Es geht ihm nicht um die Quote, sondern um brisante Fragen. Mit dem neuen Programm „Grandes Dames“ will Eric Gauthier sich vor den Frauen im Tanz verbeugen – und zeigen, wie sie ihn voranbringen.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Stuttgart - Ein Ballettabend, der „Femmes“ (Frauen) heißen soll, aber ausschließlich männliche Choreografen zum Zuge kommen lässt? In Zeiten von Metoo keine so gute Idee, wie der ehemalige Stuttgarter Tänzer Ivan Cavallari bei der Vorstellung der Pläne für seine neue Saison als Ballettdirektor in Montreal erfahren musste. Er sah sich konfrontiert mit Protesten, die ihn dazu bewegen wollten, eine Frau mit ins Boot zu holen.

 

„Grandes Dames“ heißt der Abend, mit dem sich derweil in Stuttgart Gauthier Dance in die Sommerpause verabschieden wird. Und im Gegensatz zu seinem ehemaligen Tänzerkollegen Ivan Cavallari hat Kompaniechef Eric Gauthier seine Hommage an große Tanzkünstlerinnen von Beginn an so gedacht, dass für die Premiere am 12. Juli mehr als eine Quotenfrau ins Rennen gehen wird. Denn die Zeiten, in denen man Georges Balanchines Gleichsetzung von Ballett und Frau unkommentiert stehen lassen konnte, sind eindeutig vorbei. „Das Ballett ist etwas rein Weibliches“, wird Balanchine oft zitiert, „es ist eine Frau, ein Garten voller schöner Blumen, und der Gärtner ist der Mann.“

Choreografinnen sind Mangelware

Balanchines Vergleich scheint zwar aus einer anderen Zeit zu stammen. Und doch: Der deutsche Ballettgarten ist nach wie vor fest in männlicher Hand. Jessica Teague, die im Rahmen einer Forschungsstudie für die City University London das Geschlechterungleichgewicht innerhalb der choreografischen Zunft untersuchte, fand 2016 beim Blick auf deutsche Verhältnisse wenig Beglückendes. Berlin? Dresden? Fehlanzeige – selbst große, öffentlich finanzierte Kompanien können es sich leisten, komplett auf Beiträge von Choreografinnen zu verzichten.

In Stuttgart, wo Marcia Haydée zwanzig Jahre lang Ballettdirektorin war und mit ihrem „Dornröschen“ ein erfolgreiches Stück im Repertoire hinterlassen hat, sieht es nicht ganz so finster aus. Mit Bridget Breiner und Katarzyna Kozielska hat das Stuttgarter Ballett immerhin zwei eigene, weibliche Choreografenstimmen hervorgebracht. Auch Eric Gauthier würde gern mehr Frauen fördern. „Es ist nicht so, dass es keine guten Choreografinnen gäbe“, betont Eric Gauthier, „aber ich verfolge mit meiner Kompanie eine Vision, zu der die Künstler passen müssen.“

Wie die Idee zu „Grandes Dames“ entstand

Aus eigener Erfahrung als Tänzer und als Kompanieleiter weiß er aber auch, dass Frauen, die in der Welt des Tanzes nach oben kommen wollen, „doppelt so gut wie die männlichen Kollegen“ sein müssen – „mindestens!“. So kam es, dass Eric Gauthier beim Blick ins Programmheft des amerikanischen Jacob’s-Pillow-Tanzfestivals, bei dem er mit seiner Kompanie 2016 gastierte, keine einzige Choreografin entdecken konnte. Dass die „New York Times“ ausgerechnet den Auftritt seiner Kompanie benutzte, um dieses Manko zu thematisieren, hat ihn so gefuchst, dass beim angestoßenen Denkprozess die Idee zu „Grandes Dames“ entstand. Denn auch der Blick ins eigene Repertoire zeigte ein Defizit: Mit Sharon Eyal, Janice Garret, Nanine Linning und Catarina Mora sind dort bislang nur vier Choreografinnen vertreten.

Die Quote wird das neue Programm „Les Grandes Dames“ deutlich erhöhen: Die deutsche Tanzregisseurin Helena Waldmann steuert das neue Stück „We love Horses“ bei. Und die kanadische Choreografin Virginie Brunelle wird mit der Uraufführung „Beating“ vertreten sein. Natürlich geht es bei „Grandes Dames“ nicht um Quoten, sondern um brisante Fragen. „Frauen – das ist mit Metoo zum Thema des Jahres geworden“, sagt der Kanadier. Speziell für den Tanz will er es beleuchten; seine Hommage soll unter anderem zeigen, dass wichtige Beiträge gerade zum zeitgenössischen Tanz von Frauen stammen – von Pina Bausch etwa, die das Tanztheater vorangebracht hat.

Vor ihr wird sich Marco Goecke mit seinem neuen Solo „Infant Spirit“ verbeugen. Wie Bausch stammt Goecke aus Wuppertal, es waren ihre Aufführungen, die ihn zum Tanz finden ließen. Und als sie den Choreografen 2004 mit zwei Stücken zu einem Festival einlud, war dies eine erste wichtige Bestätigung für Goecke.

Weibliche Vorbilder

Dass der Tanz gerade für Frauen risikoreich wie ein akrobatischer Auftritt sein kann, hat die Kanadierin Louise Lecavalier erkundet und mit halsbrecherischen, horizontalen Schrauben die Auftritte von Edouard Locks Kompanie La La La Human Steps zum Hingucker gemacht. „Electric Life“ nennt Eric Gauthier seinen eigenen „Grandes Dames“-Beitrag, der die elektrisierende Energie der kanadischen Tänzerin im Titel trägt. Verstärkung erhält Gauthier, der durch den Erfolg seines Solos „The Gift“ derzeit mehr auf der Bühne steht als geplant, vom griechischen Choreografen Andonis Foniadakis.

Mit den Vorbildern Louise Lecavalier und Marie Chouinnard vor Augen fällt es vielleicht leichter, den Weg als Choreografin einzuschlagen, wie Virginie Brunelle es getan hat. Die Kanadierin aus Quebec betont in „Beating“, dass jeder auf seine eigenen Gefühle hören soll. Ihr erstes Stück für eine europäische Kompanie wird dank des Wettbewerbs „Créateurs en mouvement“ im Herbst von Gauthier Dance in sechs kanadische Städte reimportiert werden.

Um Freiheit und Domestizierung geht es Helena Waldmann, die beim jüngsten Colours-Festival mit dem Cirque-Nouveau-Event „Gute Pässe Schlechte Pässe“ vertreten war. Und wer die Tanzregisseurin kennt, darf sich von ihrem neuen Stück „We love Horses“ auch Anregungen zu Frauenquoten und dem Sinn von Reglementierungen erhoffen.

In Montreal jedenfalls haben die Hiebe der protestierenden Frauen nicht dazu geführt, dass Ivan Cavallari eine Choreografin für „Femmes“ nachnominiert hat. Der Ballettchef, der in seiner ersten Saison mit Bridget Breiner und Lopez Ochoa bereits zwei Choreografinnen auf dem Spielplan hatte, fühlt sich falsch verstanden, auf keinen Fall habe er Frauen zu Objekten degradieren wollen, entschuldigte er sich für seinen Fehler. Statt „Femmes“ heißt das Programm nun „Parlami d’amore“ – Erzähl mir von der Liebe. Wenn das keine Annäherung ist.

Premiere
ist am 12. Juli. Weitere Termine am 14., 18., 19., 20., 21. und 22. Juli im Theaterhaus.