Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)

Von Seiten der Hamas wird in diesem Punkt unzweifelhaft ein zweites Kriegsverbrechen begangen. Zivilisten als menschliche Schutzschilde einzusetzen, verstößt klar gegen das humanitäre Völkerrecht. Die Frage lautet nun, wie sich Israel dagegen zur Wehr setzen darf. Das Selbstverteidigungsrecht Israels bleibt nach dem zweiten Völkerrechtsverstoß der Gegenseite natürlich bestehen. Von einem Angriff abzusehen ist für Tel Aviv keine Alternative. Angesichts der zivilen Schutzschilde stellt sich das Problem der Verhältnismäßigkeit jedoch erneut – in einem noch grelleren Licht.

 

Ist es wirklich notwendig, sei es aus der Luft oder aus der Ferne, die Ziele ins Visier zu nehmen und dabei hohe Zahlen an zivilen Opfern einzukalkulieren? Oder gibt es auch andere Möglichkeiten? Wenn Israels Soldaten sehr gezielt am Boden verdächtige Stellungen kontrollierten und gegebenenfalls eliminierten, dann wären zivile Verluste zwar nicht auszuschließen, aber sie wären mit Sicherheit geringer. Für Israels Streitkräfte jedoch würde eine solche Aktion ungleich höhere Verluste bedeuten. Deswegen wird es weder in diesem noch im nächsten Gazafeldzug dazu kommen – ganz egal, zu welcher rechtlichen Beurteilung die Experten nach dem aktuellen Krieg auch kommen werden.

Das Problem der Ahndung

Publikumswirksam hat ein französischer Anwalt dieser Tage bereits in Paris erklärt, er habe Israel im Auftrag des palästinensischen Justizministers Salim al-Saka wegen Kriegsverbrechen im Rahmen der Gaza-Offensive vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag verklagt. Das ist freilich nicht mehr als ein durchschaubarer Mediencoup: Das Gericht ist zwar grundsätzlich für die Ahndung von Kriegsverbrechen zuständig, allerdings nicht im Falle Israels. Ebenso wie Russland, China oder die USA hat das Land nie das Rom-Statut unterzeichnet und damit den Gerichtshof nicht anerkannt.

Theoretisch könnte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen Beschluss fällen, wonach sich Israel gleichwohl in Den Haag verantworten muss. Da die USA in diesem Gremium ein Vetorecht besitzen, ist es allerdings praktisch ausgeschlossen, dass solch eine Entscheidung gefällt wird.

Israel darf sich verteidigen

Die Existenz eines Selbstverteidigungsrechtes ergibt sich aus Artikel 51 der UN-Charta. Dessen Wortlaut ist jedoch vage (siehe Kasten), die praktische Ausgestaltung der Norm haben über die Jahre hinweg Experten vorgenommen. Es gilt als allgemein anerkannt, dass ein bewaffneter Angriff Voraussetzung für ein Selbstverteidigungsrecht ist, und dass sich dieses unmittelbar an den Angriff anzuschließen habe. Es ist in diesem Zusammenhang ein kleineres Problem, wie sich der Begriff „unmittelbar“ definiert. Der Raketenbeschuss Israels durch die Hamas ist kein singuläres Ereignis, sondern ein dauerhaftes. Vernünftigerweise kann jedoch niemand behaupten, dass ein Abwarten nach der ersten Rakete zu einer stillschweigenden Duldung führt. Israel darf sich verteidigen. Die große Frage lautet: wie?

Das Zauberwort heißt Verhältnismäßigkeit. Daran, ob Israels Reaktion verhältnismäßig ist, scheiden sich die Geister. Sogar schon darüber, ob sie überhaupt verhältnismäßig sein muss, besteht keine Einigkeit. Claus Kreß – und nicht nur er – argumentiert, dass das Völkerrecht aus Sicht des Verteidigers kein Gleichmaß verlange. Und der Rechtsprofessor gibt zu bedenken, dass die aktuellen, brutalen, nackten Opferzahlen den Blick verstellen, unter welcher Bedrohung Israel seit Jahren leidet. Die Gruppe internationaler Völkerrechtler sieht das jedoch ganz anders. Sie bejaht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz uneingeschränkt und sieht ihn durch Israel massiv verletzt. „Es ist nach internationalem Recht illegal, absichtlich und ohne militärische Notwendigkeit zivile Objekte zu zerstören“, heißt es. Die Verletzung dieser Norm könne ein Kriegsverbrechen darstellen. Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, denkt ähnlich.

