Die Gewalt in Nahost eskaliert. Israelische Kampfjets bombardieren Ziele im Gazastreifen, die Armee rüstet sich für eine Bodenoffensive. Auch in Jerusalem schlägt mindestens eine Rakete ein.

Jerusalem - Rauchsäulen über Gaza-City, schwere israelische Panzerverbände vor der Grenze zu dem palästinensischen Küstenstreifen, Zivilisten auf beiden Seiten in Panik. Die Bilder vom ersten Tag der israelischen Militäroperation „Brandungsfels “ ähneln der Offensive im November 2012 unter dem Codenamen „Verteidigungssäule“. Premier Benjamin Netanjahu wies am Dienstag die Armee an, „die Handschuhe auszuziehen“ und kündigte eine „fortgesetzte, harte Militärkampagne“ an, bis das Raketenfeuer aus Gaza eingestellt werde. „Die Hamas hat die Eskalation gewählt und wird dafür einen bitteren Preis bezahlen.“ Selbst wenn zu diesem Zweck, so Netanjahu, eine Bodenoffensive notwendig werden sollte.

 

Das israelische Sicherheitskabinett gab grünes Licht, 40 000 Reservisten zu mobilisieren. Am Dienstagabend erlebten auch die Tel Aviver ein böses Deja-vu, als dort erstmals seit 20 Monaten wieder die Sirenen aufheulten. Israels Abwehr fing die Rakete noch in der Luft ab. Drei Stunden später gab es erneuten Raketenalarm in Tel Aviv, Minuten darauf auch in Jerusalem – dort schlug eine Rakete direkt in einem Haus in Jerusalem ein. Das israelische Fernsehen berichtete, dabei sei niemand verletzt worden.

Die Bürgermeister von Tel Aviv und Jerusalem ordneten die Öffnung aller Zivilschutzbunker an. Im Alarmfall bleibt den Bewohnern dort knapp eine Minute Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Hamas-Sprecher Fausi Barhum warnte, man verfüge über eine ganze Palette diverser Geschosse. Um ihnen zu entgehen, werde „jedes israelische Haus einen Eisendom brauchen“, eine Anspielung auf die von Israel und USA gemeinsam entwickelten Abwehrbatterien, die jetzt vor den Städten im Landessüden installiert sind und am Dienstag wiederholt zum Einsatz kamen, um dutzende der aus Gaza lancierten Raketen vor dem Einschlag in israelischen Wohngebieten zu zerstören.

2012 besaß die Hamas nach Schätzung von Experten „nur“ 20 der gefürchteten Fajjar-Raketen, die bei einer Reichweite von 80 Kilometern die größten israelischen Ballungsräume treffen können. Vermutet wird, dass die Radikalislamisten heute das 20-fache dieses Arsenals in Gaza gebunkert haben. Zudem hatten die Hamas-Kämpfer wochenlang Zeit sich für die nächsten großen Schlagabtausch mit Israel zu rüsten. Bereits nachdem am 12. Juni drei jüdische Teenager im Westjordanland mutmaßlich von Hamas-Aktivisten aus Hebron gekidnappt und ermordet worden waren, bahnte sich ein neuer Gaza-Krieg an. Früh hatte Netanjahu aggressive Rhetorik ausgepackt und die Hamas in Gaza für die Tat verantwortlich gemacht, freilich ohne konkrete Beweise vorzulegen. Allerdings hätte der Premier zuletzt viel darum gegeben, die angespannte Lage durch eine Waffenstillstandsvereinbarung zu entschärfen. Nur, die alte Formel, „Ruhe gegen Ruhe“, einst von seinem früheren Verteidigungsminister Ehud Barak ersonnen, griff nicht. Ägyptische Vermittlungsversuche schlugen fehl.

Abu Obeida, ein Vertreter der Kassem-Brigaden der Hamas, signalisierte am Dienstagabend zwar Bereitschaft, zu einem Waffenstillstand zurückzukehren. Daran knüpfte er aber die Bedingung, palästinensische Gefangene freizulassen, die während der israelischen Militärrazzien bei der Fahndung nach den Entführern der drei Talmud-Schüler in der Westbank festgenommen worden waren. Auch Präsident Mahmud Abbas, Chef der moderaten Palästinenser-Führung, forderte die Regierung Netanjahu auf, die Offensive zu stoppen. Doch in Jerusalem verfing dieser Appell nicht. Zumal nahezu zeitgleich ein Terrorkommando der Hamas in die Militärbasis Sikim, wenige Kilometer nördlich des Gazastreifens, einzudringen versuchte. Sie wollten sich offenbar über den Seeweg auf israelisches Gebiet schleichen, wurden aber bei einem Schusswechsel mit Soldaten noch auf dem Strand getötet. Einen unterirdischen Tunnel, der womöglich einem ähnlichen Anschlag dienen sollte, hatte die Armee bereits in den vergangenen Tagen entdeckt.

„Die ganze Entwicklung macht dem Premier eine Politik der Zurückhaltung unmöglich“, hieß es nahezu unisono unter israelischen Kommentatoren. Nicht nur nationalrechte Regierungspartner wie Naftali Bennett und Avigdor Lieberman hatten ihn vor der Offensive als ängstlichen Zauderer hingestellt, der vor echten Taten zurückschrecke. Auch in Israels Bevölkerung wuchs der Druck, endlich den Militanten in Gaza das Handwerk zu legen. Das geballte Raketenfeuer am Montag – mehr als 80 Geschosse an einem Tag – gab den Ausschlag. Kurz nach Mitternacht begann Israels Luftwaffe die erste massive Angriffswelle. Neben Tunneln, Bunkern und anderen militanten Stellungen in Gaza wurden erstmals auch Häuser von hochrangigen Hamas-Mitgliedern bombardiert.

Um den Tod unschuldiger Zivilisten möglichst zu vermeiden, erhielten die Bewohner kurz zuvor Warnrufe seitens der israelischen Armee, sofort die Gebäude zu verlassen. Palästinensischen Angaben zufolge gab es trotzdem mindestens 25 Tote, darunter auch Kinder, sowie mehr als 100 Verletzte. Auch mehrere Israelis erlitten bei Raketeneinschlägen Schrapnellwunden. An die 40 000 Bewohner im Landessüden verbrachten den Tag in oder nahe den Schutzräumen. „Damit können wir uns abfinden, wenn die Regierung nur endlich mit dem Treiben der Hamas Schluss macht “, meinte Noam Bedein aus der Negev-Stadt Sederot. (mit dpa