Das Stadtmuseum Waiblingen beleuchtet in einer Ausstellung ein unbeachtetes Kapitel der Stadtgeschichte: Die Erlebnisse von „Gastarbeitern“ der ersten Generation.

Waiblingen - Hildegard versetzt Besucher, die über die Schwelle des Waiblinger Stadtmuseums treten, – schwuppdiwupp – zurück in die 1950er-Jahre. Die beigefarbene Tapete mit ihrem filigranen rötlichen Blümchenmuster ist ein Originalstück, das die Macher der neuen Sonderausstellung „Waiblinger Stimmen – ,Gastarbeiter’ erzählen“ eigens für diesen Zweck organisiert haben. Die Tapete liefert den passenden Hintergrund für die Texttafeln mit sechs Kurzporträts von Waiblinger Bürgern, die von Mitte der 1950er-Jahre an als sogenannte „Gastarbeiter“ aus Süd- und Südosteuropa gekommen sind, um an der Rems zu leben und zu arbeiten.

 

Ein bislang nicht beleuchtetes Kapitel Stadtgeschichte

Die Ausstellung, die am Samstagvormittag eröffnet wird, sei ein Novum, sagt der Kulturamtsleiter Thomas Vuk: „Die Geschichte der Migranten ist ein Thema der Stadtgeschichte, das bislang noch nicht aufgearbeitet worden ist.“ Die vier Frauen und zwei Männer, die bei den „Waiblinger Stimmen“ die Hauptrolle spielen, sind alle zwischen 70 und 80 Jahre alt und hätten sich vor einem Jahr wohl nicht träumen lassen, dass sie Gegenstand einer Ausstellung sein würden.

Diese zeigt sechs rund zehnminütige Filminterviews mit den Migranten, Texttafeln mit deren Biografie sowie Exponate, welche die Porträtierten selbst beigesteuert haben: Ein besticktes Kissen als Erinnerung an zu Hause, ein Bügeleisen, Fotos oder ein elfbändiges Nachschlagewerk.

Die Ausstellung ist genau genommen das Nebenprodukt eines Projekts, welches das Waiblinger Kulturamt im Herbst vergangenen Jahres begonnen hat: Damals suchten Thomas Vuk und Brigitta Szabó Vertreter jener Nationen, die in Waiblingen den höchsten Anteil haben, und baten diese zum Interview. In den Gesprächen, die von der Firma Grasshopper Films aufgezeichnet wurden, erzählen die Befragten, warum sie sich entschlossen, nach Deutschland zu kommen und welche Erfahrungen sie in der neuen Heimat machten, die für die meisten eigentlich eine auf Zeit sein sollte.

90 Prozent wollten in ihr Heimatland zurückkehren

„90 Prozent hatten geplant, nur wenige Jahre zu bleiben und dann wieder nach Hause zu gehen“, erzählt Brigitta Szabó, die die Mehrzahl der Gespräche geführt hat. Es sollte dann anders kommen – alle sechs Befragten sind geblieben. Dabei mussten sie lange Zeit Jahr für Jahr eine neue Aufenthaltserlaubnis beantragen. „Die Voraussetzung dafür war ein Arbeitsplatz. Wer arbeitslos wurde, musste gehen“, erzählt der Stadthistoriker Hans Schultheiß. Er sagt über die Interviewten: „Diese Leute haben sich selbst integriert – zu einer Zeit, als keiner das Wort Integration kannte.“ Die Arbeit und die Kollegen hätten dabei eine immens wichtige Rolle gespielt. Und so sind unter den Exponaten auch Fotos von Firmenjubiläen oder Gegenstände wie eine Lupe zu sehen. Sara Martinez Sanz hat sie benutzt, um Kettensägen zu prüfen.

Ein Highlight ist das Exponat, das Hans Schultheiß „die Bosch-Skulptur“ nennt: Ein deutscher Kollege hat die etwa 30 Zentimeter große Figur für seine griechische Kollegin Sula Westendorf aus dem Material angefertigt, mit dem sie täglich arbeitete: Dichtungen, Kabel und Verteilerköpfe.

Sula Westendorfs Film ist wie die der fünf anderen Interviews auf einem großen Bildschirm im Eingangsbereich des Museums zu sehen. Wer mehr Ruhe braucht, kann die im Haus verteilten Stationen ansteuern und sich die Filme dort zu Gemüte führen. Es lohne sich, die Interviews mehrmals anzuhören, sagt die Leiterin der Abteilung Stadtgeschichte, Museum und Stadtarchiv, Tanja Wolf: „Bei jedem Mal entdeckt man etwas Neues.“

Neue Heimat Waiblingen

Eröffnung
Die Ausstellung „Waiblinger Stimmen – ,Gastarbeiter’ erzählen“ im Haus der Stadtgeschichte, Weingärtner Vorstadt 20, wird am Samstag eröffnet. Um 11 Uhr beginnt in der Kunstschule Unteres Remstal gegenüber eine Feier, danach gibt es einen Rundgang durch die Ausstellung, im Anschluss ein Beisammensein mit landesspezifische Spezialitäten. Die Ausstellung läuft bis 29. Januar. Die Öffnungszeiten sind dienstags bis sonntags von 11 bis 18 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Interviews
In der Ausstellung kommen Katarina Blazicevic (Kroatien), Karaman Yayla (Türkei), Giuseppe Scappichio (Italien), Sara Martinez Sanz (Spanien), Sula Westendorf (Griechenland) und Ilona Borbala Sipos (Ungarn) zu Wort. Sie alle leben in Waiblingen.