Wann wird aus Selbstverteidigung ein Gewaltexzess?

Man kann die Ansicht des deutschen Völkerrechtlers teilen, wonach kein Gleichmaß der Mittel vorliegen muss. Dann aber ist zwingend die Frage zu stellen, wann ein möglicher Exzess vorliegt, der wiederum unberechtigt wäre, wann die Selbstverteidigung die Schwelle zum Missbrauch überschreitet. Man kann auch der Ansicht der internationalen Völkerrechtsexperten folgen, wonach das Zerstören eindeutig ziviler Objekte wie Wohnhäuser oder gar Schulen – seien sie von den UN betrieben oder nicht – ein Kriegsverbrechen ist. Dann aber stellt sich die Frage, was zu unternehmen noch rechtlich zulässig ist, wenn die Angriffe aus diesen zivilen Objekten heraus geführt werden. Die Antworten auf beide Fragen hängen eng miteinander zusammen.

Das Abkommen Nummer IV der Genfer Konventionen schützt die Zivilbevölkerung vor Angriffen und unmenschlicher Behandlung. Als Zivilpersonen gelten alle Menschen, die nicht den bewaffneten Kräften angehören und die nicht an den militärischen Handlungen teilnehmen. Sie dürfen niemals angegriffen werden und sind zu schonen, so steht es in Artikel 51. Wenn Israel jedoch aus zivilen Objekten heraus beschossen wird, dann können sich die Gebäude gemäß Artikel 52 der zweiten Genfer Konvention in militärische Objekte wandeln, die wiederum angegriffen werden dürfen. Zivilisten, die sich wissentlich darin befinden, verlieren ihren Schutz.

Die zivilen Schutzschilde der Hamas

Von Seiten der Hamas wird in diesem Punkt unzweifelhaft ein zweites Kriegsverbrechen begangen. Zivilisten als menschliche Schutzschilde einzusetzen, verstößt klar gegen das humanitäre Völkerrecht. Die Frage lautet nun, wie sich Israel dagegen zur Wehr setzen darf. Das Selbstverteidigungsrecht Israels bleibt nach dem zweiten Völkerrechtsverstoß der Gegenseite natürlich bestehen. Von einem Angriff abzusehen ist für Tel Aviv keine Alternative. Angesichts der zivilen Schutzschilde stellt sich das Problem der Verhältnismäßigkeit jedoch erneut – in einem noch grelleren Licht.

Ist es wirklich notwendig, sei es aus der Luft oder aus der Ferne, die Ziele ins Visier zu nehmen und dabei hohe Zahlen an zivilen Opfern einzukalkulieren? Oder gibt es auch andere Möglichkeiten? Wenn Israels Soldaten sehr gezielt am Boden verdächtige Stellungen kontrollierten und gegebenenfalls eliminierten, dann wären zivile Verluste zwar nicht auszuschließen, aber sie wären mit Sicherheit geringer. Für Israels Streitkräfte jedoch würde eine solche Aktion ungleich höhere Verluste bedeuten. Deswegen wird es weder in diesem noch im nächsten Gazafeldzug dazu kommen – ganz egal, zu welcher rechtlichen Beurteilung die Experten nach dem aktuellen Krieg auch kommen werden.

Das Problem der Ahndung

Publikumswirksam hat ein französischer Anwalt dieser Tage bereits in Paris erklärt, er habe Israel im Auftrag des palästinensischen Justizministers Salim al-Saka wegen Kriegsverbrechen im Rahmen der Gaza-Offensive vor dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag verklagt. Das ist freilich nicht mehr als ein durchschaubarer Mediencoup: Das Gericht ist zwar grundsätzlich für die Ahndung von Kriegsverbrechen zuständig, allerdings nicht im Falle Israels. Ebenso wie Russland, China oder die USA hat das Land nie das Rom-Statut unterzeichnet und damit den Gerichtshof nicht anerkannt.

Theoretisch könnte der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen einen Beschluss fällen, wonach sich Israel gleichwohl in Den Haag verantworten muss. Da die USA in diesem Gremium ein Vetorecht besitzen, ist es allerdings praktisch ausgeschlossen, dass solch eine Entscheidung gefällt wird.