Das weltgrößte 360-Grad-Panorama in Pforzheim zieht die Besucher in den Bann. Im alten Gasometer zeigt der auf riesige Rundbilder spezialisierte Künstler Yadegar Asisi das antike Rom im Jahre 312.

Pforzheim - Düster ist’s im Inneren der Rotunde, im lilablauen Licht sind beim Aufstieg auf den 15 Meter hohen Besucherturm schemenhaft die Silhouetten von Gebäuden zu erkennen. Die simulierte Nacht im antiken Rom weicht just in jenem Moment der Morgendämmerung mit Musik, Vogelgezwitscher, Hundegebell und Gemurmel der erwachenden Bewohner, als die oberste Plattform in der Mitte des Gasometers erreicht ist. Hier, vom Kapitolshügel aus, den Sonnenaufgang zu erleben sei „Gänsehaut-Feeling pur“ – da ist sich Andrea Scheidtweiler, die Direktorin des Pforzheimer Parkhotels, Mitinitiatorin und Investorin des 360-Grad-Panoramas mit dem Marketing-Koordinator Wolfgang M.Trautz, einig.

 

Der Berliner Künstler Yadegar Asisi hat eine perfekte Illusion der Millionenstadt im Jahr 312 geschaffen. Sein detailreiches Rundbild zeigt die Szenerie eines entscheidenden Tages: Kaiser Konstantin hat gerade an der Milvischen Brücke vor den Toren Roms seinen Kontrahenten und Schwager Maxentius besiegt und zieht nun als alleiniger Herrscher mit seinen Soldaten in die Kapitale ein. Es ist ein Wendepunkt in der Geschichte, denn Konstantin stoppt die Christenverfolgung und schafft damit die Voraussetzung, dass Jahrzehnte später das Christentum zur alleinigen Staatsreligion bestimmt wird. Konstantins Leben und seine Epoche werden in einer begleitenden Ausstellung und in Führungen erläutert, auch speziell für Kinder.

Dass der 1912 erbaute Gasometer nicht verschrottet und entsorgt wurde, ist dem Engagement der Pforzheimer Brauerei-, Hotel- und Gastronomenfamilie Scheidtweiler zu verdanken. Die Stadtwerke hatten den Teleskop-Gasometer 2003 stillgelegt, erst 2005 war der Speicherraum gasfrei, dann folgte eine aufwendige Altlastensanierung : Teer, Schwefel, Ammoniak und andere giftigen Reste der Gasproduktion mussten fachgerecht entsorgt werden. Eine Diskussion über die weitere Verwendung des Industriedenkmals als Veranstaltungszentrum oder als Discothek blieb zunächst erfolglos. Nichts schien realisierbar. Dann, erzählt Andrea Scheidtweiler, habe ihr Mann Wolfgang, dem der Erhalt des alten Gasometers am Herzen lag, den Tipp von den Asisi-Panoramen in Dresden und Leipzig erhalten. „Wir waren nach den Besuchen dort sofort begeistert“, erzählt sie. Im Februar 2013 wurde der Vertrag mit dem in Wien geborenen, in Sachsen aufgewachsenen und in Berlin lebenden Künstler mit persischen Wurzeln, Yadegar Asisi, unterzeichnet – für gleich fünf Panoramen. Das nächste steht schon fest: Darin können Besucher eintauchen in die Unterwasserwelt des Great Barrier Reefs vor der Nordostküste Australiens, des größten Korallenriffs der Erde.

Grundlage für Rom-Panorama war Fotoleporello

Asisi, der Architektur in Dresden und Malerei in Berlin studierte, kam 1993 als Ausstellungsarchitekt von „Sehnsucht – Das Panorama als Massenunterhaltung des 19. Jahrhunderts“ in der Bundeskunsthalle in Bonn mit den Rundbildern in Kontakt. Er malte sein erstes, kleineres Panorama für die Ausstellung – auf der Basis von acht Schwarz-Weiß-Fotografien. Dieses Fotoleporello zeigt ein 1888 in München ausgestelltes Rom-Panorama mit dem Triumphzug Kaiser Konstantins, das der Schweizer Architekt Josef Bühlmann und der ungarische Historienmaler Alexander von Wagner gefertigt hatten.

Das Thema Rom 312 faszinierte Asisi so sehr, dass er ein neues Panorama konzipierte – er „verlegte“ den Standpunkt des Betrachters auf den Kapitolshügel und schuf so eine räumliche Wirkung, die einen glauben macht, tatsächlich die Ewige Stadt von oben zu betrachten. Licht, Schatten sowie eigens komponierte Musik des bekannten Komponisten Eric Babak schaffen eine beeindruckende Atmosphäre. Die Materialsammlung für ein Riesenrundbild umfasst bis zu 50 000 Fotografien von Originalschauplätzen, aber auch eigens fotografierte Szenen von Menschen in historischen Gewändern, von Tieren und Pflanzen, die in verschiedenen Bildebenen am Computer zusammengefügt werden.

Betonzylinder mit moderner Technik im alten Gasometer

Der Oberbürgermeister Gert Hager (SPD) ist begeistert vom neuen Angebot. „Der Gasometer ist als Ausstellungslocation aus Pforzheim nicht mehr wegzudenken: Ein wahres Aushängeschild für unsere Stadt, mit dem wir touristisch punkten können“, sagt er. Die Freude ist wohl auch deshalb so groß, weil der Besuchermagnet die Stadt keinen Cent gekostet hat. Andrea Scheidtweiler spricht von einem niedrigen zweistelligen Millionenbetrag, der gemeinsam mit Partnern des Parkhotels investiert wurde. Immerhin musste, der fragilen Außenhaut wegen, innen ein kompletter Zylinder hochgezogen werden, der an einigen Stellen Ausblicke auf die alte Technik bietet. Ein Bistro wurde eingebaut. Abends werde das Panorama als Eventlocation vor allem für Firmenveranstaltungen gebucht.

Ende 2014 wurde die Ausstellung eröffnet. Sie hat inzwischen bald 100 000 Besucher in ihren Bann gezogen und wird deshalb bis zum Frühjahr 2016 verlängert. „Rom ist ein sehr starkes Thema, das vor allem auch Schüler begeistert“, sagt die Investorin. Und Pforzheim sei schließlich eine Römergründung, der Name leite sich von „portus“ (Hafen) ab. Fast in Sichtweite des Gasometers liege eine Furt, in der die Römer auf dem Weg von Straßburg nach Bad Cannstatt einst die Enz durchquerten.