Klaus F. Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), fordert ein reformiertes Einwanderungsgesetz für Deutschland. Als Vorbild könnte nach Ansicht des Arbeitsexperten das kanadische Punktesystem dienen.

Bonn - Braucht Deutschland Zuwanderung oder Einwanderung? Diese Frage sieht zunächst nach einem überflüssigen Streit über Begriffe aus. Das ist ein Missverständnis. Mit Migration wird häufig eine Überlastung verbunden, die durch eine übermäßige dauerhafte Aufnahme von Hilfsbedürftigen entsteht. Unser Land ist allerdings gut beraten, einen fairen Anteil an solchen Aufgaben zu übernehmen. Aber Zuwanderer tragen als Arbeitskräfte zu unserem Wohlstand bei, auch wenn sie nicht dauerhaft im Land bleiben. Sie werden zu oft rasch wieder zu Abwanderern. Wenige bleiben als Einwanderer, und es sind häufig diejenigen, die Hilfe brauchen.

 
Klaus F. Zimmermann ist Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) und Wirtschaftsprofessor der Universität Bonn. Foto: IZA

Es ist deshalb über humanitäre Solidarität hinaus notwendig, über die ausreichende Verfügbarkeit von Fachkräften nachzudenken. Trotz des offenen europäischen Binnenmarktes erhalten wir nicht genügend und schnell genug Fachkräfte, die unseren Bedarf schließen. Dies kostet Wohlstand und hält auch gering qualifizierte Einheimische in Arbeitslosigkeit. Unsere Wirtschaft muss so flexibel sein, dass sie Zuwanderer anzieht – auch wenn diese nur kurzfristig kommen, falls unsere Wirtschaft knappe Arbeitskräfte braucht.

Deutschland braucht Zuwanderer aus Drittstaaten

Andererseits stehen wir am Beginn eines rabiaten demografischen Wandels, der uns in den nächsten Jahren eine erhebliche Alterung und Schrumpfung der Erwerbsfähigen von vielen Millionen bringt. Gelänge es, einen Teil dieser Effekte durch Einwanderung von dauerhaft benötigten Fachkräften aufzufangen, dann könnten wir unseren Wohlstand und unsere sozialen Sicherungssysteme besser aufrechterhalten.

Deshalb braucht Deutschland Zuwanderer und Einwanderer aus den sogenannten Drittstaaten, das heißt von außerhalb der Europäischen Union. Doch trotz unserer großen wirtschaftlichen Stärke und dem geräumten Arbeitsmarkt will es nicht recht gelingen, Deutschland für Fachkräfte aus Drittstaaten attraktiv zu machen. So lag deren Zuwanderungszahl im Durchschnitt der Jahre 2009 bis 2013 bei jährlich rund 22 500 Personen. Das reicht bei Weitem nicht, um den notwendigen Bedarf in wichtigen Bereichen unseres Arbeitsmarktes zu decken.

Zwar verzeichnet Deutschland momentan die höchste Zuwanderung seit mehr als zwei Jahrzehnten – doch zwei Drittel dieser Migranten kommen aus den benachbarten EU-Staaten, für die volle Freizügigkeit besteht. Und diese Zuwanderer aus den Krisenstaaten wie Italien oder Spanien werden zu großen Teilen wieder zurückkehren, wenn sich ihre Heimatländer wirtschaftlich erholen; ebenso wird der nach der Osterweiterung erfolgte Zuwanderungsboom aus Polen, Rumänien und Bulgarien wieder abebben.

Der Südwesten steht vor einer besonderen Herausforderung

Deshalb muss sich Deutschland jetzt sehr nachdrücklich über Europa hinaus als attraktives Einwanderungsland positionieren, wie es seiner ökonomischen Führungsrolle entspricht. Dies wird angesichts langjähriger Versäumnisse in der Zuwanderungs- und Integrationspolitik sowie der Defizite in der internationalen Vermarktung des Arbeitsplatzes Deutschland nicht einfach. Gerade für die mittelständisch geprägte, exportorientierte Wirtschaft Baden-Württembergs ist dies eine besonders wichtige Herausforderung. Sie kann aber auch in besonderer Weise durch eine Internationalisierung des deutschen Arbeitsmarktes profitieren.

Konkret: Deutschland braucht ein modernes Einwanderungsgesetz, das Zuwanderung bis zur Einwanderung und Staatsbürgerschaft in Blick hat. Das jetzige Gesetz trägt den umständlichen und wenig vertrauenserweckenden Titel „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Einwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern“. Die Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz haben einen beeindruckenden Umfang von 390 Seiten. Straffung, Transparenz und Aufnahmebereitschaft sind also gefordert, wie auch klare, nachvollziehbare und motivierende Regelungen zur Integration.

Kanada macht gute Erfahrungen mit dem Punktesystem

Hierfür bietet sich die Etablierung eines aktiven Auswahlsystems an, das nach verschiedenen Kriterien wie Alter, Sprachkenntnissen, Ausbildung, Arbeitsmarktbedarfe, vorhandene Jobangebote und Integrationsanstrengungen im Land Punkte vergibt. Jeder Zuwanderungswillige, aber auch jeder Staatsbürger erhält so die Möglichkeit, sich durch ein solches Punktesystem ein Bild davon zu machen, welche „Spielregeln“ Deutschland vorgibt. Das Parlament kann dabei regelmäßig festlegen, wie viele Migranten so ins Land kommen sollen und damit die gesellschaftliche Kontrolle für die Dauerzuwanderung behalten. Einen solches großes Reformkonzept gilt es jetzt in Angriff zu nehmen. Denn bis es greift, bedarf es eines erheblichen zeitlichen Vorlaufs.

Mit einem Punktesystem, wie es etwa in Kanada bereits erfolgreich praktiziert wird, können wir wirtschaftliche Vorteile mit den nötigen Integrationsanstrengungen verbinden und so die Fehler, die mit dem Gastarbeiterregime in den sechziger Jahren verbunden waren, vermeiden.