Ungarns Premier sorgt mit seiner völkischen Sicht und der Aussage zum „deutschen Know-how“ beim sparsamen Gasverbrauch für einige verbale Entgleisungen.

Korrespondenten: Thomas Roser (tro)

Sein Licht stellt Ungarns streitbarer Premier Viktor Orbán nie unter den Scheffel. Als „Intellektuellen“ preist ihn seine Website – und zeigt ihn vor einer Bücherwand. Tatsächlich pflegt der nationalpopulistische Patriot bei öffentlichen Auftritten gerne ausschweifend seine völkische Sicht auf das Weltgeschehen zu offenbaren. Am Wochenende zog der 59-Jährige bei seiner Rede auf der Sommeruniversität seiner Fidesz-Partei im rumänischen Baile Tusnad (Bad Tuschnad) erneut mit Stammtischparolen gegen „den Westen“ vom Leder. Ob EU-Partner Deutschland, Nato-Partner USA oder die im Ukraine-Krieg gegenüber Budapest kritischen Visegrad-Nachbarn: Fast alle vermeintlichen Bündnispartner bekamen vom Poltergeist aus Budapest ihr Fett ab.

 

Anspielungen auf den Holocaust

Dem „Niedergang des Westens“, der sich mit seiner „gemischtrassigen Welt“ selbst eliminiere, stellte Orbán das scheinbare Modell der „nicht gemischten Rassen im Karpatenbecken“ gegenüber: „Wir sind keine gemischte Rasse, sondern einfach eine Mischung von Völkern, die in ihrem eigenen europäischen Heimatland leben. Diese Völker verschmelzen in einer Art ungarisch-pannonischer Soße und schaffen sich eine neue Europäische Kultur.“ Schon 2014 hatte Orbán in Baile Tusnad sein autoritäres Ideal einer „illiberalen Demokratie“ gezeichnet.

Nun witzelte er laut der ungarischen Europaparlamentarierin Katalin Cseh (Momentum) in Anspielung auf den Holocaust über das „deutsche Know-how“ beim sparsamen Gasverbrauch – eine Passage, die bei der englischen Übersetzung seiner Rede vorsorglich unterschlagen worden sei. Per Twitter (Katalin Cseh (@katka_cseh) machte die Oppositionspolitikerin auf Orbáns geschmacklosen „Witz über Gas und Nazi-Deutschland“ aufmerksam. Die liberale und proeuropäische Politikerin im Europäischen Parlament verurteilte Orbáns Wortwahl in der Rede. Die EU wolle es „für jeden zur Pflicht machen, den Gaskonsum um 15 Prozent zu reduzieren“, soll Orbán laut Cseh bei seiner rumänischen Skandalrede gespöttelt haben: „Ich sehe nicht, wie sie das erzwingen wollen. Obwohl es ein deutsches Know-how gibt. Aus der Vergangenheit, meine ich.“

Seine Dauerattacken sollen von der Isolierung ablenken

Auch der Journalist Pal Daniel Rényi von der ungarischen Plattform 444.hu sowie das Portal szeretlekmagyarorszag.hu berichten über die Aussagen. Orbán bezieht sich mit seinem Spruch auf den von den Nazis organisierten Holocaust, dem rund sechs Millionen Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen.

Seit seiner triumphalen Wiederwahl im April scheint sich der Frontmann der EU-skeptischen Rechten keinerlei Hemmungen aufzuerlegen. Seine Dauerattacken sollen von Ungarns mieser Wirtschaftslage und zunehmender Isolierung ablenken. Nach dem Rauswurf seiner Fidesz-Partei aus der christdemokratischen EVP hat sich Orbán wegen seines Moskau-hörigen Kurs auch mit seinem bisher wichtigsten Bündnispartner Polen überworfen. Ungarns Widerstand gegen die von USA geforderte globale Mindeststeuer von 15 Prozent hat Budapest die Beendigung des 1979 geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen beschert. Wegen des Dauerclinches mit der EU über mangelnde Korruptionsbekämpfung und rechtsstaatliche Mängel sind zudem die Milliardenhilfen aus dem Corona-Wiederaufbaufonds eingefroren. Ohne die Hilfsgelder der EU kann Orbán die Einlösung seiner Wahlsprechen und die staatliche Deckelung der Energiepreise aber kaum mehr finanzieren.