im 2002 vom Petroleumriesen Shell geschluckt wurde, ließen die Rebellen nicht locker. Es gelang ihnen mit immer neuen Eingaben, das Projekt Monat für Monat und Jahr für Jahr hinauszuzögern. Das Gas, das eigentlich seit etlichen Jahren hätte fließen sollen, befindet sich so heute immer noch auf dem Grund des Ozeans. „Und wenn nötig, werden wir auch die nächsten Jahre dafür sorgen, dass es nicht ans Tageslicht kommt“, verspricht Willie Corduff.

Die Rebellen und ihre Verhinderungspolitik

Bei Shell dagegen glaubt man sich dem Ziel jetzt näher denn je. Schritt für Schritt hat der Konzern mit immer neuen Teilgenehmigungen Bohrproben durchgeführt, Rohre antransportiert und immer neues Gelände in Beschlag genommen. Inzwischen ist sowohl die Hauptleitung von den Gasquellen im Meer zur Küste als auch die Raffinerie in einem Wäldchen nahe Corduffs Farm fertig gestellt. Was noch fehlt, ist ein Zwischenstück von etwa neun Kilometern, das die Raffinerie mit dem Meeresrohr verbinden soll. Um diese Etappe wird nun im letzten, entscheidenden Gefecht gerungen. Denn ohne dieses Stück kann Shell seine Gasvorräte nicht auf den Markt bringen.

Die letzten Einsprüche der Anwohner sind abgewiesen worden

Der Konzern ist des Wartens müde geworden. Eine 500-Tonnen-Bohrmaschine, für das Verbindungsstück der Pipeline, wird aus Deutschland erwartet und soll bald vollendete Tatsachen schaffen. Die letzten Einsprüche der Anwohner vor Gericht sind abgewiesen worden. Die gegenwärtige irische Regierung der Parteien Fine Gael und Labour ist ihnen ebenso wenig zugetan, wie es frühere, konservativere Regierungen waren. In Dublin ist man an Wachstum um fast jeden Preis interessiert.

Fianna Fáil, die eng mit allerlei Wirtschaftsinteressen verquickte Regierungspartei der Wachstumsjahre, hat für Kritik sowieso nie Verständnis aufgebracht. Als ein Inspektor der staatlichen Planungsbehörde befand, die Rohrverlegung über Land sei „an einer gänzlich ungeeigneten Stelle“ geplant, und deshalb das Ganze verbieten wollte, mischte sich der damalige Regierungschef Bertie Ahern ein. Auf die Drohung Shells hin, alle Aktivitäten in Mayo einzustellen, lud er die Konzernbosse in sein Dubliner Büro ein, um sich „die Sorgen über mangelnden Fortschritt beim Corrib-Projekt“ persönlich anzuhören.

Vier Tage nach dem Treffen mit Ahern saßen die Shell-Leute bereits mit der Direktion der Planungsbehörde am Tisch. Ein neuer Antrag wurde eingereicht. Und diesmal legte sich kein Inspektor quer. In anderen Planungsphasen musste das Marineministerium „neutrale Studien“ zur Einstufung möglicher Umweltschäden in Auftrag geben. Bezeichnenderweise ging der Auftrag beide Male an Agenturen, die entweder Shell gehörten oder eng mit Shell verbunden waren.

Shell schüttet Millionen für „gute Zwecke“ aus

Die Gegner der Pipeline bestärkten solche Manöver in der Überzeugung, dass mit „Papierkrieg“ allein nicht weiterzukommen war, dass sie sich bestenfalls mit Protestaktionen, Sit-ins vor Raffinerietoren oder Bauplatzblockaden Gehör verschaffen konnten. Zusätzliche Empörung löste eine Shell-Strategie aus, die Teile des Protests erfolgreich zum Verstummen brachte. Denn Shell bot nicht nur Geld für den Zugang zu Grundstücken an, der Konzern begann auch in der Region Millionen für allerlei „gute Zwecke“ auszuschütten. Hier bot er an, ein neues Dach auf eine marode Kirche zu setzen. Dort half er einem Sportclub beim Bau eines neuen Stadions finanziell auf die Sprünge. Dass der dankbare Priester oder der erfreute Präsident des Sportverbandes für den großzügigen Sponsor Stimmung machen würde, entsprach der Logik solcher Transaktionen, auch wenn die Betreffenden einen solchen Verdacht immer von sich wiesen.

„Das Geld hat uns auseinandergetrieben“, klagt Pat O’Donnell, ein Fischer der Gegend und neben Corduff der prominenteste Kopf der Demonstranten. „Mit diesem Geld ist es Shell schließlich gelungen, uns zu spalten.“ Einst hatte O’Donnell, den sie den „Chief“, den Küstenhäuptling, nennen, noch die gesamte bunt beflaggte Fischerflotte dieses Gebiets in einem feierlichen Protestzug gegen Shell angeführt. Mittlerweile haben sich viele seiner Nachbarn von ihm abgewandt.

Die Anwohner sind mittlerweile untereinander zerstritten

„Man grüßt sich noch“, sagt der „Chief“. „Aber es ist nicht wie in alten Zeiten.“ Die meisten Fischer haben sich mit Shell arrangiert. Einige helfen sogar als Arbeiter bei den Bohrungen mit. Wütend hat O’Donnell ihnen verboten, das Deck seines Bootes zu betreten. „Wenn die für Shell arbeiten, sind sie für mich Verräter. Sie haben sich erniedrigt und sind moralisch auf Grund gelaufen.“

Die ganze Gegend sei schon jetzt „die reinste Besatzungszone“, klagt auch John Monaghan. „Man lebt hier Tag und Nacht wie in einem offenen Gefängnis.“ Als Gefängniswärter betrachtet der Schmied nicht nur jene Polizisten, die ihm vor Kurzem die Autoscheibe eingeschlagen haben, sondern vor allem die privaten Wachleute, die Shell in die Schlacht geschickt hat. Das seien sonnenbebrillte Sicherheitsleute einer Firma, der in den vergangenen Jahren auch Ex-Soldaten und Kontaktleute zu paramilitärischen Verbänden angehört hätten. Diese Wächter der Pipeline stehen bei Weitem nicht nur Wache am Shell-Gelände. Sie patrouillieren an den Straßen der Bucht entlang – mit Fernstechern, Notizblocks und Kameras. Meist schreiben sie fleißig Autonummern auf, da wird sogar jedes Mal notiert, wenn der örtliche Priester zum Angeln fährt.

„Das sind ganz harte Kerle. Und so was schnüffelt hier uns und unseren Kindern nach“, ärgert sich Monaghan. Dennoch oder gerade deshalb wollen die Rebellen dem Druck auf ihr „Widerstandsnest“ nicht nachgeben. „Wir können das nicht hinnehmen“, sagt Monaghan, „die behandeln uns, als gäbe es uns gar nicht.“