In einer Nacht der Höhepunkte gelingt Eric Gauthier ein Überraschungscoup. Wie hat er es geschafft, dass beim 15. Geburtstag von Gauthier Dance die 85-jährige Ballettlegende Marcia Haydée plötzlich auf die Bühne kommt und tanzt?

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Gastgeber Eric Gauthier landet einen Volltreffer in dieser langen Nacht der großen Gefühle! Schon immer ist es sein Traum gewesen, dass die große Marcia Haydée mit seinem Ensemble auf der Bühne steht. Mit ihrem Namen ist das Stuttgarter Ballettwunder eng verbunden. In den 60ern und 70ern war sie die weltweit gefeierte Primaballerina von John Cranko, später Ballettdirektorin und ist heute mit ihren 85 Jahren längst selbst eine Tanzlegende. Beim euphorisch bejubelten Geburtstagsprogramm zum 15-jährigen Bestehen von Gauthier Dance am Mittwochabend im Theaterhaus wird sein Wunsch wahr.

 

16 Frauen werden auf die Bühne geholt

In dem Stück „Minus 16“ von Ohad Naharin, einem Schlüsselwerk des zeitgenössischen Tanzes, wird Gefühlskälte, ja Unmenschlichkeit dargestellt. Doch dann geht das Drama in ein heißes und vergnügtes Fest über. Die Tänzer holen sich 16 Frauen aus dem Publikum, um zu einem Musik-Mix aus verschiedenen Stilen gemeinsam ausgelassen zu feiern, sich den Bewegungen hinzugeben, wie diese auch kommen mögen. Unter den Auserwählten aus den Zuschauerreihen ist eine Lady in Red, die auf der Bühne ganz besonders herausgefordert wird und die diese Herausforderung mit Freude annimmt. Mal dreht sie sich galant, mal spielt sie mit ihrem roten Schal, mal knistert es beim Tanz mit ihrem Partner Jonathan Reimann – man spürt: Dieser Dame macht es Spaß, bei dieser Show mitzumachen!

Wetten werden abgeschlossen

Ist sie es? Oder ist sie es nicht? Im Publikum hört man, wie die Leute rätseln. Tanzt da die große Haydée? Aber nein, es kann doch nicht sein, dass die Ballettlegende mit 85 Jahren noch so fit und beweglich ist, oder? Wetten werden bereits abgeschlossen.

Dann werden alle herausgefischten Tänzerinnen an ihre Plätze im Saal unter viel Beifall zurückgeleitet. Die Lady in Red indes dreht sich in der Mitte der Bühne immer weiter. Plötzlich schmeißt sich das gesamte Ensemble von Gauthier Dance auf den Boden. Nur die rote Dame mit den schwarzen Haaren, der man ansieht, wie sie diesen Moment genießt, bleibt stehen – als Star des Abends!

Bei der Premierenparty löst sich das Rätsel. Ja, es war die echte, noch immer sehr sportliche Marcia Haydée beim Tanz! „Eric hat mich angerufen und gesagt, ich sollte ganz in Rot kommen“, verrät die gebürtige Brasilianerin, die voller Energie und guter Laune steckt. Nein, er habe ihr nicht gesagt, dass sie tanzen solle auf der Bühne.

Ein „legendärer Moment“ für die Geschichtsbücher des Tanzes

Eric Gauthier sagt, die Idee sei ihm erst vor zwei Tagen gekommen. Bei der Party mit zahlreichen Ehrengästen (darunter: Ballettlegende Egon Madsen, Landtagspräsidentin Muhterem Aras, Staatssekretär Arne Braun, Ballettdirektor Tames Detrich und sein Vorgänger Reid Anderson, der frühere OB Fritz Kuhn mit seiner Frau Waltraud Ulshöfer, Breuninger-Chef Holger Blecker, der Grünen-Fraktionsvorsitzende Andreas Winter, Ballettstar Jason Reilly, Erics Eltern aus Kanada) ist nach dem großen Jubel des Publikums (für Kulturbürgermeister Fabian Mayer war das Programm „sensationell“) doppelt im Glück. Mit der großen Haydée auf „seiner Bühne“ habe Gauthier Dance in dieser Nacht einen „fürwahr legendären Moment“ erlebt, etwas also für die Geschichtsbücher des Tanzes. Ausgerechnet da herrschte Fotografierverbot im großen Saal!

Ihre Urgroßmutter ist 96 Jahre alt geworden, ihre Großmutter 97 Jahre und ihre Mutter 96. „Da habe ich noch viel vor mir“, sagt Marcia Haydée, die Grande Dame des Stuttgarter Balletts, die ins Theaterhaus mit ihrem 20 Jahre jüngeren Mann, dem Yoga-Lehrer Günther Schöberl, gekommen ist. Wenn man die „Maria Callas des Tanzes“, wie sie genannt wird, auf das Alter anspricht, sagt sie gern: „Das Beste kommt zum Schluss!“