Im Stuttgarter Westen geht eine Ära zuende: nach mehr als einem Vierteljahrhundert sperrt Anastasios „Tasso“ Fotiadis seine legendäre Kneipe Urban zu.

S-West - Es wird ein großes Fest werden, ein rauschendes. Das zumindest verspricht Anastasios Fotiadis. Und das Aushängeschild der Gaststätte Urban versteht was vom Feiern. Ehrensache also, dass sein Abschied von der Kneipenbühne und das Ende seiner geliebten Pinte nach allen Regeln der Kunst gefeiert wird.

 

Zwar bleibt die Küche kalt, aus der seine Gattin sonst ihre weithin beliebten Teller mit Gyros oder Calamares in den rustikalen Gastraum schickt; dafür schmiert der gelernte Hotelfachmann Fotiadis selbst Brötchen. „Außerdem gibt es alles umsonst“, sagt er leicht heiserer Stimme und mit erhobener Hand. „Bier, Wein, Ouzo – alles kostenlos, bis es weg ist.“ Schon jetzt scheint festzustehen: Dieser Samstag wird für die geladenen Stammgäste was Besonderes.

Heimstatt für die „Rheingeschmeckten“

Etwas anderes hat das Urban aber auch gar nicht verdient. Findet Fotiadis, aber auch die vielen Stammgäste, die seit Jahren bei ihrem Griechen verkehren. Zwölf Jahre lang traf sich hier der rheinische Stammtisch „Die Rheingeschmeckten“ (Schenkelklopfer!); und das nur, weil Fotiadis eine Zeitlang mal Kölsch auf der Karte hatte. Hatte er dann irgendwann immer, weil die Rheinländer das eben gern tranken. Tasso, wie die Stammgäste ihn nennen, mag es, wenn sich seine Gäste wohlfühlen. Nur Fußball zeigt er nicht mehr. Die Bezahlsender wollten irgendwann 750 Euro monatlich für die Bundesligaübertragung. Da muss ganz schön viel Bier gezapft werden.

Am Samstag sperrt der 65-Jährige seinen Laden dennoch das letzte Mal für seine Stammgäste auf. Mit durchaus gemischten Gefühlen, wie er sehr wohl weiß. „Ich habe einfach die besten Gäste“, sagt er mit einem etwas wehmütigen Lächeln und serviert ein tadellos gezapftes Pils. Über 25 Jahre stand er hier hinter der Theke. „Und nicht einmal musste die Polizei kommen“, fügt er hinzu. Am 1. April 1993 übernahm er den Laden, der schon seit über 100 Jahren Urban heißt – übrigens nach dem Patron der Weinberge und nicht etwa nach einem angeblich urbanen Lebensgefühl. Das sucht man bei Tasso vergeblich, aber er wollte den Laden ja eigentlich eh Yamasle nennen, schwäbisch-griechisch quasi.

Bis heute gibt es zwischen den alten Stühlen, der Holztheke und der Dartscheibe Herzlichkeit, Unaufgeregtheit und ein großes Stück Gastfreundschaft. „Wenn man so lange eine Kneipe hat wie ich, dann werden aus Gästen Freunde“, meint er. Längst sitzen hier die Leute an der Bar, die früher als Kinder an der Seite ihrer Eltern Limo tranken und Pommes futterten. Er gehört hierher, nach Stuttgart, vielleicht auch ein bisschen in den Westen. Dennoch zieht er nach Ende der Urban-Ära mit seiner Frau nach Feuerbach. Tasso wird dem Stadtteil fehlen, das ist ganz klar. Nach 25 Jahren Gaststätte Urban, die er nur mit seiner Frau schmeißt, kann aber auch ruhig mal Schluss sein mit einem Knochenjob wie diesem. „Außerdem gibt es viele andere Läden hier im Westen“, resümiert er. „Anders als der hier, aber so ist das eben.“

Die „Metzgerei“ übernimmt das Urban

Wie alle anderen klassischen Kneipenwirte, sieht auch er den Niedergang der klassischen Pinte mit großem Bedauern; dennoch weiß er um den Wert einiger neuer Institutionen wie beispielsweise die Metzgerei, die das Viertel auf ganz andere Weise zusammenbrachte. Das Team hinter diesem ewig vollen Laden will in einigen Monaten auch das Urban umgekrempelt haben und neu eröffnen. Dann werden sie auch das getan haben, was Tasso einst von seinen Stammgästen regelrecht untersagt wurde: „Vor zehn Jahren wollte ich renovieren und alles rausreißen.“ Er hebt hilflos die Hände und lächelt breit. „Doch man ließ mich nicht. Meine Gäste wollten, dass es so bleibt.“

Das kann jetzt vielleicht nicht mehr abgewendet werden. Doch an diesem Samstag, den 19. Mai, kann man das Urban noch mal in seinem ganzen alten Charme bewundern. Und mit Tasso einen kleinen Ouzo auf dessen wohlverdienten Ruhestand trinken. Und die Rheingeschmeckten? Suchen noch einen neuen Ort, der Kölsch auf der Karte hat.