Mehr als 700 Jahre hat es auf dem Buckel: Manche bezeichnen das Gasthaus Ritter als Stuttgarts, mindestens aber Degerlochs bekanntestes Gasthaus. Da es leer steht, gibt es Überlegungen – die auch Sorgen auslösen.

Auf goldglänzendem Ross schwebt er oberhalb der Degerlocher Epplestraße, der Namensgeber des Gasthauses Ritter. Zuletzt wies das schmucke Wirtshausschild aus dem Jahre 1868 den Weg zu einer Pilsstube und zur Hendl-Burg, die den Vorgänger Wienerwald abgelöst hatte. Wird ein Hähnchengrill der historischen Bedeutung der erstmals 1317 erwähnten Institution gerecht?

 

In gewisser Weise ja, denn immerhin führte der Hendl-Burgherr die inzwischen mindestens 705 Jahre währende Historie des Ritters fort, der einst den Reisenden Gelegenheit zu Pferdewechsel und Stärkung bot, sobald sie die steile Alte Weinsteige überwunden hatten. Auch dem Italien-Reisenden Goethe. Unter dem Pseudonym Johann Philipp Möller machte er in diesem Ferngasthof Station. Nun steht eine Umnutzung des Gebäudes im Raum. Wohnungen sollen geschaffen werden. Auch von Büros wird gemunkelt. Seitens des Baurechtsamts sieht man keinen Grund, Einspruch zu erheben.

Die Geschichtswerkstatt ist gegen die Pläne

Eberhard Weiss von der Geschichtswerkstatt Degerloch positioniert sich umso deutlicher gegen die Pläne: „Der Ritter ist einer der ältesten Gasthöfe Deutschlands“, gibt er zu bedenken. Die Umwidmung würde seiner Ansicht nach einen ortsgeschichtlichen Verlust für Degerloch, ja für ganz Stuttgart bedeuten. Auch hieße es, manchem Einwohner ein Stück persönlicher Erinnerung zu nehmen. Ulrike Weiss, die Frau von Eberhard Weiss, hat im Ritter die Hochzeit ihrer Schwester und ihre eigene Konfirmation gefeiert, auch die Taufe der Nichte und den 50. Geburtstag der Mutter. Die Räumlichkeiten seien in den 1950er- und 1960er-Jahren eine beliebte Anlaufstelle gewesen, erinnert sich die 77-Jährige. Sowohl bei sonntäglichen Ausflügen als auch für Festivitäten.

Schon 1963, das zeigt der Blick auf eine alte Speisekarte, war Hähnchen im Angebot. Daneben gutbürgerliche Kost: Rostbraten, Jägerschnitzel, Heilbutt mit Dampfkartoffeln. Eberhard Weiss würde sich die Fortführung dieser Gastronomie-Tradition wünschen. Es gebe in Degerloch zwar ähnlich viele Gaststätten wie anno 1905, als sich das ländlich geprägte Städtchen zum Luftkurort mit Villenviertel und Verkehrsanbindung via Zacke gemausert hatte. Urwüchsig seien aber nur noch das eher hochpreisige Fässle und der Hirsch. Mit dem Ritter würde sich auch ein Stück kulinarischer Vielfalt verabschieden. Zumal ideal gelegen: direkt neben dem Zentralen Omnibusbahnhof und an der Stadtbahn-Haltestelle.

Unter Herzog Carl Eugen neu gebaut

Das unter Herzog Carl Eugen neu errichtete Gebäude, dessen Anbauten in den 1970ern dem Berolina-Haus geopfert wurden, könnte wieder ein Wahrzeichen Degerlochs werden, wie es alte Postkarten zeigen. Andererseits drohen bei einer Umnutzung möglicherweise Umbauten. Das Gasthaus ist nur in Teilen denkmalgeschützt.

Rüdiger Spahr, zwischen 2016 und 2019 Pächter der Pilsbar, sagt, für ihn sei der Ritter „etwas Besonderes gewesen.“ Seit 1983 in Degerloch wohnhaft, habe er die „gemütliche Bierkneipe“ immer gerne besucht. Sie habe „einen gewissen Charme gehabt“. Leider habe es dem Verpächter an Engagement gefehlt, etwa im Fall von Wasserschäden. Spahr ist gegangen.

Weiss will sich nun mit der Geschichtswerkstatt für den Erhalt des Ritters einsetzen. Er spricht von positiven Reaktionen seitens Degerlocher Bürgern. Auch der Bezirksbeirat hat sich klar gegen eine Umwidmung ausgesprochen. Es sei wichtig, über die historische Bedeutung des Gasthauses zu informieren, so der 79-Jährige. Etwa über den 22. April 1945, als Oberbürgermeister Karl Strölin hier Stuttgart an die Franzosen übergab und so ein Fortschreiten der Zerstörung verhinderte, die auch in Degerloch Spuren hinterlassen hatte.