Exklusiv Hans-Olaf Henkel, der frühere Chef des Bundesverbandes der Industrie (BDI), beschuldigt den scheidenden Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt, den von Union und SPD angepeilten gesetzlichen Mindestlohn vorbereitet zu haben.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Stuttgart - Hans-Olaf Henkel, einst Chef des Bundesverbandes der Industrie (BDI), wehrt sich gegen die Kritik seines früheren Pendants Dieter Hundt. Der Arbeitgeberpräsident, der am 18. November aus der ersten Reihe zurücktritt, hatte Henkel im StZ-Interview (26. Oktober) vorgeworfen, Ende der neunziger Jahre die Tarifautonomie beschädigt und das Unternehmerlager damit gespalten zu haben. Im Folgenden die Replik Henkels:

 

„Dass Dieter Hundt zum Abschluss seiner überlangen und sicher verdienstvollen Amtszeiten beim VfB Stuttgart und der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände (BDA) versucht, sich jetzt durch Interviews Denkmäler zu setzen, ist für jeden, der ihn kennt, keine Überraschung.

Hundt stilisiert sich zum Retter der Tarifautonomie. Die im Grundgesetz garantierte Tarifautonomie soll die Unabhängigkeit bei den Verhandlungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gegenüber dem Staat sichern. Diese Unabhängigkeit muss aber nicht zwangsläufig durch Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, sie kann auch auf betrieblicher Basis sichergestellt werden.

In den neunziger Jahren, schon bevor er BDA-Präsident wurde, hatte Hundt an der Spitze des Baden-Württembergischen Metallarbeitgeberverbandes mit der IG Metall eine Serie von Tarifabschlüssen vereinbart, die danach in allen anderen Tarifbezirken Deutschlands eingeführt wurden und buchstäblich Zehntausende von Arbeitsplätzen vernichteten. Die unter seiner Verantwortung zustande gekommenen Abschlüsse mochten Daimler-Benz und Bosch gerade noch verkraften, sie wurden aber auch für Betriebe verbindlich, die sich diese nicht leisten konnten. Die Folge war ein massiver Anstieg von Arbeitsplatzexporten, Firmenpleiten und Arbeitslosenzahlen im Metall- und Elektrosektor.

Hundts Tarifkartell bedrohte auch die IBM Deutschland

Hundts Tarifkartell, er setzt es gern mit der Tarifautonomie gleich, bedrohte auch die IBM Deutschland, für die ich damals verantwortlich war. Weil wir in der IBM Deutschland zu der Zeit noch 6000 Mitarbeiter in der Produktion beschäftigten, hätten wir die 35-Stunden-Woche für alle 25 000 Mitarbeiter einführen müssen. Das hätte auch für diejenigen gegolten, die im Software- und Servicebereich tätig waren, obwohl unsere Konkurrenten in diesen Branchen damals 40 Stunden arbeiteten. Um diese dramatische Wettbewerbsverzerrung zu verhindern, ist die IBM Deutschland 1992 aus Hundts Arbeitgeberverband ausgetreten, um eine andere Arbeitszeitregelung mit IBM-Betriebsräten beziehungsweise der damals noch existierenden Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) vereinbaren zu können. Unvergessen geblieben ist mir die Reaktion Hundts auf unseren Austritt. Er erwartete ernsthaft, dass wir seinen Verband weiter mit Beiträgen von jährlich über einer Million D-Mark unterstützen würden.

Erst als immer mehr mittelständische Unternehmen die Tarifbindung verweigerten, erwarb sich Dieter Hundt zweifellos große Verdienste um die Flexibilisierung der ehemals sehr starren Tarifverträge. Ob er ohne die damals auch vom BDI vorgebrachte Kritik und ohne die einsetzende Tarifflucht dazu bereit gewesen wäre, ist eine offene Frage.

Mindestlohn ist der bisher größte Angriff auf die Tarifautonomie

Auch dass Dieter Hundt die jetzt von der Großen Koalition vorbereitete Einführung flächendeckender Mindestlöhne bejammert, sollte man nicht durchgehen lassen. Vor allem ihm, dem Vorkämpfer der Tarifautonomie, haben wir es zu verdanken, dass während der Regierung Kohl Mindestlöhne gesetzlich für allgemein verbindlich erklärt und damit die Tarifautonomie weiter ausgehöhlt wurde – zuerst im Bausektor, später unter Schröder und Merkel auch in anderen Branchen. Wenn die Große Koalition sich jetzt auf den Weg macht, gesetzliche Mindestlöhne flächendeckend einzuführen, ist daran zu erinnern, dass diese verhängnisvolle Entwicklung erst durch die sukzessive Einführung von Mindestlöhnen in immer mehr Branchen vorbereitet werden konnte. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ist der bisher größte Angriff auf die Tarifautonomie.

Bei allem Respekt für die lange Ausübung seiner Ehrenämter sollte man es nicht zulassen, dass Hundt seine eigene Laudatio verfasst und mit unhaltbaren Kritiken an Dritten die von ihm hinterlassenen, unerwünschten Spuren verwischt.“